laut.de-Kritik
Der Zauber des Gespenstersommers ist verflogen.
Review von Artur SchulzDie Rolle stand ihm gut, damals im Mai 1998. Joachim Witt kehrte aus der Finsternis der Vergessenheit mit brachialer Gewalt und spannenden Kompositionen auf seinem wuchtigen, wagnerbeseelten "Bayreuth 1" zurück. Als wütender, nachtdunkler Schimmelreiter erkundete er nicht nur die sturmgepeitschten Deiche der deutschen Neo-Romantik, sondern ritt eine famose Tour de Force durch finstere Sound-Stahlgewitter und mystische Lyrik.
Eingebettet in einen Mix aus Industrial, Electro-Beats und gelegentlicher Rammstein-Attitüde galoppierte Witt äußerst erfolgreich durch die damaligen Charts. Über allem rollte im Duett mit Peter Heppner "Die Flut". Jetzt liegt mit "Bayreuth 3" der letzte (?) Teil von Joachim Witts Wagner-inspiriertem Liederzyklus vor. Und hat heute leider nichts mehr von der Klasse jenes musikalischen Gespenstersommers am Ende des letzten Jahrtausends, den Witt so faszinierend mit seinen Umsetzungen zu Sinnsuche, Leben und Tod ausfüllte.
Der auf das Intro "Dämmerung" folgende Titel "Ahhh!" steht fast schon sinnbildlich für das Scheitern von "Bayreuth 3". Die einstige Wortsicherheit verläuft sich zu oft in finsterste Ecken der Lyrics-Grüfte. Die Text-Umsetzungen bleiben trotz ihrer ambitionierten Grundideen zu sehr in schrullig anmutenden Belanglosigkeiten stecken. Die Kompositionen lassen ebenfalls Witts frühere Klasse vermissen. Ein direkter Vergleich bringt es an den Tag: Auf "Bayreuth 1" finden sich so fantastische Songs wie "Und ... ich lauf", "Das geht tief", "Wintermärz" oder "Liebe und Zorn" samt dem fulminanten "Die Flut". "Bayreuth 2" glänzt etwa mit "Stay", "Der Sturm", dem akzeptablen Silly-Cover "Batallion D'Amour" und "Über dem Ozean". Da fällt "Bayreuth 3" erheblich ab. Vom textlichen Grundton her ist dies allerdings der aggressivste Teil von Witts Trilogie.
In Sachen Textarbeit ist Joachim Witt - oft zu Unrecht - in der Vergangenheit übel mitgespielt worden. Singt er hier Zeilen wie: "Ich bin dieser Träumer draußen am Meer/Und mich packt diese Wehmut manchmal so schwer/Wem gehört das Sternenlicht?/Und wem nicht?/Frag ich dich", ist ihm von gewissen Seiten der Vorwurf übelster Klischeebetreibung bereits sicher. Wer aber später krude Plattitüdenkracher wie "Stumme Zwerge üben sich in Aktion/und es schleicht die Revolution" auf seine Hörer loslässt, bestätigt damit jedoch Bedenken und Vorurteile.
Der zu manierierte Gesang zerstört die dramatische musikalische Spannung auf "Neuland". Bei dem ansatzweise recht interessanten "Leben im Staub" fehlt es an einer zündenden Hookline. Witts übermäßiges Grollen findet als Stilmittel zu häufig Verwendung. Überwiegend gelungen die melancholische Ballade "Wem gehört das Sternenlicht". Jedoch: Von den 5:49 Minuten des Titels erstreckt sich das letzte Drittel nur in einer immerwährenden Wiederholung des Refrains – und wirkt so recht ermüdend. Weniger wäre hier mehr gewesen. Auf der zur Besprechung vorliegenden Promo-CD ist der Titel "Abendrot" nicht enthalten. Dieses Duett mit Lacrimosa-Mastermind Tilo Wolff findet somit keine Berücksichtigung. Allerdings zählt Tilo ohnehin nicht unbedingt zu den fünf besten Sängern Deutschlands, was der Erwartungshaltung natürlich Grenzen setzt.
Originell und catchy der Titel "Ich spreng’ den Tag". Dieser Song überzeugt. Straighter, vorwärtstreibender Rhythmus, originelle Textzeilen wie "Ich fang' den Schuss mit meinem Gehirn" – hier zeigt sich Witt in guter Verfassung. "Schmutz" kommt über ein paar ordentliche Ansätze nicht hinaus und wirkt mit der zu oft eingesetzten Zeile "Irgendwann stopf' ich den Schmutz" rasch zu monoton.
Respekt gebührt Witt für seine persönliche Entschlossenheit, trendmäßig nicht nach links oder rechts zu schauen und entschlossen sein eigenes Ding durchzuziehen – ob es dem Zeitgeist nun gerade entspricht oder nicht. Zeigte sich seine Arbeit besonders in jenem angesprochenen Sommer 1998 als aufregendes, spannendes Nachtwind-Tosen, ist sein Schaffens-Gewitter inzwischen leider zu einer recht betulichen Brise abgeflaut.
Allein schon vom Titel her geht es mit den Nummern "Tiefenrausch" und "Tief in der Tiefe" ab in den Keller. Der ehemalige "Goldene Reiter" entschwindet, ähnlich kopflos wie jener hessische Söldner in Tim Burtons schauriger Gruselmär "Sleepy Hollow", in der Dunkelheit. Doch Joachim Witt ist seit langer Zeit für Überraschungen gut. Die Hoffnung bleibt, dass sich der Künstler bei seinem nächsten Albenritt wieder einen farbenprächtigeren Song-Mantel um die sturmerprobten Schultern legt.
3 Kommentare, davon 2 auf Unterseiten
Den laut Artikel über die neue Witt Scheibe finde ich einfach nur übertrieben abwertend!! Mich brachte diese Scheibe sogar im Gegenteil auf den Wittfanstatus, in welchem ich mich nun befinde. Nur weil es halt nicht mehr ganz so ruhig wie noch auf Bayreuth 1 zugeht, heißt das doch noch lange nicht, dass das Album banal klingen muss!!! Witts Röchelbass läuft hier zu Hochtouren, und auch musikalisch ounct die Scheibe.