laut.de-Kritik
Momente der Stille inmitten des wuchtigen Bombasts.
Review von Dominik LippeDie Umstände erlaubten es nicht. Bereits im Herbst des ersten Corona-Jahres verschob Hans Zimmer seine Europa-Termine ins Frühjahr 2022. Es sei der "einzig richtige Weg", um den Menschen "eine großartige und unbeschwerte Live-Tournee zu bieten". Zumindest am zweiten Teil scheiterte der Komponist. Erst zwang ihn erneut das Infektionsgeschehen umzudisponieren, dann eskalierte der Ukraine-Konflikt. Als der Autor dieser Zeilen das Konzert in der Kölner Lanxess Arena besucht hat, lief die russische Invasion seit drei Wochen - mit spürbaren Auswirkungen auf "Hans Zimmer Live".
Sichtlich angefasst erzählte der Komponist, dass es nur wenigen Mitgliedern des ihn begleitenden Odessa Opera Orchestra gelungen sei, rechtzeitig das Land zu verlassen. Sie stünden aber in Kontakt. Das ehrliche Interesse dieses Antistars, dem Eitelkeit zumindest nicht anzumerken ist, zog sich durch den Abend. Immer wieder gab er biografische Abrisse über seine Bandmitglieder von The Disruptive Collective, etwa zur Chinesin Tina Guo, die mit ihrem futuristisch anmutenden E-Cello gehörig Eindruck hinterließ. "Hans Zimmer Live" dreht sich nun aber ganz um die Musik aus zehn Tour-Terminen.
Zwischen mystisch und folkloristisch leitet "Dune: House Atreides" aus Denis Villneuves visuell eindrucksvollem Science-Fiction-Film den Auftritt ein. "Wonder Woman Suite: Part 1" überstrahlt das zugrunde liegende Werk "Wonder Woman 1984" bei Weitem. Nach den feierlich majestätischen Einstieg vermittelt der zweite Teil das kriegerische Element des Amazonen-Volkes. Pathos und Schlachtrufe motivieren die Heldin, bis im bekanntesten Teil "Wonder Woman Suite: Part 3" elektronische Gitarren die kämpferische Versuchsanordnung bis zum siegreichen Finale vorantreiben.
E-Gitarren und kraftvolle Bläser wechseln sich mit elektronischen Spielereien in "Dark Phoenix Suite" ab, Hans Zimmers Beitrag zur X-Men-Reihe. Als glasklarer Höhepunkt des leidigen Superhelden-Genres dürfte aber wohl "The Dark Knight" gelten. Live prallt der Sound mit ungeheuerer Wucht auf die Besucherinnen und Besucher ein. Mit aggressiver Entschlossenheit fegt "The Dark Knight Suite: Part 1" die immer auch präsenten Selbstzweifel Bruce Waynes beiseite. Im zweiten Teil befehlen Chor und Schlagzeug dem getriebenen Batman dem anarchistischen Bösen die Stirn zu bieten.
Christopher Nolan treibt den Komponisten wiederholt zu Höchstleistungen. "Interstellar" verwandelt das Konzert in eine Andacht. Als einer der ohnehin besten Soundtracks des letzten Jahrzehnts lockt "Interstellar Suite: Part 1" das Publikum mit Sirenengesang in die Schwärze des Universums. Zimmer fängt sowohl die Einsamkeit als auch das Geheimnisvolle unendlicher Weiten ein. Es sind Momente der Stille inmitten des streckenweise aufdringlichen Bombasts. Schließlich gleitet der federleichte Gesang in sakrale Orgelklänge über, welche die Weltraumerkundung zur göttlichen Mission erheben.
Deplatziert bedeutungsschwanger kommt dagegen die Musik zu Zack Snyders Superman-Verfilmung daher. "Man Of Steel Suite: Part 2" huldigt in einem endlosen Gitarren-Solo dem titelgebenden Helden. Viel Raum nimmt auch "Fluch der Karibik" ein. Zimmer treibt den dynamischen Score vorwärts, bis er in "Pirates Of The Caribbean Suite: Part 3" im populären Hauptthema gipfelt, das ebenso effekthascherisch ausfällt wie das gesamte Franchise. Und auch "Dunkirk: Supermarine" klingt etwa im Vergleich zu Volker Bertelmanns "Im Westen Nichts Neues" zu sensationshungrig für einen Kriegsfilm.
Vereinzelt tappt Zimmer in Klischee-Fallen. "The Last Samurai Suite: Part 1" flötet sich gedankenverloren gen Fernost, bevor es im dritten Teil überzogen rührselig ausklingt. Auch die Weltmusik aus "Der König der Löwen" setzt mitunter auf stereotype Sounds - wenn auch eindrucksvoll. Schon 1994 brachte der südafrikanische Musiker Lebo M für Disneys "Hamlet"-Adaption traditionell afrikanische Instrumente ein und leitete einen Zulu-Chor. Bei den Tournee-Terminen von "Hans Zimmer Live" setzte ihn der Komponist in "The Lion King Suite: Part 1 'He Lives In You'" erneut prominent in Szene.
Nach all dem Überschwang endet der Abend mit dem elegischen "Inception: Time" bescheiden am Piano. Hans Zimmer gelingt es, eine geradezu intime Atmosphäre in der Multifunktionshalle zu kreieren. "Lass es nicht wie ein Livealbum klingen, sondern einfach wie eine großartige Erfahrung", soll er seinem Produzenten Stephen Lipson erklärt haben. Die Mission des Komponisten ist auf dem Doppel-Album definitiv geglückt. Allenfalls erklingt einmal leiser Szenenapplaus, wenn das Publikum "The Dark Knight" wiedererkennt, sonst steht stets die fabelhaft klingende Musik im Vordergrund.
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