laut.de-Kritik

Jetzt regiert die Kunst der leisen Töne.

Review von

Jack is back. Nur drei Monate nach seinem vierten Soloalbum "Fear Of The Dawn" bastelt der blauhaarige Bluesrock-Tüftler aus den letztjährigen Nashville-Sessions seine Fünfte Sinfonie. Während die harten, experimentellen Klangexplosionen des Vorgängers nicht immer zueinander fanden, arrangiert White auf "Entering Heaven Alive" vermehrt ruhige Klänge zu einem stimmigeren, überzeugenderen Werk.

Ganz anders als bei der effektgeprägten Düsterästhetik von "Fear Of The Dawn" beleuchtet der zwölffache Grammy-Gewinner auf dem neuen, folkorientierten Album die verschiedenen Facetten der Liebe mit einem bevorzugt andächtigen bis herzlichen Ton. Wahrscheinlich beflügelt durch Whites Beziehung zur jetzigen Ehefrau Olivia Jean sowie durch seine unbändige Leidenschaft fürs Musikmachen (The White Stripes, The Raconteurs, The Dead Weather), erscheint das Phänomen der Liebe in stimmungsvoller Stilvielfalt als Wegweiser und Helfer ("A Tip From You To Me", "All Along The Way", "Help Me Along") aber auch als Egoist ("Love Is Selfish"). Sie zeigt sich besorgt ("A Tree On Fire From Within") und belagernd ("I've Got You Surrounded (With My Love)", zuckersüß ("Queen Of The Bees") und über allem als transzendente Kraft ("Please God, Don’t Tell Anyone").

Wie sehr "Entering Heaven Alive" eine Kehrseite zum Vorgänger entwirft, illustriert gleich das einleitende Songtrio. Wo auf der Rockplatte exzessive Soundattacken den Zutritt erschwerten, öffnet sich hier gastfreundlich die Tür. Über verführerische Pianoklänge und wallendes Rock n’Roll-Pathos erteilt "A Tip From You To Me" großzügig Ratschläge für ein zufriedenes Leben, die kokett die Grübeleien des April-Releases in Frage stellen ("Ask yourself if you are happy / And then you cease to be”).

Mit folkloristischer Intensität zeichnet "All Along The Way" auf einem stählern hallenden Cash-Zupfmuster ein Hänsel-und-Gretel-Szenario ("We're not dumb / We'll leave crumbs / All along the way"), das den Gothic-Stil des Vorgängers geschickt ins Hoffnungsvolle wendet. Vor allem "Help Me Along" sprengt was Hörerfreundlichkeit angeht alle Erwartungen. Mit anlehnendem Wurlitzer-Piano und herzergreifenden Streicherverzierungen liefert White eine Easy Listening-Liebeserklärung zwischen den Beatles und Burt Bacharach, die den Hörer wortwörtlich an die Hand nimmt ("If you need help / And your hand is empty / I'll give you my help / By holding your hand").

Am stärksten punktet "Entering Heaven Alive", wenn Jack White alten Traditionen neues Leben einhaucht. "Love Is Selfish" brilliert als konzentrierte Akustikballade, bei der White aus altbekannten Bluesharmonien und verblassten Metaphern von Zügen und Segelbooten eine enorme Strahlkraft zurückholt. "Please God, Don't Tell Anyone" inszeniert mit perfekten Akzenten eine mitreißende Outlaw-Geschichte zwischen Bußgesang und Western-Saloon.

"A Tree On Fire From Within" stellt den vielleicht mutigsten Track des Albums: Mit einer im weiten 80s-Pop-Hall ausgestellten Pianomelodie und einer spielerisch kitzelnden Basslinie entsteht ein unwiderstehlicher Rocksong, bei dem Whites Storytelling archaisch zu Maria und Moses zurückreicht, inmitten eines unendlichen Prozesses des Weitererzählens ("Well, there's a story / I would like to tell / But I don't know / Where to begin / Well it's pretty on the surface / But it doesn't have an end / Like a tree on fire from within").

Selbst experimentelle Techniken, die auf "Fear Of The Dawn" leider zur Flutung von Liedern beitrugen, dienen hier dem Wesen der Songs und der Dynamik des Albums. "I’ve Got You Surrounded (With My Love)" bietet eine willkommene Psychedelia-Meditation zur Albummitte, die schimmert und schaukelt und schneidet. Auch auf Becks Spuren veranstaltet "A Madman From Manhattan" im Bossa-Nova-Rhythmus eine entspannte Reise in Alices Wunderland, die White geradezu als Rapper anführt (“But this cat was not like / This or that / But that”).

Dass sich "Entering Heaven Alive" und "Fear Of The Dawn" stark aufeinander beziehen, bringt das Finale nochmal deutlich auf den Punkt. "Taking Me Back (Gently)" variiert den Rockkracher des Vorgängeralbums zu einem akustischen Folk-Arrangement, das fast nach Klezmer klingt. Die allerletzten Töne von "Entering Heaven Alive" sind die gleichen wie die ersten Töne von "Fear Of The Dawn". Das zweite Album kreist zurück zum ersten. Zusammen bieten die beiden Longplayer ein beeindruckendes Spektrum, ja ein richtiges White-Album.

Trackliste

  1. 1. A Tip From You To Me
  2. 2. All Along The Way
  3. 3. Help Me Along
  4. 4. Love Is Selfish
  5. 5. I’ve Got You Surrounded (With My Love)
  6. 6. Queen Of The Bees
  7. 7. A Tree On Fire From Within
  8. 8. If I Die Tomorrow
  9. 9. Please God, Don’t Tell Anyone
  10. 10. A Madman From Manhattan
  11. 11. Taking Me Back (Gently)

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1 Kommentar mit 3 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Ist längst nicht so gut wie der Vorgänger. Liegt aber auch daran, daß kein Mensch mehr neue Folksongs braucht. Herr Smith hat das Genre vor 25 Jahren zur Perfektion gebracht, und es allen anderen Musikern verunmöglicht, damit nicht zu langweilen.

    • Vor 2 Jahren

      "daß kein Mensch mehr neue Folksongs braucht."

      doch, ich! aussage widerlegt!

    • Vor 2 Jahren

      Sehr geehrter Herr rummelbumms99,

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      i.A.
      Bürgermeister von Weazel-Town