laut.de-Kritik
Spannende Einzelstücke stechen raus aus Alabamas Blaupause.
Review von Philipp KauseWas John Fogerty von CCR zu dieser Platte sagen würde, wäre maßgeblich. Jason Isbell, Frontmann der 400 Unit, nennt ihn gerne als prägenden Einfluss. Schneidende Gitarren-Riffs wie in "When We Were Close" weisen durchaus die Straightness und Bissigkeit von Fogertys 80er-Soloalben auf. Ohne Eighties-Moden.
"Weathervanes" (zu deutsch "Wetterfahnen") kann sich rühmen, mit seinem klassischen, geradlinigen Spiel frei von Moden zu sein. Fogerty würde aber wohl empfehlen: 'Erzähl mehr Geschichten!'. Bereits der Gruppenname gäbe dafür Stoff. Die '400 Unit' bezeichnet in Florence, Kleinstadt in Alabama mit 40.000 Seelen, die Psychiatrie-Abteilung im Stadtkrankenhaus. Zur Psychiatrie hat Isbell einen gewissen Bezug, verfolgt er doch schon lange den Weg aus der Alkoholabhängigkeit.
Immer wieder kämpft er gegen Trigger-Faktoren, die seine alten Probleme gefährlich nah rücken lassen. Zuletzt stresste ihn das Social Distancing der Pandemie. In "White Beretta" singt er davon, er selbst zu sein. Er erinnert an eine schwierige Phase mit 19, formuliert derweil abstrakt und verklausuliert, "it was so many years ago and I didn't know - that ain't no excuse".
Der Grundansatz der Aufarbeitung erklärt einiges von der Schwermut der Platte und einem Gefühl, das man die gesamte Spieldauer nicht los wird: Diese Scheibe flüchtet vor sich selbst, befindet sich in einem ständigen Warmspiel-Modus, kommt aber nie an einem Höhepunkt oder kathartischen Wendemoment oder einem innehaltenden ruhigen Song an, sondern rattert im leicht gehobenen Midtempo unaufhörlich weiter und weiter. Dadurch eignet sie sich in nonstop-Dauer-Repeat auch passgenau für lange Auto- oder Zugfahrten. Um angerissene Themen wie Waffenbesitz, Heroinabhängigkeit, Schmerzmittelmissbrauch und Frauenrechte wieder zu finden, wie der Beipackzettel sie anteast, muss man indes mühsam und akribisch zwischen den Zeilen forschen.
Musikstilistisch greifen Termini wie 'Country' oder 'Rock' kurz. Angemessen dafür, dass Jasons Gruppe in der Nachbarstadt von Muscle Shoals musiziert, wo die Kollegen der Allman Betts Band die dort gelegenen berühmten Studios bemühen, atmet auch "Weathervanes" die Nostalgie des guten alten handgemachten Southern Rock mit E-Gitarrensoli, Vintage-Wärme, idyllischen Harmonien und Bereitschaft zum Wumms. Oft treten alle diese Bestandteile nacheinander in ein- und demselben Lied kristallklar hervor, beispielsweise in "Miles".
Zwischen den benachbarten Tedeschi-Trucks, Larkin Poe, Gov't Mule und am Rande auch Robert Jon And The Wreck und Lukas Nelsons Promise Of The Real halten Isbell und seine Frau, die Geigerin Amanda Shires, das große Erbe von Petty, Fogerty, den Allman Brothers und Konsorten hoch. Gut, dass die 400 Unit mit ihrer CD die Stildefinition gleich liefert: das ausgeprägte Band-Zusammenspiel, die führende Rolle einer Slide Guitar oder auf Halbtönen gezupften E-Gitarre, der allgemeingültige Anspruch der Texte und das Gefühl des Unterwegs-Seins und Ungebunden-Seins, (über)lange Songs und die dick ausgestattete Sound-Pracht, hier mit Mundharmonika, Congas, analogem Therevox-Synthesizer angereichert.
All diese Kriterien erfüllt jedenfalls "Weathervanes" und inszeniert sich damit als Idealtypus, als Musterbeispiel einer recht differenzierten und stimmungsvollen Musik. Man mag zwar kritisieren, dass sie gestrig und extrem amerikanisch ist und die Szene immer noch völlig männerdominiert.
Gönnt man sich aber mehrere Hördurchläufe, wird aus Isbells Album weit mehr als On The Road-Gebrauchsmusik für Traditionalisten. Die fesselnde Hook von "Death Wish" über die Liebe zu einer Suizidgefährdeten, bildstark vorgetragen in bebenden Vocals, macht da den Anfang. Die vertrackte Polyrhythmik und ansprechende Song-Aufteilung mit Brüchen und Instrumentierungswechseln im engagierten "Save The World" ist für jede Person, die gerne Rock jenseits der Toten Hosen mag, ein toller Ansatz.
Das fiebrig pulsierende "If You Insist", der Hard'n'Heavy-Blues "When We Were Close" mit fetten Amplifier-Reverbs und das orgelgetragene Psychedelic-Epos "Miles" strahlen weit über die engen Americana-Grenzen hinaus. Wenn man nicht so genau hinhört, fallen die dennoch vorhandenen Füll-Stücke kaum ins Gewicht. Für ein Hammer-Album wäre aber noch sehr viel Luft nach oben, was Raum für Soli, Brüche, Experimente, stimmliche Modulation, Gäste, einprägsame Hooks, Hit-Potenzial, klare Lyrics, und vieles mehr betrifft.
Trotz zu viel Beiläufigkeit gilt: Alle Stücke eint eine hochwertige Klangqualität und sinnfällige Abmischung mit Jasons Gesang im Fokus. Wer den genannten Anspieltipps folgt, wird entdecken, was auf LP-Länge alles unter dem Dach der 400 Unit möglich wäre.
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