laut.de-Kritik
Schattenhafte Schönheit zwischen Alp und Traum.
Review von Ulf KubankeUnfassbare 16 Jahre zogen seit der letzten echten Soloplatte "Shaq Tobacco" ins gebeutelte Land, trotz aller Soundtracks, Malereien und Theaterprojekte. Endlich schreibt Irlands Künstlerikone und Bonos 'Best Mate' wieder persönliche, gefühlvolle Songs, die sich von den Auftragsarbeiten der letzten Jahre deutlich unterscheiden.
Schon als Postpunkpionier und Schmerzens(front)mann der Virgin Prunes definierte er bereits Ende der 70er den Gothic neben Joy Division oder Bauhaus und tauft ihn gleich mit etwas Chanson und Brecht/Weill zwischen dem Krach. Dieses Mal hingegen ist die schiere Pein keine jugendliche Künstlerlaune zwischen Aggressivität und Weltschmerz. Die erduldeten Qualen sind leider allesamt echt. Diverse gesundheitliche Probleme, das tragische Scheitern von Gavins langjähriger Ehe und der Tod des eigenen Vaters bilden den ätzend sauren Niederschlag, aus dem diese Platte besteht.
Schon das sinistre Covermotiv verneint schnöde Unterhaltung oder gar Lebensfreude. Fridays Leiche liegt hier im Totenbett von Irlands Symbolfigur Michael Collins. Man kann seine Augen kaum abwenden von diesem ebenso leblosen wie schimmlig bunten Ölschinken. Mit Twilight-Heckmeck oder peinlichem Teeniegruft-Artwork hat das hier nichts zu tun. Wer nur den kurzen Kajal-Kick sucht, mag gleich weitergehen.
Doch Fionan Hanvey wäre nicht Gavin Friday, wenn er nicht auch jetzt noch überraschte. Die Musik auf dem Album ist alles andere als avantgardistisch zerquält, deprimierend oder schwer hörbar. Im Gegenteil: Im Moment der größten Krise liefert Friday sein mit Abstand gefälligstes Werk ab. Die Platte fließt in einem Strom zeitlos gentlemanhaften Darkpops mit einigen Tupfern Spaß, Groove und Temperament; eine schattenhafte Schönheit zwischen Alp und Traum.
Auf dem wenig spektalulären - gleichwohl eleganten - Einstieg "Able" gönnt sich der sonst so immens auf Eigenständigkeit bedachte Dubliner seinen ganz eigenen Bowie-Moment. Der grandiose "A Song That Hurts" hingegen hypnotisiert so elegisch wie einst der vielleicht beste U2 Track überhaupt, "Love Is Blindness". Gesanglich ist es nicht weniger als großartig, wie Gavins Stimme sich dem Lied abwechselnd tänzelnd oder schwer wie Mehltau nähert. Perfekte Sythese von Anmut und Qual.
Mit "It's All Ahead Of You" schließt er den Zyklus. Es ist auratisch wahrscheinlich das intimste Lied, dass ich je hörte. Ganz direkt spricht Friday seine ehemalige Gefährtin hier an und gesteht - zwischen bleierner Verzweiflung und brüchiger Hoffnung pendelnd - seine Liebe vor den Augen der Welt. "It's all ahead of you, if you want it. It's all behind you, if you can let it go." Man kann ihm nur Glück wünschen.
Kurios: Die Ähnlichkeit in Klangfarbe und Phrasierung zwischen Bono und dem Freund, der Mr Hewson auch seinen Künstlernamen verpasste, ist zeitweilig selbst für beinharte und langjährige Friday/U2-Freunde nahezu erschreckend. Wer in der nächtlich poetischen Ballade "The Sun & The Moon & The Stars" beim 'Into-Part" noch weiß, wen er hier hört, muss wahrlich Hundegene in sich tragen. Sonst hat man da keine Chance.
Soll man es dem wenig informierten Teil der kontinentalen Medien nachsehen, dass man Friday seit Jahrzehnten bis heute gern und oft als stimmlicher Bono-Kopist darstellt? Er war mit seiner künstlerischen Vision all seinen Freunden schon mit 17 weit voraus, als er die Prunes gründet. Es ist sicherlich nicht Friday, der klingt wie ein anderer. Doch der spitzbübische Spaß, den beide wie kiechernde Teenie-Zwillinge bei solchen Verwirrungen der Außenwelt haben, sei ihnen gegönnt. Besser zwei große irische Stimmen als lediglich eine Nachtigall.
Bevor man nun glaubt, der irische Urgote sei komplett zum Trauerkloss mutiert, haut er uns zwei satte Groovenummern um die Ohren. "Perfume" glänzt als Floor versengendes Erotikpaket samt angedeutetem funky Touch. Die im Kontext etwas absurden - dennoch perfekt harmonierenden - Lalalala-Chöre erinnern dabei dezent an Peter Murphy-Verzierungen.
Das noch unkonventionellere "Where'd Ya Go? Gone" macht den Groovesack hernach richtig fest zu. Dieser schwül-sumpfige sowie Schäferstündchen kompatible Gotenfunk sollte sogar Freunden von Slys "There's A Riot Going On" gefallen.
Kein Wunder, dass Friday den kompletten Score für das Fiddy Biopic "Get Rich" schrieb. Der bleiche Ire erweist sich als deutlich schwärzer als so manche Blackmusic.
8 Kommentare
Eben noch als Meilenstein eingefordert, stehen sie hier schon wieder Pate: Joy Division. Und Mr. Murphy bleibt für dich dieses Jahr auch allgegenwärtig, hmm? Kann ich nachvollziehen, ist bei mir ebenfalls noch auf Heavy Rotation und unter den Top 3 diesjähriger Neuerscheinungen.
Die Rezension zu Gavin Friday klingt indes, als erwarte mich ein weiteres, nebelumzogenes, schwermütiges Herbstalbum... Ist ja okay, nach Sommer siehts momentan eh nicht aus und ich bin ja auch ein klassischer Herbstcharakter, dennoch ist nach solchen abgründigen Tiefen wie Peter Murphy eigentlich die Zeit reif für was lockeres, beschwingtes... Ach, drauf geschissen, deine Rezi klingt mal wieder überaus überzeugend und morgen ist eh Local-Recorddealer-Day angesagt...
ja, der ist heuer voll durchgestartet, geht weg wie warme Semmeln, Mannerschnitten und Powidlknödl zusammen....
die beiden klopper perfume und Where d' ya go? Gone!" (hammertitel in anbetracht der tatsache, w e r ihm da abgehauen ist) sind mehr sommer als andere komplette alben.
die werden dir spaß machen.
und wenn die dann nach 10 min durch sind, ist der sommer auch vorbei. zumindest hier oben bei mir.
Nur mal eine Frage am Rande: Was ist ein Alp?
sprachhistorisch: synomym für das denkbar fürchterlichste, welches in dir das blanke grauen hervorruft.
ist ne nordisch mythologische kiste, die sich seit dem mittelalter zum literarischen begriff gemausert hat.
Korrekterweise ist es "Albtraum". Nachtalben oder Nachtmare (siehe das englische Nightmare!) sind im Grunde kleine, bösartige Geister, welche einen im Schlaf piesaken und böse Träume ins Ohr flüstern.
Alptraum ist dementsprechend eine eher dümmliche Schreibweise. Aber gut, es steht ja im Duden, und der ist ja im Zweifel immer der Maßstab für sowas.