laut.de-Kritik

Er kann, wenn er will. Aber meistens will er nicht.

Review von

Jetzt kann wirklich niemand mehr behaupten, er hätte es nicht kommen sehen. Im Sommer erschien die EP "Letur-Lefr", die uns alle eine aktuelle Definition dessen nahebrachte, was John Frusciante unter künstlerischer Freiheit versteht. Es war sein Entschluss und sein gutes Recht, die von ihm kreierte Welt der oft somnambulen, in jedem Fall unvergleichlichen Schwermut für einen schwer nachvollziehbaren Ego-Trip zu verlassen, in dessen Mittelpunkt krude Electronica mit eigenwilligen Rhythmik-Texturen stand.

"PBX Funicular Intaglio Zone" würde völlig anders klingen, ließ der Meister getreu seiner "Been there, done that"-Lebenseinstellung damals noch wissen. Er liegt falsch. "Letur-Lefr" lieferte vielmehr den perfekten Vorboten für vorliegendes Werk. "Intro/Sabam" beginnt mit rückwärts gelooptem Gesang und mündet in eine spacige Keyboardfolge, die nach und nach schräger und disharmonischer dahinfließt und schließlich, man hatte ihn gar nicht vermisst, einen Drumcomputer zur Seite gestellt bekommt.

Während man noch bemüht ist, sich dem schlängelnden Fluss des Beatgerüsts hinzugeben, geht wieder der Spieltrieb mit Frusciante durch und er lässt die Melodie lustlos ausfransen, um elektronisch verzerrte Gitarrensounds aufblitzen zu lassen, bevor er völlig abrupt den Regler nach unten dreht. Song vorbei, weiter gehts.

In "Hear Say", einem der besseren Songs, erhebt Frusciante erstmals seine Stimme, gesellt sich hinunter auf einen getragenen Synthieteppich, klingt aber trotzdem so fern, als habe er den Gesang im Nebenraum aufgenommen. Im Vordergrund bleepen und knattern dafür die Effekte wie vor 18 Jahren auf "Music For The Jilted Generation". Wobei der Titel irgendwie ja auch zu Frusciantes neuem Sound-Universum passt.

"Bike" lebt wieder von den seit "Letur-Lefr" gängigen Monster-Tempowechseln, diesmal garniert mit hochgepitchten Vocals. Hat man Frusciante wirklich erst jetzt das besagte Prodigy-Album geschenkt? Und natürlich sind da auch wieder diese seltsam unsinnigen Drum'n'Bass-Einschübe, selbstverständlich nie länger als fünf Sekunden am Stück, der Hörer könnte sich ja dran gewöhnen und womöglich noch Gefallen daran finden.

Es wird Leute geben, die sagen, man habe es hier mit genialem Songwriting eines unangepassten Künstlers zu tun, dem strukturierten Brechen immergleicher Strophe-Refrain-Muster, einem völlig neuen Improvisationsansatz. Ich sage: Diese Musik klingt ziellos, unentschlossen und zuweilen fahrlässig undurchdacht zusammengerührt.

Damit wir uns richtig verstehen: Die Kompromisslosigkeit, mit der Frusciante zu Werke geht, ist zunächst mal großartig. Er scheint sich aber so sehr in seinen neuen Ansatz und die liebgewonnenen Stilmittel verrannt zu haben, dass seine große Gabe auf der Strecke geblieben ist: Das Gefühl für die Mitte eines Songs, für eine austarierte Balance und eine knisternde Atmosphäre, die er auf vielen Soloalben auf wundersam vielseitige Weise immer wieder erreichte.

Als 2004 sein Album "Shadows Collide With People" erschien, fragte ich ihn im Interview, wann er eigentlich weiß, wann ein Song zu Ende ist. Von seiner Antwort versprach ich mir aus irgendeinem Grund einen geheimen Code für wenigstens eine seiner zahlreichen Wahrnehmungspforten. Frusciantes Antwort: Wenn er zu Ende ist. Keine Mystik, kein Geheimnis. Einfach nur so lange daran arbeiten und rumschrauben, wie es eben notwendig ist. Diese Gabe scheint er nun verloren zu haben.

All zu oft plätschert "PBX Funicular Intaglio Zone" trotz nicht enden wollender Aufmerksamkeitsreize einfach nur so vorbei. "Guitar" ist wieder so ein seltsames Rave-Instrumental mit ein bisschen Gniedelgitarre, bestenfalls lieblos, für eine B-Seite gerade noch zulässig, was es in Frusciantes Welt schließlich noch gibt. "Uprane" verzettelt sich in zahllosen Ansätzen und beginnt eigentlich erst nach 3.40 Minuten, wenn er zu singen beginnt und Melodie zulässt. Doch auch nur für etwa 30 Sekunden, danach lässt er fünf Beats gleichzeitig los. Willenlos.

Dagegen ist "Mistakes" ein waschechter Single-Kandidat, in seiner porentiefen Synthiepop-Reinheit dem Sound des ersten Erasure-Albums nicht unähnlich. Der Song lebt von gewagten Gesangsharmonien, die Frusciante mit Rasputin-Bariton und Kopfstimmenchor bis in die Extreme ausreizt. Wunderbar, wie er am Ende ein Gitarrensolo mit verzwirbelten Synthie-Soundspiralen vermählt. Er kann, wenn er will. Aber meistens will er eben nicht.

"Ratiug" ist einer der wenigen Songs, für den sich Frusciante eine überfrachtete Instrumentierung und seine neue Vorliebe für experimentelle Nötigung verkneift. Heraus kommt ein goldenes Stück Songwritingkunst, in das auch der Beitrag des Rappers Kinetic 9 feinsinnig eingewebt wurde. Dennoch ist es offensichtlich der gleiche Frusciante, der in "Sam" mit seinem kläglichen Versuch zufrieden ist, einen Skrillex-Beat selbst zu programmieren.

Bleibt die Frage: Quo vadis, John? Wir folgen dir ja sowieso. In guten wie in schlechten Zeiten. Hauptsache einer sieht das Licht am Ende des Tunnels.

Trackliste

  1. 1. Intro/Sabam
  2. 2. Hear Say
  3. 3. Bike
  4. 4. Ratiug
  5. 5. Guitar
  6. 6. Mistakes
  7. 7. Uprane
  8. 8. Sam
  9. 9. Sum

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29 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    das hat Potential. Ich meine die Rezi.

  • Vor 11 Jahren

    War schon klar, daß das Album sehr spalten wird. Mich hat es auf der absoluten Habenseite und bis jetzt habe ich es auch noch niemandem vorgespielt, der nicht fasziniert und neugierig gewesen wäre. Nach drei Durchgängen ist auch der eigenartigste Break in Fleisch und Blut übergegangen und höchstens unter den letzten drei Tracks gibt es einen kleinen Hänger, trotzdem wird die Platte mit der schönsten Ballade abgeschlossen, die Frusciante je geschrieben hat.
    "Es wird Leute geben, die sagen, man habe es hier mit genialem Songwriting eines unangepassten Künstlers zu tun, dem strukturierten Brechen immergleicher Strophe-Refrain-Muster, einem völlig neuen Improvisationsansatz." Genau das sage ich. Gerade für elektronische Musik ist Frusciante eine enorme Bereicherung, da er mit seinen schnellen Wechseln die monotone Langeweile minutenlanger Loopingexzesse umgeht, die mich schon viel zu oft bei E-Mucke verschiedenster Genres ergriffen hat. Hier gibt es immer wieder etwas neues zu entdecken.

    Nun gut, von mir gibt es selbstverständlich 5/5 Punkten und die hat das Album auch verdient.

  • Vor 11 Jahren

    2/5? Das gibt Morddrohungen für Herrn Schuh. :D