laut.de-Kritik

Kraftvoll gespielter Roots-Sound für Land- und Fernstraßen.

Review von

John Mellencamp posiert mit der Augenklappe auf dem Cover, reist aber nun nicht wie ein Pirat auf den Weltmeeren herum. Wie gehabt fertigt er kraftvoll gespielten Roots-Sound für Land- und Fernstraßen, ob im Regen ("Driving In The Rain") oder den Wegweisern nach Galilee folgend ("Streets Of Galilee"), der Grenzregion Israel/Libanon. Die LP "Strictly A One-Eyed Jack" überrascht dabei nicht nur mit dieser und noch einer weiteren klavierlastigen Nummer ("Gone So Soon"). Auch der kontrabassgestützte Kammer-Folkjazz "Sweet Honey Brown" wirkt frisch und frei von Americana-Klischees und wandelt sich kurzerhand zum E-Gitarren-kontrastierten Drama in Waterboys-Manier.

Diese 25. Studioplatte ist auch wichtig für Fans vom Boss, da Springsteen drei Mal seinem Kumpel Mellencamp unter die Arme greift und sogar am Mikro die Hauptrolle im Zwiegesang übernimmt. In "Did You Say Such A Thing (+ Bruce Springsteen)" durchsäbelt ein glühendes, vor Erregung zitterndes Gitarrensolo das Storyteller-Gipfeltreffen. "Wasted Days (+ Bruce Springsteen)" kann sich die Mundharmonika nicht verkneifen. Stimmen beide Herren miteinander in heiseren gemeinschaftlichen Gesang ein, erstrahlt das etwas schüchterne und arg erwartbare Lied schließlich als bedeutsame Hymne. Und "A Life Full Of Rain" zitiert alte Stimmungen des frühen Bruce wie in "Used Cars" und "Racing In The Street".

Straighte Balladen wie das rumpelige, perkussive "Simply A One-Eyed Jack" und das spröde "I Am A Man That Worries" mit gedrückter Stimme tragen viel Text. Gelegentlich lockert das Banjo auf. Wo nicht, läuft es ähnlich wie bei Steve Earle: Man müsste auf die Worte achten, um richtig zuzuhören und am Ball zu bleiben, sonst wird's monoton. Denn das Genre Heartland Rock funktioniert ähnlich wie Geschichten der Gebrüder Grimm. Der Sänger ist Chronist seiner Zeit und Region, erzählt Begebenheiten, vermischt sie mit Drumherum und mit eigenen Bewertungen. Eine 'Oral History'. In dieser Kategorie holt John zwar die wenigsten Punkte. Schön aber, dass der Songwriter solche 'schwerere' Kost im Set behält und ins dicke Paket der gefälligen Stücke somit ein paar Brocken schmuggelt, an denen man sich reiben kann.

Denn die deutliche Mehrzahl der Lieder weicht von dem puristischen Konzept ab. Mellencamp brilliert mit eingängigen, versonnenen, nachdenklichen und sentimentalen Stücken, die federleicht flowen, wie man das von ihm seit jeher kennt. "Chasing Rainbows" bietet zwar keine großen Tonsprünge, aber eine rundum fesselnde Harmonie, zart und elegant vorgetragen. Das tastenbetonte Lied "Gone So Soon" verarbeitet Trauer. Es peelt sich als stilles Highlight von der temporeichen Fassade des ganzen Albums ab und beeindruckt mit behutsamem Tiefgang.

Classic Rock mit bluesy Anstrich gibt's in "Lie To Me"; weitere Lügen in "I Always Lie To Strangers". In punkto Dramaturgie irritiert es etwas, dass das langsamste Stück die Platte eröffnet und damit nicht gerade einlädt, sondern rustikal wirkt und den Eindruck von Kammermusik untermalt. Auch "Driving In The Rain" fährt mit angezogener Handbremse, während "Sweet Honey Brown" als weiteres traurig gestimmtes Lied von elektrisierender Spannung profitiert. Die geschickten Leise-Laut-Wechsel machen dieses lange Stück zum Hochkaräter. Insgesamt legt der 70-jährige Mellencamp ein bravouröses und ausgewogenes Album vor, dem sich gut folgen und das sich schnell lieb gewinnen lässt.

Trackliste

  1. 1. I Always Lie To Strangers
  2. 2. Driving In The Rain
  3. 3. I Am A Man That Worries
  4. 4. Streets Of Galilee
  5. 5. Sweet Honey Brown
  6. 6. Did You Say Such A Thing (+ Bruce Springsteen)
  7. 7. Gone So Soon
  8. 8. Wasted Days (+ Bruce Springsteen)
  9. 9. Simply A One-Eyed Jack
  10. 10. Chasing Rainbows
  11. 11. Lie To Me
  12. 12. A Life Full Of Rain (+ Bruce Springsteen)

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