laut.de-Kritik
Im flachen Wasser absaufen.
Review von Philipp KauseIn diesen Zeiten unterhalten 80-jährige Rock-Acts TikTok-Accounts, um dauerjugendlich anzumuten. Bei vielen machen die Stimme und der Sinn für Zeitgeist so weit mit, dass sie Teil unserer Jetztzeit, kultig und interessant bleiben. Beim 43-jährigen Justin Timberlake vermisst man solcherlei Ausstrahlung. Weder hätte es einen zweiten Justin Bieber in älter, noch einen zweiten Macklemore in funky gebraucht. Schon gar nicht eine Nachahmung der langweiligsten Schlafzimmer-Sounds zwischen Pop, Dance, Dancehall, Disco, Hip Hop und R'n'B.
"Everything I Thought It Was" sammelt Talkbox- und Vocoder-Effekte der 70er, z.B. in "No Angels", um sie mit inflationär verschütteten Clap-Beats in Ramsch-Preisklasse zu kreuzen und einen stimmlich recht erstickten Timberlake durch den Autotune-Wolf zu drehen. Die Texte dazu kreisen um Klischee-Floskeln wie "so fuckin' perfect girl in every way", "poetry in motion", "let's make love in" ("Technicolor"), "maybe sometimes in another life", "you're begging me to stay", "I see love in your eyes", "tears in your eyes", "", "you and me when we're" ("Fuckin' Up The Disco") oder "you're the only one that I fight for", "you love me til I die", "darkness brings us light" ("Love And War").
"Everything I Thought It Was" entlarvt schon in seinem Albumtitel das große Missverständnis: Der Sänger mit der dünn und schwach gewordenen Stimme hört nicht in sich rein. "Alles, was ich dachte, dass es wäre" heißt nur: Was er für mutmaßlich existent hält (z.B. unausgesprochene Erwartungen von Beatmakern und Producern, etwa Calvin Harris), das ist für ihn die Realität.
Entsprechend legt er eine lange Übung in paralysiertem Schattenboxen hin. Das alles klingt so unkonkret und marionettenhaft, dass Justin vom ersten bis letzten Track wie ein Gast durch sein eigenes Album stolpert. Umhüllen lässt er sich von Beats, Loops und Synth-Nebelflächen, die gar keinem Zweck dienen, außer die Zeit tot zu schlagen. Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, in Klamottenläden x-beliebige Beschallung zu shazamen, weil dort meistens R'n'B, Neo-Soul und smoother Electropop laufen, cheesy-sanfte Sachen, auf die ich ehrlicher Weise stehe. Das meiste davon, was die Detektor-App inmitten von Fast-Fashion-made-in-Asia einfängt, stammt von No-Names, hört sich gleichwohl besser an als jeder Timberlake-Track hier, mit filigraneren Beats, gefühl-, saft- und kraftvolleren Vocals, mehr Pfiff.
Okay, die Piano- und Geigenballade "Alone" meistert Justin schön, da meldet sich seine Falsett-Fähigkeit zurück. Ein Stück auf der Habenseite! Aber welches Argument könnte man sonst für dieses Album anführen? Außer dass es nicht weiter stört, wenn es unbemerkt vor sich hin blubbert? Ein "Can't Stop The Feeling!" fehlt - hier gibt's gar kein Feeling. Obwohl Justin singt "I just wanna feel this feeling".
Sobald man nur ein bisschen bewusst hin hört, entblättert sich immer noch mehr Schrott. Dann fallen inmitten aller Seichtheit sogar noch Tiefpunkte auf, wo sich abgestandener Liquido-Rock zusammen mit erzwungener Prince-Funkyness und grützenhafter Rap-Einlage zu einem Feuerwerk der Peinlichkeiten verquirlt ("Sanctified"). Selbst im Flachwasser kann man noch durchs Eis der kalten harten Beats brechen und im Sumpf der Fantasielosigkeit versinken.
Justin hört sich 2024 noch kalkulierter an als ein "Sing meinen Song"-Softie wie Montez. Um pure Berechnung sollte es auch unter den Vorzeichen von Pop und Mainstream nicht gehen. Und letztlich zitiert der ehemalige Boygroup-Star so viele Bezüge zum R'n'B, dass er sich am Charakter dieser Musik als Gefühls-Genre messen lassen muss. Und auch wenn es scheinbar emotional wirkt, Formeln wie das "end of the road" und "end of the earth" herunter zu beten, sind diese Textbausteine Fassade. "Unglaublich ehrlich" findet der Künstler selbst im Gespräch mit Apple seine Platte.
Das einzige Argument, das für Justins Album bleibt, ist er. In "Imagination" erscheint ein Schimmer von dem Breakbeat-kompatiblen Typen, der er mal war, Stichwort "Rock Your Body". Vor 20 Jahren. Heute erinnert er mit seinem Gewäsch an den Wendler. An dessen Schlagertexte und sowohl an die Uniformität all seiner Lieder als auch darin, wie er eine Partnerin im Alter seiner Tochter einlullt. Denn mit einer Frau seines Alters würde Timberlake die Schoßhündchen-Sprache, die all diese Lyrics hier pflegen ("your lips were made for mine", "everytime the phone rings, I hope it's you on the other side") kaum durchhalten können, ohne dass sie schreiend davon liefe. Allerdings muss man einräumen: Der Wendler ist stimmlich um einiges besser in Form.
6 Kommentare mit 7 Antworten
Single ist grottig, Wendlervergleich passt, Album ungehört 1/5 und Stadien wird der auch keine mehr füllen, wenn er sich nicht endlich mal bei Britney entschuldigt!!!
"wenn er sich nicht endlich mal bei Britney entschuldigt!!!"
!
Find ich auch supi wichtig, wenn er sich endlich mal bei Britney entschuldigt!!!
Ich werde mir nicht die Mühe machen diesen Schmutz eine Sekunde lang anzuhören. Mal abgesehen davon das er auf Janet Jackson und Britney Spears keinen Fick gegeben hat war seine Musik größtenteils absoluter Müll. Kann scheißen gehen, ungehört 1/5.
Nach den sehr schwachen Vorabsingles werde ich auch nicht groß weiterhören aber gute Sachen hatte der schon.
"FutureSex/LoveSounds" hat Klassikerstatus und gilt als eines der besten Pop-Alben der 00er Jahre und meiner Meinung hatte er seinen musikalischen Zenit mit N'Sync, die nicht nur einige der größten Banger der 90er Jahre, sondern einige der best geschriebenen Popsongs überhaupt haben.
Und zumindest Janet Jackson hat über Justin Gutes erzählt und mehrfach betont, dass die beiden gut befreundet sind.
Bei Britney sollte er sich natürlich trotzdem entschuldigen.
"FuturesSex" ist außen vor weil es wirklich großer Pop war den er da gebracht hat. Das mit Janet Jackson hatte ich nicht auf dem Schirm, mein Stand war da das er erst sehr spät irgendwas dazu gesagt hat.
Gefällt mir und erinnert an seine doch schon etwas länger vergangenen guten Zeiten. Als Schauspieler gefällt er mir im(seinem) Alter immer besser, seine Stimme bleibt einzigartig poppig, auch wenn er nicht mehr an seine guten Zeiten anknüpfen kann. Nettes Album unaufgeregt unspektakulär und radiotauglich. Muss ja nicht alles immer Bombe sein,oder?
"Muss ja nicht alles immer Bombe sein,oder?"
Sag das mal Israel.
Danke für diesen Musiktipp ... wenn bei laut.de ein Album nur einen Punkt bekommt, muss ich natürlich mal reinhören, ob das stimmt oder das vielleicht sogar ein geheimer musikalischer Tipp ist ... gefällt mir sehr gut ... hatte mit Justin bisher wenig am Hut ... aber für 3-4 Punkte ist das durchaus gut ... auf die Ein-Punkt-Bewertungen von laut ist immer noch Verlass .
Du bist…..tatsächlich ziemlich….unlustig….bitte….lösch dich….danke.
hatte mit Justin bisher wenig am Hut
aber für 3-4 Punkte ist das durchaus gut
brauchte nur Bierchen und etwas Mut
im Bierchen war Drachenblut
Find ich schön dass er der ersten deutschen Castin Band einen Song widmet
Ungehörte Kritiken & Bewertungen abgeben; großes Kino! Album macht mir insgesamt nen coolen Vibe. Durchaus ein, zwei Songs zu lang aber was soll's.