laut.de-Kritik
Mit dem Fliegenden Holländer auf Ecstasy.
Review von Artur SchulzGerade erst schauen Wir Sind Helden nach langer Pause vorbei, da stehen auch Juli mit einem neuen Werk in den Startlöchern. Wer die Band bislang ausschließlich an den Singles "Perfekte Welle" und "Geile Zeit" festmachte, ließ sich mit den oft viel stärkeren Alben-Tracks schon in der Vergangenheit eine Menge entgehen.
Im Juli-Katalog tummelt sich nie gemeiner deutscher Schrammelrock. Wo andere grelle, vorlaute Song-Fackeln entzünden, leuchtet bei Eva und Co. gefühlvoller Musik-Kerzenschein im raschelnden Herbstlaub der Abenddämmerung. "In Love" geht konsequent den nächsten Schritt: In den vorliegenden Songs befinden wir uns zumeist in tiefster Nacht. "Immer Wenn Es Dunkel Wird" bedeutet also den konsequenten Opener.
Satte Beats lassen erst gar keinen Widerspruch aufkommen, bevor sich die Nummer dann in Sachen waviger Gitarrenlastigkeit und zielsicherer Melodieführung festzurren lässt. Doch bereits hier gestaltet sich manches anders als in der Vergangenheit, wozu die ungewohnt aggressiven E-Gitarren-Einschübe im letzten Song-Drittel beitragen.
Rasch ist klar, dass die Neuausrichtung der Band dem dennoch immer fühlbaren Juli-Style perfekt bekommt. Samples, Scratches, Synthie-Tupfer - das harmoniert glänzend mit stets sorgfältigem, beseeltem Songwriting und einer über die gesamte Alben-Länge becircenden, glasklar und leidenschaftlich intonierenden Eva Briegel.
Das versteckt walzerselige "Eisenherz" entpuppt sich als einer dieser abgefeimten Tracks, dem man geneigt immer länger zuhört, darauf wartend, das 'es' endlich irgendwie losgeht - und sich dann dabei ertappt, der Nummer schon längst verfallen zu sein. Die Alben-Dramaturgie bereitet damit zielbewusst auf eins der Highlights vor: "Woanders Zu Hause" fasziniert im Hinblick auf Arrangement und Komposition als schlicht eine der besten Einspielungen im bisherigen Gesamt-Output.
Nervöse elektrische Spannung frickelt zu Song-Beginn, Synthie-Flackern schafft Atmosphäre, beim Zwischenschlag der im Hintergrund umherjagenden E-Gitarre prasseln die Funken. Die große Liebe ist längst entschwunden, Eva wartet im Bahnhof der Tristesse, bereit zur Flucht, mag aber noch nicht gänzlich loslassen:
"Halte die, die dich lieben / bitte / halte mich." Doch das Ticket ist längst gelöst. "In die Nacht und den Nebel / stehl' ich mich davon." Dank seiner musikalisch dramatisch perlenden Bridge gegen Ende gewinnt die Aufnahme noch mehr an Intensität und Raffinesse.
Die Protagonistin erinnert in ihrer Rolle als Suchende in der Nacht oft an das verführerische Geistermädchen Lit Sin Seen, Hauptfigur des romantischen Hongkong-Klassikers "A Chinese Ghost Story". Ist nicht bereits ihr asiatisch anmutendes Make-Up auf dem Cover ein eindeutiger Hinweis? Viele Songs erwecken den Anschein, als ob Eva - ähnlich dem unglücklichen Gespenst - schwerelos durch den Nachtwind gleitet.
Besonders im titelgebenden "In Love": Im Spannungsfeld einer sich sinnlich wiegenden Chanson-Spieluhr wandelt Eva ruhelos suchend durch mondbeschienene Straßen, doch die Liebe, sie ist fort. Und findet sich, wenn überhaupt, nur in einem entschwundenen, vexierbildhaften und imaginären Paris. Doch sie bleibt nicht gänzlich allein, denn "Bäcker und Blumenverkäufer und ich / sind Komplizen in der Nacht".
Dem steht bewusst konträr eine Nummer wie "Maschinen" gegenüber, die stilistisch positiv inszenierte NDW-Classics wie "Tango 2000" von Nichts zitiert. "Elektrisches Gefühl" zeigt sich für bisherige Juli-Verhältnisse ungewohnt - und sehr gekonnt - R'n'B-lastig. Eva Briegel als Konkurrenz zu Rihanna oder Beyoncé? Ganz so dramatisch dann doch nicht, klingt im Endprodukt aber absolut geglückt.
In den Schlusstiteln findet sich zunächst die effektvoll als Zwiegesang inszenierte Castingruhm-Chimäre "Jessica", bei der die Gedanken eines längst abgehalfterten Producers den Träumen eines jungen Mädchens gegenüberstehen. Uns Hobby- und Profialkoholikern der Republik verursacht die Umschreibung des "Sängers, der nicht singt", tiefer hinein in die Wahrheit des "Trinkers, der ertrinkt", nicht wenig Unbehagen.
In "Die Sterne Fallen" begleiten tröstliche Streicher die trefflich in Szene gesetzte Suche nach Haltepunkten in einer sich immer rascher - und sinnfreier - drehenden Welt. Der Sieg gelingt dank Evas Edelmut: "Wir werden auf den Strahlen tanzen / wenn alles explodiert."
Zum Ende rückt endgültige Rettung jedoch in weite Ferne, gerade, wenn man sich im dunklen Sturm einer Lebens- und Liebens-"Seenot" befindet. Etwaige, womöglich hilfreiche Gitarren sind hier schon längst über Bord gegangen, es dominieren düstere, alles verschlingende Klang-Wellen. Deren singende Sägen und völlig aus der Bahn geworfenen Synthies liefern die passende Begleitmusik für einen fliegenden Holländer auf Ecstasy.
"Die Haie umkreisen mein Boot", erkennt Eva, und betet inständig für hoffnungsvolles Leuchtfeuer am Horizont. Doch da drüben, an der Küste, lauert nur der sinistre Schimmelreiter auf sein nächstes Opfer. "In jeder U-Bahn / in jedem Garten / sitzen Menschen, und sie warten / lesen Zeitung / lesen Karten." Egal, welche Karte man aus dem verdeckt gereichten Song-Fächer der neuen Juli-Songs zieht: Es ist immer das Herz-As. Reife Leistung.
21 Kommentare
Das bislang beste Album einer sträflichst unterbewerteten Band. Die Rezension sagt so ziemlich alles: Juli sollte man nicht auf die drei, vier Hitsingles reduzieren. Wer sich auf die Band einlässt, findet hervorragende Kompositionen mit meist leicht verständlichen aber nie seichten Texten und dem Gespür für melancholische und tolle Melodien. Die Höhepunkte sind meiner Ansicht nach ohne Frage Woanders zu hause und Jessica. Letzteres hätte jede andere Band zu einem puren, eindimensionalen Castingshow-Bashing gemacht. Da ist es bemerkenswert und erfrischend wie intelligent und differenziert sich Juli diesem Thema angenähert hat.
Ich kann es nie genug erwähnen: Nur weil Juli die paar Hits hatte, macht man einen großen Fehler sie in einem Atemzug mit C. Stürmer oder Silbermond zu nennen. Man darf die Band eher neben Tomte, Kettcar oder, zumindest mit Abstrichen beim aktuellen Album, Kante, plazieren.
Album ist bestellt und ich bin gespannt Nach der Rezension jedenfalls hat man Lust es selber zu hören.
Müll wie Juli und SIlbermond
Blutleer, depressiv, leiernd, kraft- und energielos, mit Texten aus der Klischeekiste, da helfen auch die schicken Bridges nichts. DREI Jahre hat das gedauert? Und jetzt sind sie wieder in den Neunzigern angekommen, bei den Schmuseschnarchpoppern.
gute Musik, das muss man doch unterstützen.
Hier noch ein kleiner Tipp
kramer- musik von Frank Rühmann
Also ich finde das Album gut, allerdings im Vergleich zu den alten Nummern etwas zu ruhig. Zu sehr wie "M.I.A." und zu wenig wie "Silbermod" - so als Tendenz...