laut.de-Kritik

Reisen gegen Schreibblockaden.

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KAAS macht Sachen: Rap, Dance, Pop. Schon immer, das weiß man. Einhörner, Konfetti, Ventilatoren: alles schon gesehen, beziehungsweise gehört. Doch mit seiner EP "KAAS & Jugglerz in Jamaica" überrascht er selbst die eingefleischtesten Kenner der Szene.

Als zeitgemäß lässt sich der Sound des Reutlingers beschreiben, irgendwo zwischen Reggae, Dancehall, Cloud, Trap und Hip Hop. Schwer zu greifen, vielleicht auch schwer zu verstehen nach zwei erfolgreichen Alben mit den Orsons.

Doch nachdem mit "What's Goes" der Durchbruch gelang und die Boygroup zumindest ein Stück weit radiotauglich wurde, brauchten die einzelnen Egos erst einmal eine Pause. Tua macht Sachen, Maeckes macht andere Sachen, auch Bartek soll Sachen machen, erzählt man sich zumindest. KAAS fliegt eben einfach mal so mit den Jugglerz, Miwata und Orsons-DJ und -Produzent Jopez nach Jamaika. Ziel: "Bring eine EP mit nach Hause."

Die bereits vorab als Video-Single veröffentlichte Hymne "Jamaica, Jamaica" eröffnet in voller Vybz Kartel-Manier smooth: entspannter Beat, minimalistischer Instrumenteneinsatz. Ein Song, der die auf Jamaika gewonnenen Eindrücke konserviert, der die Gegensätze des Landes nicht nur nennt, sondern sie verbildlicht und als Liebes- und Hasserklärung zugleich auf eine Tonspur bannt: "Es ist hier bei weitem nicht wie in Prospekten / Natürlich, als Touri, da kannst du nicht meckern / Die Strände, das Wasser, der Dschungel, vom Besten / doch überall Armut, wohin du dich wendest / Wütende Augen von zu vielen Schmerzen / wechseln sich ab mit den fröhlichsten Herzen / Vernarbte Gesichter, die Dollars erbetteln / Und immer Musik, sie kommt aus allen Ecken."

KAAS hat seine Schreibblockade überwunden: Die Arbeiten zum letzten Orsons-Album sind lange her. Es hat die Inspiration der Karibikinsel benötigt, wieder kreativ zu werden. Doch dank der vielen Farben scheinen die Worte wieder zu fließen. Die zurückgewonnene Dichtkunst verpackt Lukas Michalczyk ungewohnt facettenreich: Sei es der beißende Trap-Flow auf "Jamaica, Jamaica", den der in Polen geborene und in Reutlingen aufgewachsene Wahl-Stuttgarter übrigens als nächste Evolutionsstufe des Hip Hops sieht, oder der von Autotune begleitete Gesang auf "Cadillac", den nicht zuletzt Trettmann erst jüngst in der deutschen urbanen Szene als massentauglich etablierte.

"Cadillac" avanciert aber nicht nur deshalb zum Höhepunkt der Platte. In dem auf ein modernes Dancehall-Gerüst geschnallten Ganja-Tune, der den Riddim des auf Jamaika gehypten Songs "Shabba Madda Pot" von Dexta Daps recycelt, fordert KAAS "Freiheit für alle, die dealen" und stellt klar: im Falle einer Kontrolle, "kein Wort zu Cops, ruf' meinen Anwalt an." Die Kombination aus Lyrics und der vom Sound getragenen Thematik beweist absolute Clubtauglichkeit und wird sicher ihren Weg ins heimische Nachtleben finden.

Mit "Power Up" zeigt KAAS zumindest flowtechnisch wieder sein altes Gesicht. Sägende Raps legen sich über einen poppigen, von Akustikgitarren getragenen Beat. Dank gesungener Hook wirkt der Song über Motivationsschübe im Alltag durchaus Grillparty-tauglich, was hier absolut positiv gemeint ist.

Neuer Titel, neue Facette. So könnte ein erstes Zwischenfazit der EP lauten, das sich mit "I Don't Know Why" direkt bestätigt. Der Karlsruher Miwata veredelt dieses reggaelastige Stück, wie schon zu Beginn "Jamaica, Jamaica", mit einem melodischen, zugleich kraftvollen Refrain. Auch der jamaikanische Singjay Zagga steuert einen Part auf "I Don't Know Why" bei, das trotz dieser Dichte an Interpreten nicht überladen erscheint. Mit "Delta Quadrant" kehrt KAAS dann zum Autotune-Effekt zurück. Im Vergleich zu "Cadillac" wird der Beat aber schmaler und ruhiger. Wabernde Synthies schweben wie Rauch über der elektronisch verzerrten Stimme, durchkreuzen sie, tragen sie in die Lüfte: "Höher als ein Satellit / gleite ich allein durchs All / Verlasse unsere Galaxie / Richtung Urknall."

Die träumerische Stimmung setzt sich auf "Leben" fort: "Wir treiben auf den Wellen und die Zeit ist weg / das Versteck hier ist perfekt / Wir schweben auf dem Ozean bis Kälte wärmt / ein Versteck, noch unentdeckt." An dieser Stelle könnte man KAAS einen Hang zum Pathetischen vorwerfen, der massentaugliche, elektronische Klang, der geradezu nach einem Robin Schulz- oder Felix Jaehn-Remix schreit, untermauert diesen Vorwurf noch. Doch wer sich einmal mit der Persönlichkeit des Chimperator-Künstlers beschäftigt hat, weiß, dass es KAAS durchaus ernst meint, wenn er über das Meer als Lebenselixier der Erde und die Paradiesvorstellung weißer Strände und gemeinsam ausgelebter Zweisamkeit singt.

Dass ihm das Produzenten-Team um DJ Jopez und die Jugglerz folgerichtig einen handwerklich perfekten, absolut ausgefeilten Beat spendieren, der die Stimmung der Lyrics treffend untermalt, versteht sich von selbst. Dass KAAS mit Karen Electra zudem eine Sängerin gefunden hat, die für eben diese Stimmung die perfekte Klangfarbe besitzt, zeigt, welche Konsequenz und Leidenschaft hinter dem Schaffen des Kollektivs steckt.

Lediglich die beiden letzten Titel der Platte trüben das Gesamtbild der EP: Der bereits auf "What's Goes" veröffentlichte Song "Sunrise 5h55am" taucht auf "KAAS & Jugglerz in Jamaica" erneut auf. Nicht "Sunrise 5h55am" selbst enttäuscht dabei. Jopez spendierte der Ode an den Sonnenaufgang ein erfrischend neues Klanggewand, remixte sich sozusagen selbst, auch Featuregast und Reutlingen-Kumpel Wandam überzeugt. Aber wieso belädt man eine neue EP mit einem bereits bekannten Song, von dessen Radio-Version man zudem Wandam als Featuregast verbannt hat?

Letztendlich überzeugt "KAAS & Jugglerz In Jamaica" aber überwiegend. Alle neuen, auf der Karibikinsel entstandenen Titel beeindrucken mit facettenreichen Stimm- und Klangvariationen und ergeben so ein ausgefeiltes Gesamtprodukt. KAAS wagt sich mit seiner neuen Platte in für ihn neues Terrain, meistert die Schwierigkeiten des aktuellen, jamaikanisch geprägten Sounds jedoch problemlos - nicht zuletzt dank der fachkompetenten Unterstützung seiner Reisebegleiter. Gerne mehr davon!

Trackliste

  1. 1. Jamaica, Jamaica
  2. 2. Cadillac
  3. 3. Power Up
  4. 4. I Don't Know Why
  5. 5. Delta Quadrant
  6. 6. Leben
  7. 7. Sunrise 5h55am
  8. 8. Sunrise 5h55am (Radio Edit)

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