laut.de-Kritik

Wir sind alle Hologramme.

Review von

Es gibt oft diesen einen Moment, in denen dich ein Album packt oder verliert. In denen du es aufgibst, dich in dieses Werk zu verbeißen oder eben genau weißt, dass das sowieso nicht mehr nötig ist. Fünf vollwertige und keinesfalls schlechte Songs braucht das neue Gorillaz-Album, bis es mich in seinen Fängen hat wie eine Vogelspinne. "I Am The Ghost!" reißt und rauscht und schreit uns da nämlich eine offensichtlich wahnsinnig gewordene Grace Jones entgegen, während um sie herum ein vertonter Elektroschock nach dem anderen durch den musikalischen Background zuckt. "Charger" heißt das Stück, der Gamechanger, der "Humanz" final kippen lässt und uns durchschießt wie Schüttelfrost.

Wenige Minuten später im Hörverlauf wird einem plötzlich klar, wie merkwürdig und doch durch und durch logisch dieses Konstrukt einer Band ist, das sich uns hier nach einer siebenjährigen Pause abermals offenbart. Denn eigentlich erscheinen die Gorillaz als ultimatives Produkt unserer digitalen Realität, ein total virtuelles Projekt, das sich durch einen einfachen Kniff von allem freimacht, was Pop und Popstars für gewöhnlich auszeichnet. Eigentlich müsste es viel mehr solcher Projekte geben, eigentlich müsste das Netz überquellen von Gorillaz-Klonen.

Tut es aber nicht. Musik bleibt auf Ebene der Präsentation explizit analog und stetig greifbar im Personenkult verankert. Das jetzt ausgerechnet ein Britpopper der Marke Damon Albarn eher beiläufig als revolutionärer Experimenteur in Erscheinung tritt, macht das Ganze nur noch seltsamer. Zumindest oberflächlich.

Kratzen wir den aufgestrichenen Lack von den Gorillaz, stellen wir schnell fest, dass uns das Musikfleisch, welches da sehnig an den Kompositionsknochen klebt, wirklich blutig und fleischig erscheint. Real, ganz klar. Und keineswegs so digital und surreal, wie es uns die Pressetexte und vielleicht auch der eigene Verstand zunächst vorgaukelten. Hinter den Pixelvorhängen versteckt sich eine einigermaßen normale Band, die mit Vorliebe Stile vermischt und vor allem eine massive Faszination für Hip Hop nie verbergen kann – da hat sich auch auf "Humanz" nichts geändert.

Die oft zugesprochene Revolution bleibt abermals aus. Alles halb so wild, halb so kompliziert, halb so bahnbrechend. Was bleibt, ist diese schier erdrückende Coolness des Sounds, die sich auf dem 20 Stücke starken "Humanz" über die gesamte Laufzeit aber ein Stück weit verliert. Oder eben abnutzt. Vielleicht wäre es an dieser Stelle besser gewesen, die überflüssigen Intros und Interludes zu streichen, die das Album künstlich aufblähen.

Trotzdem bockt "Humanz" extrem. Alles hier schreit nach: Einlegen. Losfahren. Genießen. Eintauchen. Auftauen. Albarn indes schwimmt sich frei von allen Altlasten und genießt es hörbar, sich gleichermaßen als Kendrick Lamar und Trent Reznor und John Lennon inszenieren zu können. Das sind die Vorteile der virtuellen Realität.

Gorillaz-typisch wirkt "Humanz" abermals wie eine aus dem Ruder gelaufene Pool-Party. Die Liste der Gaststars erscheint traditionell grandios bis exquisit und entscheidender Teil des Konzepts. Genau genommen gibt es mit "Busted And Blue" nur einen einzigen Track, der ohne direkt ersichtliche Fremdeinwirkung auskommt und der auch deswegen vollkommen überzeugt. Total reduziert bei gleichzeitiger Überladung entrollt sich ein hyperentspanntes Stück, das butterweich vor sich hin schaukelt, getragen von Albarns gewohnt verzerrter Stimme und zuckelnden Effekten im Hintergrund. Frontmann 2D assoziiert sich im Text zum Satelliten und abstrakten Himmelskörper: "I was asked by a computer/ A shadow on the wall/ An image made by Virgil/ To rule over us all". Ein essentielles Teil.

Die Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung entpuppt sich also schnell als falsche Fährte. "Humanz" besticht in seinen Diskursblasen als dystopischer Kommentar zu einer durch digitalisierten Welt, in der ein Milliardär Präsident werden kann, weil er Milliardär ist. So gab Albarn im Interview mit dem Deutschlandfunk zu Protokoll: "Ich habe mir vorgestellt, wie die nahe Zukunft aussehen würde und wie es wäre, wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahlen in den USA gewinnt. Und wie es wäre, wenn wir dann plötzlich alle unsere Menschlichkeit verlieren und zu digitalen Geistern werden." Soll heißen: Heute sind wir alle Hologramme. Wie die Band selbst.

Innerhalb der Playlist dominieren vor allem jene Namen, die bei den versammelten Hip Hop-Heads das Wasser im Mund gerinnen lassen. De La Soul, als einziger Vertreter der alten Schule, präsentieren sich auf dem wirklich überdrehten "Momentz" wie eine Gruppe hungriger Newcomer, die nur so danach giert, sich zu beweisen und auszuprobieren. Der irgendwie immer noch unterschätzte Vince Staples leitet das Album auf "Ascension" besonders prägnant ein – Albarn gibt ihm extrem viel Platz, alle Beatspielereien bleiben bewusst skizzenhaft.

Danny Brown indes passt mit seinem irrwitzigen Part absolut perfekt zur kunterbunten Süßigkeiten-Sound-Tüte, die ihm die Gorillaz mit "Submission" reichen. Die ganz und gar unhörbaren Gesangsequenzen von Kelela machen das Stück leider zum vielleicht größten Ausfall des Albums. Viel, viel besser funktioniert die Kombination Gorillaz – Rapper – Sängerin dann auf herausragenden "Let Me Out": Pusha T wird zunächst mit dem härtesten Beat des Album bewaffnet und beballert diesen standesgemäß, ehe die nunmehr 77-Jährige Soulsängerin Mavis Staples Hand in Hand mit Albarn das Gesamtgebilde mit immenser Gravitas vernäht. "You got to die a little if you wanna live/ Change coming/ You'd best be ready for it!"

Trackliste

  1. 1. Intro: I Switched My Robot Off
  2. 2. Ascension (feat. Vince Staples)
  3. 3. Strobelite (feat. Peven Everett)
  4. 4. Saturnz Barz (feat. Popcaan)
  5. 5. Momentz (feat. De La Soul)
  6. 6. Interlude: The Non - conformist Oath
  7. 7. Submission (feat. Danny Brown & Kelela)
  8. 8. Charger (feat. Grace Jones)
  9. 9. Interlude: Elevator Going Up
  10. 10. Andromeda (feat. D.R.A.M.)
  11. 11. Busted and Blue
  12. 12. Interlude: Talk Radio
  13. 13. Carnival (feat. Anthony Hamilton)
  14. 14. Let Me Out (feat. Mavis Staples & Pusha T)
  15. 15. Interlude: Penthouse
  16. 16. Sex Murder Party (feat. Jamie Principle & Zebra Katz)
  17. 17. She's My Collar (feat. Kali Uchis)
  18. 18. Interlude: The Elephant
  19. 19. Halleujah Money (feat. Benjamin Clementine)
  20. 20. We Got The Power (feat. Jehnny Beth)

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14 Kommentare mit 20 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Ist da nicht auch diese Rap-Gruppe "Deltron" irgendwie verwickelt?

  • Vor 6 Jahren

    Tut mir Leid, aber aus meiner Sicht "bockt" das Album überhaupt nicht. Im Gegenteil, über weite Strecken nervt es mich einfach nur und ich will sagen "geh bloß weg damit!".

    Wirklich Gut finde ich im Grunde nur die vorab veröffentlichen Songs. Alles andere verliert sich zu sehr in der eigenen Kreativität und in iPad-Sounds, die schon das ebenfalls furchtbare "The Fall" hervorgebracht haben (von dem ich damals dachte, es sei nur ein Gag).

    Und ich glaube, es ist so ein Fall, den sich viele Kritiker und vielleicht auch Hörer irgendwie schönreden - im Sinne von "Es ist so experimentell...es muss voll intelligent und gut sein!".

    • Vor 6 Jahren

      Nun ja... du musst ja recht haben.

    • Vor 6 Jahren

      Ist alles sehr schade! Bin oder war mal ein großer Freund von Albarn. In den letzten Jahren ist sein Material aber irgendwie saftlos und beliebig. Das hier wirkt eher wie ein Party-Sampler als eine richtige Platte mit einer Idee, die unbedingt raus muß (siehe noch: Plastic Beach). Am besten hat er mir in letzter Zeit auf der Platte gefallen, mit der er am wenigsten zu tun hatte - die letzte von Blur.

    • Vor 6 Jahren

      @Ragism An Plastic Beach kommt eh nix ran.

  • Vor 6 Jahren

    Die Plastic Beach war noch wirklich geil. Das hier verliert sich zu häufig in den ekelhaftesten Bereichen moderner elektronischer Unterhaltungsmusik, da ist Autotune nur der Anfang vom Unfug. Ab und zu blitzen noch schnieke Momente durch, aber zu häufig denke ich an die Playlist eines 19jährigen, der mit zu viel Axe in den Augen gegen nen Baum gefahren ist.

  • Vor 3 Jahren

    Nach so langer Abstinenz war Humanz eine riesige Enttäuschung. So viele Features, so viel Hip-Hop, wenig vom Gorillaz-Sound. Klar, Rapper gab es schon immer auf Gorillaz-Tracks, gerade die ganz bekannten, aber die Figur des 2D aus vielen Songs komplett rauszustreichen oder einfach nur als Beiwerk einzufügen, hat dem Projekt nicht gerade gut getan. Und Momentz mit De La Soul ist einfach mal einer der nervigsten Songs, die ich je gehört habe.

    Auch retrospektiv würde ich klar sagen, dass Humanz das schwächste Album der animierten Band ist und die 4 Sterne eine Überbewertung darstellen. Die Songs haben nicht den typischen Gorillaz-Vibe, und die Zusammenstellung der Songs erinnert mehr an die eines DJ Khaled, der mal experimentellere Songs veröffentlichen will. Zumindest das, was er unter "experimentell" versteht.

  • Vor 3 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 3 Jahren

    Der Kelela-Kommentar am Ende der Rezension ist absolut ungerechtfertigt. Hat doch ne super angenehme Stimme... Da find ich Jehnny Beth in We Got the Power um einiges nerviger.