laut.de-Kritik
Nu-Folk, ganz aus der Zeit gefallen.
Review von Simon ConradsAls wir Menschen uns letztes Jahr im März in unsere Wohnungen und Häuser zurückzogen, feierte die Natur ein kleines Comeback. Zumindest gab es einige Meldungen, die in diese Richtung Hoffnung machten: die Rückkehr der Delfine in den Kanälen Venedigs (was sich später als Falschmeldung herausstellte) oder die Senkung der CO2-Emissionen etwa. Gefundenes Fressen für zwei, die sich mit der Natur besonders verbunden fühlen, ihr in ihrer Kunst einen großen Platz einräumen.
Der eine, Johnny Flynn, ist Musiker und einer der letzten, der dem Ende der 2000er in England aufgekommenen Nu-Folk treu geblieben ist. Der andere, Robert Macfarlane, ist Schriftsteller und Vertreter des sogenannten 'Nature Writing'. Ihrer Freundschaft, entstanden aus gegenseitiger Bewunderung, haben die Briten nun mit "Lost In The Cedar Wood" ein Denkmal gesetzt.
Schnell fiel ihnen im Lockdown auf, wie viel lauter man Vogelgezwitscher wahrnehmen kann, wenn kaum Autos und Flugzeuge unterwegs sind und man selbst nicht so gehetzt ist, erzählen sie dem New Statesman. Macfarlane machte Flynn dann noch mit dem Gilgamesh-Epos gekannt, einem der ältesten geschriebenen Geschichten der Welt, die sie ebenfalls als Erzählung über die Beziehung von Mensch und Natur begreifen. Immer wieder findet man in ihren Texten Verweise auf das Epos, vor allem im Stück "Enkidu Walked", benannte nach einem der Protagonisten der Geschichte. Die beiden Männer schickten sich Textzeilen hin und her, Flynn komponierte im Home Office die Musik dazu, die dann schließlich im Sommer 2020 in einer von Solarenergie betriebenen Hütte in Großbritannien aufgenommen wurde.
Die elf Stücke klingen wie eine Zusammenführung von Flynns bisherigen Platten. "Bonedigger" erinnert dabei an "Cold Bread" vom Debüt-Album "A Larum", "I Can't Swim There" an die Stücke auf "Been Listening", das Zupfmuster von "Flood In The Desert" klingt wie das von "The Wrote And The Writ". Klanglich bleibt Flynns markante Stimme der rote Faden, der die Stücke zu einem überzeugenden Paket zusammenschnürt. Der aus der Zeit gefallene, teilweise leicht mystisch anmutende Sound, den Flynn so gut beherrscht, harmoniert wunderbar mit der thematischen Naturfixierung.
"Ten Degrees Of Strange" beginnt mit einer wild angeschlagenen Gitarre, immer wieder spendiert Flynn dem Stück Dynamikwechsel, während im Hintergrund Geigen und ein Chor das Stück unterfüttern. Dazu singt Flynn darüber, die eigenen Damönen zu besiegen: "Gonna run like a river / Right down to the sea / Gonna run like the sap / Through the heart of a tree". Oft entwickeln die Tracks einen Shanty-Charakter, der zum Mitgrölen und Schunkeln einlädt, ganz besonders "Enkidu Walked" im Refrain, in dem es heißt: "Enkidu walked away / Enkidu sighed in pain / Enkidu went for the flowers / Enkidu walked again". Sein gutes Händchen für eingängige Gesangsmelodien beweist Flynn vor allem im Refrain von "Home & Dry": "Oh, when the winds are whipping at the big cut / Licking at the quay wall / We can feel the musterin' squall / I wish that I could fly / So I could be home and dry".
"The World To Come" baut lange Zeit nur auf einem charmanten Zusammenspiel aus Gitarre, Gesang und Klavier auf, bevor es sich in der zweiten Hälfte fantastisch in einen energievollen Klimax steigert, der einen überzeugenden, unpolierten Live-Charakter vermittelt. In seinen besten Momenten transportiert einen das Album damit direkt in einen urigen, britischen Pub und in die Zeit, in der Mumford & Sons und Laura Marling ihre ersten Alben veröffentlichten. Zuletzt bleibt "Lost In The Cedar Wood" aber auch eine sympathische Einladung, über sich und die Beziehung zur Natur zu reflektieren.
1 Kommentar
immer willkommen, was neues von flynn zu hören. gesamtwerk seit 2010 bei mir konstant auf rotation. interessante platte. ich denke, vier sterne sind in ordnung, allerdings nur, weil "world to come" alle ausreißer wieder aufwiegt.
die assoziation damals zu den "nu folks" war eigentlich immer eher persönlicher natur. flynn hat desöfteren mit marling und mumfords gespielt, rein musikalisch seitdem sein eigenes ding - ohne wirkliche evolution - durchgezogen. hat natürlich durch diese sperrigkeit nie für den großen durchbruch gereicht, ihn dafür vor dem künstlerischen niedergang z.b. der mumfords bewahrt. (marling hat sich natürlich auch verändert, aber überwiegend zum besseren, mit "once i was" als meisterwerk.)