Porträt

laut.de-Biographie

John Coltrane

Als der junge John Coltrane im Sommer 1943 nach Philadelphia aufbricht, um dort Saxophon und Klarinette zu studieren, ahnt niemand, dass er schon bald den Jazz revolutionieren wird. Sein inspiriertes Saxophon-Spiel soll das gesamte Genre nachhaltig beeinflussen.

John Coltrane - Blue World
John Coltrane Blue World
Verschollene Session aus der Glanzzeit des Jazzgiganten.
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"Sheets of sound" nennt der Kritiker Ira Gitler die Coltrane'sche Spielweise. Denn während andere Musiker ihre Soli lediglich mit ein paar spärlichen Motiven, Läufen oder melodischen Abänderungen bestreiten, scheint der Saxophonist vor Kreativität zu bersten. Jeden Akkord, jeden Ton eines Stückes führt Coltrane zu seinen Hochzeiten in eine neue Richtung und verleiht ihm auf diese Weise eine individuelle Bedeutung. Egal, ob es sich um die Interpretation bekannter Standards oder fortschrittlicher Eigenkompositionen handelt. Dabei entstehen dichte Tonfolgen, die sich wie Schichten (sheets) um die Melodie legen.

Die Wurzeln dieses außergewöhnlichen Künstlers liegen jedoch gänzlich im Normalen. Er erblickt am 23. September 1926 als John William Coltrane in Hamlet (North Carolina) das Licht der Welt. Sein Großvater, ein Methodisten-Priester, und die stark religiösen Eltern bringen den Jungen früh mit geistlicher Musik in Kontakt. Im Alter von zwölf Jahren entschließt sich John ein Instrument zu lernen. Er nimmt Klarinetten-Unterricht und merkt schnell: Die Musik ist seine Berufung.

Wenig später hört er durch Zufall die Count Basie Big Band im Radio. Der Teenager ist begeistert. Ganz besonders angetan hat es ihm Basies Tenor-Saxophonist Lester Young. Entschlossen hängt John die Klarinette an den Nagel und steigt auf Saxophon um.

Auch auf dem Altsaxophon erweist er sich als begabter und fleißiger Schüler. So folgt nach Abschluss des Musikstudiums in Philadelphia (1945) das erste Engagement in einer Tanzband. Noch im selben Jahr wird er zur US-Navy einberufen. Doch auch dort möchte der Musiker seine Leidenschaft nicht vernachlässigen. Er verpflichtet sich für das Militär-Orchester Melody Masters. Im August 1946 wird er aus dem Militärdienst entlassen und kehrt zurück nach Philadelphia. Ein Jahr später spielt er als Tenorsaxophonist in der Band von Eddie "Cleanhead" Vinson mit.

Zur gleichen Zeit bringt eine neue Stilistik die Jazz-Landschaft gewaltig in Aufruhr. Pioniere wie der Trompeter Dizzy Gillespie oder der Saxophon-Virtuose Charlie Parker (den er auf der 1947er Tour mit Eddie Vinson kennenlernt) heben den Bebop aus der Taufe. John Coltrane verfällt dem neuen, komplexen Sound auf Anhieb.

Doch nicht nur die Musik bestimmt sein Leben. Während er sich in der Jazzszene Philadelphias auf diversen Jams und Live-Shows etabliert, trifft er auf das Trompeten-Genie Miles Davis. In diesen Tagen kommt Coltrane auch mit Heroin in Kontakt. Die Droge wird ihm schon bald darauf zum Verhängnis.

1949 erhält er einen Job in der Dizzy Gillespie Big Band. Allerdings setzt ihn der Meister nach kurzer Zeit aufgrund seiner Sucht wieder vor die Tür. Vor seiner Entlassung bei Gillespie lernt der aufstrebende Coltrane den Tenorsaxophonisten Yussuf Lateef kennen. Diese Bekanntschaft beeinflusst das spätere Schaffen von Trane nachhaltig. Es ist das erste Mal, dass er mit östlicher Philosophie und Musik in Berührung kommt. 1954 lernt er seine erste Frau Naima kennen und stürzt sich wissbegierig in vertiefende Studien der Musiktheorie und der Jazz- und Drogenpraxis.

Miles Davis, der kurz vor dem großen Durchbruch steht, nimmt ihn in sein Quintett auf. Dort spielt er unter anderem an der Seite Charlie Parkers und des Pianisten Red Garland. Davis gibt dem talentierten Saxophonisten den Freiraum, den er für seine künstlerische Entwicklung braucht. Neben etlichen Aufnahmen mit anderen Musikern, veröffentlicht Coltrane allein im Jahr 1956 vier Longplayer mit dem Quintett.

Dann ist es erneut das Heroin, das ihm einen Strich durch die Rechnung macht. Noch im Oktober des produktiven Jahres verweist ihn Miles Davis wegen seiner Abhängigkeit der Band. Der gebrochene Künstler erkennt die schlimmen Ausmaße seiner Sucht. Er zieht sich daraufhin schlagartig aus der Öffentlichkeit zurück. Mit der Hilfe seiner Frau bewältigt er einen Entzug.

Befreit und höchst motiviert tritt Coltrane 1957 erneut auf den Plan. Sein alter Weggefährte Red Garland verschafft ihm einen Plattenvertrag, den der Musiker äußerst produktiv nutzt. Das Album "Blue Train" mausert sich zu seinem ersten kommerziellen Erfolg.

Auch Miles Davis freut sich über die Genesung seines Kollegen und nimmt ihn im Dezember 1957 wieder in seine Gruppe auf. In dieser Zeit entwickelt Coltrane seinen eigenen, umjubelten Stil, die Sheets of Sound. Kritiker und Publikum sind von seinem atemberaubend variantenreichen Spiel gleichermaßen begeistert. Mit der Platte "Giant Steps" schafft Trane 1959 auch den finanziellen Durchbruch.

Zu dieser Zeit wächst sein Interesse an indischer Musik und den Skalen, auf denen diese aufbaut. Vor allem die auf dem modalen Prinzip aufgebauten Ragas interessieren ihn dabei, da sie einen hervorragenden Rahmen für Improvisationen bieten. Folglich ist es wenig überraschend, dass sich auf Tranes 1963er Album "Impressions" ein Stück namens "India" befindet, auf dem er mit dem Sopransaxophon Melodieverläufe des in Nordindien oft bei religiösen Zeremonien eingesetzten traditionellen Instruments Shenai nachahmt. Das zu Beginn dieses Stückes vorkommende und sehr prägnante Viertonmotiv wiederum dient den Byrds und allen voran deren Frontmann Roger McGuinn als improvisatorische Basis für ihren im März 1966 veröffentlichten und für die damals zeitgenössische psychedelische Rockmusik zutiefst einflussreichen Hit "Eight Miles High".

Ein besonderes Augenmerk wirft Coltrane aufgrund seines Interesses an indischer Musik auf das Werk des hindustanischen Sitaristen Ravi Shankar, der seit den späten 1950er Jahren immer wieder Konzerte in den USA gibt. Die beiden treffen 1964 in New York erstmals aufeinander und freunden sich an. Von Shankar lernt er im Verlauf mehrerer Treffen die verschiedenen Skalen, die in den nordindischen Ragas zur Anwendug kommen. Coltranes Verehrung gegenüber Shankar geht so weit, dass er seinen 1965 geborenen Sohn den Vornamen Ravi gibt.

"Ich mag Ravi Shankar sehr. Wenn ich seine Musik höre, dann möchte ich sie kopieren. Natürlich nicht Note für Note, aber in ihrem Geist. Was mich Ravi näher bringt, ist der modale Aspekt seiner Kunst. Momentan, in dieser speziellen Phase in der ich mich befinde, scheine ich mich durch eine modale Phase zu bewegen. ... Überall auf der Welt wird jeden Tag eine Menge an modaler Musik gespielt. ... Es ist dieser universale Aspekt von Musik der mich interessiert und anzieht - das ist es, was ich anstrebe" äußert sich Trane hinsichtlich seines musikalischen Zieles.

Gemeinsam mit Pianist McCoy Tyner, Bassist Jimmy Garrison und Drummer Elvin Jones entsteht 1962 das John Coltrane Quartet. Mit dieser berühmtesten aller seiner Formationen spielt der Saxophonist einige sehr erfolgreiche Platten ein, darunter 1964 das modale und tief religiöse Meisterwerk "A Love Supreme". Die Gruppe zerfällt ein Jahr später, als sich Coltrane verstärkt dem Free Jazz zuwendet.

Der Avantgardist arbeitet von nun an vor allem mit dem Tenor-Saxophonisten Pharoah Sanders und seiner zweiten Frau, der Pianistin Alice McLeod, zusammen. In den folgenden Jahren verschlechtert sich Coltranes Gesundheitszustand dramatisch. Immer häufiger muss er seine ausgedehnten Konzerttourneen unterbrechen. Nach den Aufnahmen zu seinem letzten Album "Expression", zieht sich der umschwärmte Star in sein Haus in Long Island zurück.

John Coltrane stirbt am 17. Juli 1967 an einem Leberleiden.

Posthum erscheint 2018 über Impulse! Records mit "Both Directions At Once: The Lost Album" eine verloren gegangene Platte, die der Meister 1963 in den legendären Van Gelder Studios mit seinem Classic Quartet aufnimmt und die erst 55 Jahre später wieder entdeckt wird. Nur ein Jahr später veröffentlicht Impulse! die 1964 als Soundtrack für einen Experimentalfilm von Gilles Groulx eingespielte und jahrzehntelang in Vergessenheit geratene Session "Blue World".

Alben

John Coltrane - Blue World: Album-Cover
  • Leserwertung: 5 Punkt
  • Redaktionswertung: 4 Punkte

2019 Blue World

Kritik von Dominik Kautz

Verschollene Session aus der Glanzzeit des Jazzgiganten. (0 Kommentare)

Surftipps

  • John Coltrane

    Des Magiers Heimat.

    http://www.johncoltrane.com
  • Impulse! Records

    Mit einer Biografie von Ashley Kahn.

    http://www.impulserecords.com/artists/john-coltrane

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