laut.de-Kritik

Till Lindemanns Support singt über Liebes-Junkies und Mörder.

Review von

Bei Künstlerinnen wie Jadu bin ich immer froh, keine Genre-Grenzen bedenken zu müssen. Ob "Modus Operandi" Trip Hop oder Pop mit Industrial-, Electro- und Rap-Elementen ist, ob hier Gothic-Feeling durchscheint oder manche Dissonanzen auf Post-Punk verweisen - ich bin keine Rechenschaft schuldig, etwas Unpuristisches toll zu finden. Gerade solche Platten fallen oft durchs Raster, wenn sie für Indie-Medien zu poppig und smooth und die Pop-Outlets gleichzeitig zu alternativ und düster klingen. Die Singer-Songwriterin aus Berlin nennt ihr Genre Darkpop oder Military Dreampop.

Ihr Stilmix klingt jedenfalls perfekt. Klare und geheimnisvolle Charakterzüge mischen sich glanzvoll. Im Schwung der Songs lauert viel Tristesse, in den ernsten Szenarien vibriert ordentlich Witz. Jadus Umgang mit der deutschen Sprache beeindruckt mit Leichtigkeit und Flow.

Die 34-Jährige arbeitet mit Geräuschen, Spoken Word und filmartigen Dialog-Intros wie beispielsweise in "Mittellandkanal". Aber, Triggerwarnung: Man muss mit makabren Textstellen klar kommen. "Aus der Schädeldecke da quillt das Hirn raus wie Tatar", derlei kontrastiert Jadu mit klimperndem Cooljazz-Piano.

Ein Großteil der Platte verpackt die geballte Düsternis in zart instrumentierte und langsam gespielte Balladen. "Ikarus" erzählt von der illusionären Suche nach dem Paradies im Metaphernkontext von Ikarus, der im Übermut der Sonne zu nahe kommt und jämmerlich abstürzt. Die Nummer perlt mit Akustikgitarre und Loops als ruhiger, konzentrierter Zuhör-Track, und legt die ausgesprochen warme und schöne Stimme der Künstlerin offen.

"Freitag" ist ein mehr geraunter, gesprochener Tune über das Verführerische des teuflischen und maskenhaften Bad Guys, dem Hetero-Frauen manchmal bereitwillig erliegen. Jadu geht in ihrer kruden Bildsprache so weit, aus dem Lover einen Mörder zu machen. Es bleibt doppeldeutig, ob dieser Luzifer-Gespiel nur den freien Willen der Verführten bricht, wenn Jadu mit verklärender Romantik spricht "Du schlägst mir die Schädeldecke ein" und kurz darauf paradoxer Weise das Mantra "Alles, was ich will, bist du" aufsagt. Doch im anschließenden Track schlüpft sie in die Rolle der "Frau Hauptkommissarin" und begutachtet tatsächlich eine Leiche, die im "Mittellandkanal" schwimmt. So überdeutlich vieles auf dem Album auch formuliert ist, so viel bleibt andererseits der Fantasie der Hörer*innen überlassen.

"Stockholm" wählt fürs Arrangement romantisch jubilierende Streicher, ein hastig tickendes Metronom und zum Ende hin einen barocken Chor. Die Lust am Jenseits gerät zur absurd-komisch zelebrierten Party: "Stoßgebet und Totentanz, welch sinnlicher Erguss, dein Dolch sinkt tief in meine Brust, an einem Sonntag im August." Die Lied-Heldin lobt die Intimität mit dem Teufel: "Ach, geliebter Schattenmann, tu, was du tun musst / mein Haupte krönt ein Dornenkranz / du ehrest dein'n Verlust. / Die Haut in feinem Morgenglanz / umhüllt von Tannenduft / ein Dolch in meiner kalten Brust."

Mit solchen altdeutschen Formulierungen wie "mein Haupte krönt ein Dornenkranz" und Mittelalter-Referenzen wie dem Tannenduft, den viele von uns gar nicht mehr kennen, passt Jadu zu Rammstein. Für Till Lindemanns Solotour spielte sie mit ihrer Band 2020 Support.

Ironisch, dass ausgerechnet sie ein Faible fürs Deutschtümeln hegt, gleichwohl sie in "Frau Von Welt" heiser angeraut die Identität als "Königin Afro-Germania" besingt und Kritik übt: "Deutschland funkt / viel Symbolik wenig Inhalt." Und so wie sie "funkt" singt, hört es sich an wie "fuckt". Während "Lava + Eis ft. Marsimoto" und das fast neun Minuten lange Medley "Flaggen Auf Halbmast" durch arg viel Cello und Kammermusik stolzieren, punktet die originelle Songautorin dagegen in den kräftigeren, markigen und schnelleren Stücken.

Das Junkie- und Spieler-Psychodrama "Modus Operandi" mit dröhnenden Drum'n'Bass-Elementen zieht schon anfangs mit Macht in die Platte und ihre eigentümliche Welt hinein. "Ich bin drauf, ich bin dran, ich bin drüber! / Der Abgrund ist ein mieser Verführer / Pater Paternoster / ich hab nichts zu verlieren / selbst meine Schutzengel rotieren (...) Luzifer erwischt mich in flagranti / ab in den Fahrstuhl, avanti, avanti." Wenn ich mir das Bild mit dem Lift so vorstelle, muss ich an Prince und seinen ominösen Tod denken. Eigentlich geht es der Wahlberlinerin zufolge um die Sucht nach einem bestimmten Liebesmuster. Man kann sich der Magie dieser Songtexte nur schwerlich entziehen, selbst wenn man nicht jede Chiffre entschlüsselt. Die Hauptstädterin kombiniert plakativ mit überraschend, super-konkret mit wabernd-abstrakt, urgermanischen Wortschatz mit Fremdwörtern, und alles hat hohe Reim-Qualität und einen bezirzenden Sprachfluss.

Hinzu kommt die Modulationsbreite von Jadus Vocals zwischen mädchenhaft ("Modus Operandi", "Lava + Eis ft. Marsimoto") Femme Fatale ("Frau von Welt"), seufzend ("Freitag"), folk-soulig ("Ikarus"), verrucht flüsternd und cool spittend ("Gefährliche Männer"), dunkel und jäh rockend ("Eiskalte Engel"), süß, hell und intim ("Stockholm"), shoutend ("Abwärts ft. Dissy") und Musical-artig theatralisch ("Flaggen Auf Halbmast"). Aus diesem abwechslungsreichen Werk zwischen Heiterkeit und Abgrund kann man sich vieles herausziehen. In meinem Fall sind es die trip-hoppigen Abschnitte und die charismatische Stimme.

Wer selbst eine afrodeutsche Frau ist oder auf der Lindemann-Tour live dabei war, gerne Krimi-Hörspielen lauscht oder auf gute deutsche Gedichte steht, mag wieder andere Zugänge finden. Jedenfalls verblüfft "Modus Operandi" als offenes und handwerklich herausragendes, fantasie- und humorvolles Album für eine ganz diffuse Zielgruppe.

Trackliste

  1. 1. Modus Operandi
  2. 2. Gefährliche Männer
  3. 3. Freitag
  4. 4. Mittellandkanal
  5. 5. Eiskalter Engel
  6. 6. Stockholm
  7. 7. Abwärts ft. Dissy
  8. 8. Lava + Eis ft. Marsimoto
  9. 9. Flaggen Auf Halbmast
  10. 10. Ikarus
  11. 11. Frau Von Welt

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