laut.de-Kritik

Die Britin feiert 80er Synth-Pop in seiner ganzen Vielfalt.

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Nachdem sie trotz des Erfolges ihres 2016er Albums "The Dreaming Room" die Kündigung ihres damaligen Labels erhielt - zu allem Überfluss noch per E-Mail - hatte sich Laura Mvula bereits damit abgefunden, ihre Karriere an den Nagel zu hängen. Ohnehin breitete sich in der Sängerin das Gefühl aus, dass nach zwei Alben alles gesagt sei und sie inzwischen "zu alt war, um Pop zu sein, und nicht mehr relevant genug, um noch den Durchbruch zu schaffen."

Diese Rechnung machte sie jedoch ohne den unerwarteten Retter "Safe Passage", der nach verzweifelten Jahren der Identitätssuche Mvulas verloren geglaubten Funken der musikalischen Inspiration wieder zum Lodern brachte und bereits vor dem Release von "Pink Noise" einen ersten Vorgeschmack auf die 'neue' Laura Mvula gab. Während der Aufnahme des Songs bemerkte sie noch dazu, dass sie einen Umbruch wagen und der Musik ihrer Kindheit nacheifern will. Und wie es nunmal so ist, wenn der Knoten erst einmal geplatzt ist, geht dann alles ganz schnell. Geboren war wenig später ein ganzes Album, das zu jeder Sekunde den Synth-Pop der 80er-Jahre verkörpert, inszeniert und in seiner ganzen Vielfalt feiert.

Demnach ist es nur natürlich, dass es auch nach dem Eröffnungssong energiegeladen und farbenfroh weitergeht, denn Mvula ist sich sicher: Es ist Zeit, einfach mal loszulassen und alle selbstauferlegten Grenzen zu ignorieren. "Magical" macht deshalb seinem Namen auch alle Ehre und beschreibt die Magie, die durch die losgelöste Arbeit an Musik entstehen kann. Als echtes Familienprodukt, das zusammen mit Mvulas Bruder, Schwester und Adoptivbruder seine finale Form erreichte, versprüht der Song vor allem im Chorus mit Bläsersätzen, Funkgitarren und weiten Chorgesängen pure Lebensfreude.

In "Church Girl" philosophiert die Sängerin hingegen über Vergangenheit, Zukunft und Perspektivwechsel des eigenen Lebens, während Synth-Pads, harmonische Vocal-Chops, Background-Vocals und ein massiver Synth-Bass die 80er-Poplandschaft einmal mehr perfekt in Szene setzen. Sogar so perfekt, dass sich Chris Martin von Coldplay persönlich bei ihr meldet, um ihr mitzuteilen, dass "Church Girl" sein persönlicher Favorit auf dem Albums sei.

Die Favoritenauswahl dürfte dem Musikerkollegen allerdings nicht sonderlich leicht gefallen sein, da Mvula keinerlei Anzeichen macht, an irgendeiner Stelle qualitativ einen Gang runterzuschalten. Der Titeltrack "Pink Noise" ist zwar deutlich minimalistischer als der Rest, offeriert aber einen unglaublichen Groove. Disco-Drums, eingängige E-Gitarrenlicks und ein bouncender Bass kitzeln jede Faser des Körpers und fordern charmant zum Tanz auf. "What Matters", das Simon Neil als Feature zu Gast hat, glänzt hingegen mit himmlischen Harmoniegesängen und seinem verspielten und persönlichen Duett-Charakter.

"Remedy" ist wiederum auf musikalischer Ebene bei weitem nicht der aufregendste und innovativste Song der Platte, dennoch könnte er sich zum wichtigsten Statement des Projekts entfalten. Inspiriert von Janet Jacksons "Rhythm Nation 1814", entwickelt sich der Track in einem Gewand aus Neo-Soul und Art-Pop zu einem geradlinigen, kraftvollen und kämpferischen Protestsong, in dem Mvula ihrer Wut über die teils menschenverachtende Behandlung ihrer schwarzen Mitmenschen ein Ventil verschafft: "How many more must die / Before the remedy / Can you hear all my people cry / For the remedy."

Genauso stampfend und linear tritt zuerst auch "Conditional" auf. Die Überraschung ist dann aber um so größer, als Mvula im Chorus auf einmal ihren inneren Kanye West hervorruft und alle Register zieht, um den HipHop-inspirierten Song in ein Feuerwerk zu verwandeln, durch das sich immer wieder die Rufe "I needed love, unconditional" bohren.

So fällt es auch weiterhin keineswegs auf, wie schnell die Zeit überhaupt verfliegt, bis man nach der knapp 40-minütigen Reise durch Mvulas pinke Musik- und Gefühlslandschaft beim Closing-Track "Before The Dawn" angekommen ist. Auch der letzte Song ist ein weiteres Testament an ihr neues Ich und geht abermals runter wie Butter. Dabei übernimmt er die Rolle des Resümees und beschwört noch einmal alles, was das Album bis zu diesem Zeitpunkt bereits auszeichnete. In der Folge verschmelzen nostalgische Synth-Sounds, bombastische Gated-Drums, ein pumpender Bass, perkusive E-Gitarren, mitreißende Lyrics und beneidenswerte Gesangspower der Britin zu einem würdigen Finale.

Einmal mehr unterstreicht "Pink Noise" somit sein Gesamtkonzept: Es ist ein Neuanfang, nicht nur für die Musikerin Laura Mvula, sondern auch für die Person Laura Mvula. Die Sängerin kommt in ihrem neuesten Projekt mehr aus sich heraus als jemals zuvor, und lässt dabei vergessen, dass ihre Karriere zwischenzeitlich in den Sternen stand. Von Anfang bis Ende verkörpert das Album Mvulas hart erarbeitete und losgelöste Sicht auf die positiven Seiten des Lebens, die beinahe niemals jemand gehört hätte. Daher kann man nur froh sein, dass das Schicksal im richtigen Moment einen anderen Weg eingeschlagen hat. Denn Mvula ist Musikerin durch und durch, und mit "Pink Noise" scheint es, als hätte sie diese Bestimmung nach vielen Selbstzweifeln endlich wiederentdeckt.

Trackliste

  1. 1. Safe Passage
  2. 2. Conditional
  3. 3. Church Girl
  4. 4. Remedy
  5. 5. Magical
  6. 6. Pink Noise
  7. 7. Golden Ashes
  8. 8. What Matters (feat. Simon Neil)
  9. 9. Got Me
  10. 10. Before The Dawn

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