laut.de-Kritik
Balanceakt zwischen intuitiven Ausbrüchen und ausgefeilten Details.
Review von Manuel BergerSchon mit dem ersten Vocal-Loop zieht Nandi Rose aka Half Waif in den Bann. Selbst nach einigen Monaten inniger Beschäftigung lässt sich dieses nur 35 Minuten lange Referenzwerk nicht vollständig greifen. Nicht weil die Strukturen sperrig oder die Arrangements zu opulent wären. Im Gegenteil: Den Zugang zum Album findet man leicht. Der Klangraum wirkt vertraut. Er lädt ein, sich darin zu verlieren. "Going nowhere fast now", bringt sie es im Eröffnungsmantra auf den Punkt.
Zum Schreiben des Albums übte sich Rose – schon bevor ein Ding namens Covid-19 kursierte – in Isolation. Nach Jahren in New York City zog sie aufs Land (Hudson Valley). Statt wie noch beim Vorgänger "Lavender" die Lieder mit weiteren Musikern auszuarbeiten, komponierte und arrangierte sie "The Caretaker" dort in Eigenregie. Erst als alle Stücke standen, wählte sie Co-Produzent David Tolomei für den Feinschliff und die Aufnahmen organischer Instrumente.
Die geänderte Herangehensweise ans Songwriting kombiniert sie mit dem bewussten Einlassen auf einen neuen Lebensabschnitt. Vorbei sind die Twens im Big Apple; frisch verheiratet reflektiert Rose ihre Identität: "I'm bidding goodbye to my 29th year / And a body that's full of thorns", singt sie in "Generation". "Here's to corners I've turned and levels I've cleared / I couldn't have done it before." Der Text basiert auf einem Gedicht ihres Vaters, das im Homestudio neben Fotos von Joni Mitchell und der Patin von "Lavender" hängt, Roses indischer Großmutter.
Die Figur des 'Caretakers' birgt mehr als "nur" eine Projektion ihres Innenlebens. Während sie sich etwa in "Clouds Rest" auf sich und die Akzeptanz ihrer Selbst konzentriert, spricht sie in anderen aktiv Geliebte, Familie, Freunde oder ganz einfach den Hörer an. "You" spielt für die Geschichte von "The Caretaker" eine ähnlich große Rolle wie "I". Schon aus ganz pragmatischen Gründen: "When I get uninspired / I'm gonna write you into my song."
Besonders macht "The Caretaker" dennoch weniger was Rose singt, sondern wie sie es singt. Die Vocals bilden das Herz der Platte; eingängige, aber unbeeindruckt von gängigen Strophe-Refrain-Schemata geformte Melodieschwünge. In hohen wie in tiefen Tonlagen, und auch in eher niedergeschlagenen Passagen strahlt Rose immense Wärme aus. Sie balanciert zwischen intuitiven, gefühlsbetonten Ausbrüchen und ausgefeilter Polyphonie, beherrscht üppige Arrangements ("Halogen 2") ebenso wie die Intimität einer Klavierballade ("Brace"). Durch mantraartiges Wiederholen einzelner Zeilen, etwa der eingangs erwähnten aus "Clouds Rest", entstehen Hooks. Diese Loops gestaltet Rose als Variationen mit distinktiver Instrumentierung, so dass die Kompositionen nie stillstehen.
Die Instrumentals entpuppen sich als ebenso vielschichtig wie ihr Gesangsvortrag. Das Bild eines Synthpop-Albums, das sich zunächst aufdrängt, verwischt zusehends. Flöte, Klarinette, Geige, Kontrabass und Gitarre übernehmen zwar nie tragende Rollen, sondern fungieren als Harmonieinstrumente im Hintergrund, prägen die oft melancholische Gesamtatmosphäre aber entscheidend. Bei "Blinking Light" lockert Rose ebendiese mit einer cleveren Kombination aus Banjo, Streicher und quirligem Synthesizer auf. Auch einige Field Recordings schafften es in den Mix.
Half Waif baut auf der Soundkulisse der früheren Alben "Kotekan", "Probable Depths" und "Lavender" auf. Diesmal erreicht sie noch größere dynamische Bandbreite bei gleichzeitig wachsendem Pop-Appeal. So passt am Ende die Erkenntnis aus "Window Place" auch zu Roses musikalischer Entwicklung: "It's hard to believe, but I'm finding my way." Der kreuzt die Straßen so unterschiedlicher Künstler wie Agnes Obel, Fiona Apple, Charlotte Brandi, Angel Olsen und ihrem großen Vorbild Joni Mitchell, der sie sogar in den Liner Notes dankt, hat aber spätestens mit "The Caretaker" eine ganz eigene Route und Destination.
1 Kommentar
Die gefühlt zehntausendste Kate Bush, die in den letzten paar Jahren veröffentlicht. Ist zwar keine FKA Twigs, aber es kann sein, daß sie länger als eine Woche im Gedächtnis bleibt.