laut.de-Kritik

Elf Geschichten übers Entfliehen, Loslassen und Träumen.

Review von

Welch ausdrucksstarke Blues-Stimme seiner Kehle innewohnt, hat George Ezra bereits auf seiner erfolgreichen Debütplatte "Wanted On Voyage" bewiesen. Deren Hit "Budapest" katapultierte den damals gerade 20-Jährigen 2013 über Nacht an die Spitze der Charts - nicht nur in seiner Heimat Großbritannien, auch in Deutschland erreichte die erste Single-Auskopplung direkt Platin. Also schon mal ganz ordentlich für den Anfang. Jetzt stellt der Singer-Songwriter sein Nachfolgewerk vor, das offensichtlich der Aufgabe bestehen muss, aus dem großräumigen Schatten seines Vorgängers hervorzutreten.

Die Entstehungsgeschichte von "Staying At Tamara's" nimmt ihren Anfang 2016, als sich Ezra nach zahlreichen Konzerten zunächst von den großen Bühnen Europas verabschiedet. In dem politischen Chaos irgendwo zwischen der Wahl von US-Präsident Trump und dem Brexit fehlt dem Sänger in England bald die Gelassenheit für musikalisch kreativen Output. Er entschließt sich daher für einen Tapetenwechsel: Bei Airbnb-Partnerin Tamara in Barcelona findet der 24-Jährige dann für einen Monat nicht nur gewissermaßen Zuflucht, sondern genauso Inspiration.

Zurück in der Heimat bastelt Ezra anschließend mit Songwriting-Partner Joel Pott, der ihn auch schon auf seiner Debütplatte unterstützte, wieder an neuer Musik. Am Ende erzählt dieses Reisetagebuch dann elf Geschichten vom Entfliehen, Loslassen, aber vor allem vom Träumen. Letztlich bilden die Texte also einen selbstbewussten Gegenpol zu den äußeren Turbulenzen - Politisches wird zu Persönlichem, Äußeres zu Innerem. Kunst eben.

Schon die erste Single "Don't Matter Now" beschreibt einen Feel-Good-Song par excellence, der ohne mühseligen Tiefgang die persönliche Ausgeglichenheit feiert: "Build a castle out of sand / It wont last and it wont stand / It dont matter now." Zwischen einfachen Kadenzen und freudigen Bläser-Klängen illustriert zudem ein kurzweiliges Bass-Solo als das Einzige der Scheibe die Alles-Egal-Attitüde.

Während auch der Opener "Pretty Shining People" mit eingängiger Melodie und Hymne im Backgroundchor gute Laune generiert, reist Ezra bei "Shotgun" als "Beifahrer" durch die Welt - mit einer dominanten Tuba drängt die Musik dabei fast schon ins Volkstümliche. Dass der 24-Jährige bei all dem kaum mal einen Moll-Akkord greift, stört nicht besonders.

Insgesamt präsentiert sich der Singer-Songwriter auf seiner neuen Scheibe spielfreudig und fühlt sich auch in den benachbarten Genres von Country, Folk und Blues pudelwohl. Dabei fügen sich die unbeschwerten Melodien ganz natürlich in die Gitarrenharmonien, während die Impulse der Drums den Anspielstationen den nötigen Schwung verleihen.

Das Spektrum des Briten beschränkt sich allerdings nicht nur auf Wohlfühl-Pop in Dur; in den entschleunigten und melancholischen Songs der Platte beweist Ezra, dass seine Vocals in Verbindung mit fast kammermusikalischer Instrumentierung noch an Ausdruckskraft gewinnen. So erzählt der Singer-Songwriter in "Hold My Girl" eine Liebesgeschichte in Form eine Piano-Ballade, die - wie er auf einem Konzert verrät - seinen Lieblingssong der Platte darstellt. Nicht nur hier offenbart er emotionalere Themen - doch auch weder in "Sugarcoat" noch in "All My Love" läuft Ezra dank seiner Authentizität wirklich Gefahr, in Kitsch-Gefilde abzurutschen.

Ermutigende Gedanken belegen dann die schwebenden Piano-Klänge von "Only A Human": "You can run, you can jump / Might fuck it up / But you can't blame yourself / No, you're just human". Kleines Songwriter-Schmankerl am Rande: Im Chorus schiebt sich immer wieder ein 3er-Takt in den 4/4-Rhythmus, was dem leichtfüßigen Refrain Charakter verleiht.

Mit "Staying At Tamara's" legt George Ezra auch die letzten Überreste eines möglichen One-Hit-Wonder-Images ad acta und etabliert sich in der Musikwelt als Singer-Songwriter, der sich nicht nur auf seine markante Stimmfarbe, sondern vielmehr auf abwechslungsreiche und ausgeklügelte Songs verlässt. Die eben auch mal träumen wollen.

Trackliste

  1. 1. Pretty Shining People
  2. 2. Don't Matter Now
  3. 3. Get Away
  4. 4. Shotgun
  5. 5. Paradise
  6. 6. All My Love
  7. 7. Sugarcoat
  8. 8. Hold My Girl
  9. 9. Saviour (feat. First Aid Kit)
  10. 10. Only A Human
  11. 11. The Beautiful Dream

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1 Kommentar

  • Vor 6 Jahren

    man nehme den guten teil von mumfort and sons, das erste album von denen war top, kippt noch ein bisschen san fermin rein (warum die hier noch nie erwähnt wurden, werde ich nie verstehen) und heraus kommt ein 8/10 album.
    sehr, sehr gut!