laut.de-Kritik
Ein ganz persönlicher Herzschmerz.
Review von Jasmin LützMit 40 kann man schon mal fremd gehen. Denn in diesem Alter fängt das Leben erst so richtig an ... Ein Frontmann einer Band geht also alleine ins Studio und lädt befreundete Gastmusiker ein (u.a. Pete Jobson von I Am Kloot am Bass und Gitarrist Nathan Sudders von The Whip, sein ganz persönliches Album einzuspielen. Das kommt in den besten Bandgeschichten vor.
So auch bei Elbow, die seit mehr als 20 Jahren mit ihren wunderbaren Songs beglückt. Sänger Guy Garvey überrascht auf "Courting The Squall" mit neuen Klängen und lässt noch mal tiefer in seine Seele blicken. Dieses Solowerk ist sein ganz persönlicher Herzschmerz.
Der Brite ist bekennender Jazz- und Blues-Liebhaber, das hört man gleich zu Beginn. Die Singleauskopplung "Angela's Eyes" ist eine überraschende Funky-Groove-Nummer, denn mit diesem Mann verbindet man ja doch erst mal schöne Elbow-Pophymnen. Der ein oder andere Indie braucht eben immer etwas länger, aber spätestens nach dem Refrain ist man drinnen im großen Garvey-Universum und steht auf den schrägen 70s-Sound, den der Mann in die Tasten haut.
Seine unfassbar warme Stimme hüllt eh immer wieder ein. Und so ist der eingefleischte Indie dann auch gleich happy, als er den Titeltrack "Courting The Squall" hört und dieser tief emotionalen Ballade gleich sein Herz schenkt. Gleiches gilt für "Unwind" und "Broken Bottles And Chandeliers". Hier schwelgt man gemeinsam mit Guy in Erinnerungen - der einfühlsam romantische Songschreiber lässt seinen Emotionen freien Lauf.
Er schreibt über die Liebe, Freundschaften, die sich fügen und wieder auseinander gehen. Seine vielseitige Beobachtungsgabe beeinflusst seine Songs. Vielleicht auch das ein oder andere Glas Wein, aber merke: "Alkohol hilft nicht beim Schreiben". Dies sagte Guy erst kürzlich in einem Interview im Guardian. Ob das ernsthaft oder ironisch zu verstehen ist, bleibt offen.
Um ein weiteres Klischee zu bedienen, Engländer beobachten in ihrer Freizeit gerne Vögel ("Bird Watching"). Die meisten Aufnahmen von "Courting The Squall" wurden in den Real World Studios aufgenommen. Die Räumlichkeiten befinden sich in einer sehr ländlichen Gegend im Norden Englands, und hier wurde wohl ein Graureiher aus dem Fenster beobachtet, dessen Anblick den Song "Juggernaut" beeinflusst haben soll. Auch eine neue Erfahrung für den 'Fremdgeher', denn im Studio wurde generell ziemlich viel improvisiert und live eingespielt.
Mit der amerikanischen Folk- und Bluessängerin Jolie Holland gibts in "Electricity" ein wunderbares Duett. Dazu gönnt sich der Hörer bitte ein gutes Glas Wein und beamt sich direkt in eine verrauchte Jazzkneipe. Passt hervorragend in den tristen Herbst - und die zerkratzten Platten von Billie Holiday werden wieder rausgekramt. Auch die von Tom Waits, den man in diesem Zusammenhang nicht vergessen sollte. Wäre das komplette Album im Jazz-Blues-Stil gehalten, würde es bei einem Glas Wein allerdings nicht bleiben.
Aber auch "Three Bells" sorgt für einen letzten Gänsehauteffekt und Rotweinflecken auf dem Teppich: ein krönender Abschluss mit beinahe besinnlichem Chorgesang. Wenn Fremdgehenimmer so gut klingt, dann sollte das bitte jeder Frontmann mal ausprobieren. Und der zu Beginn noch skeptische Indie-Honk, ist jetzt noch mehr verliebt in den Künstler, aber vor allem in den Menschen Guy Garvey.
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