laut.de-Kritik

Hochglanz-Pop mit Seele, Brüchen und Narben.

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Auf der Liste der Dinge, die man mit 16 erst einmal verkraften muss, steht vieles: Pubertät, nervende Eltern, mobbende Mitschüler und Chemie-Unterricht. Ein Welthit, ein fünf Millionen Mal verkauftes Debüt-Album und David Bowie, der einen für die Zukunft der Musik hält, gehören eher selten dazu. Darüber hinaus schaffen gerade einmal 25 Jugendliche den Sprung auf die Liste der einflussreichsten Teenager im Time-Magazin. Aber was ist bei Lorde seit "Royals" und "Pure Heroine" schon noch normal?

In der Vorbereitung auf ihr zweites Album ließ die Sängerin ihre Welt sich erst einmal langsamer drehen. Abseits ihrer Taylor Swift-Clique verschaffte sie sich zunehmend Ruhe. Sie wartete ab, bis sich am Flughafen immer weniger Paparazzi um sie kümmerten. Sie ging nicht mehr zum Friseur, schminkte sich nicht mehr und kochte lieber mit Freunden, als sich im Rampenlicht zu sonnen. Als der Trubel auf das für sie mögliche Minimum abgeklungenen war, begann sie im hintersten Winkel der einsamen Waiheke Island mit der Arbeit.

Zeitgleich durchlebte sie eine Erfahrung, die die meisten von uns machen: Die erste Beziehung geht in die Binsen. Ihre Empfindungen, Einsamkeit und Herzschmerz, ließ Lorde in "Melodrama" einfließen. Laut ihrer Aussage: ein Kozeptalbum. Eine junge, sich in ihrer ersten Existenzkrise befindliche Frau wechselt auf einer Hausparty zwischen ekstatisch tanzenden Gästen und dem Badezimmer, in dem sie sich vor dem Spiegel die Seele aus dem Leib weint. Das klingt erst einmal unheimlich uninteressant und nach dem "Grease" unter den Konzeptalben. Diesem Weg folgend, empfehlen sich für die nächsten Longplayer Themen wie "Frau schneidet am gekippten Fenster auf einem Holzbrettchen verträumt Käse, während vor dem Haus ein alleinerziehender Polizist einen Strafzettel an das Auto der Käseschneiderin heftet" oder "Ziergräser pflanzen, pflegen und vermehren".

Betrachtet man dies allerdings weniger als Konzept, sondern als Setting, hält die Grundidee die wechselhaften Launen zusammen. Es hilft, die oft abrupten Stimmungswechsel zu akzeptieren und zu verstehen. Wie beim Betreten eines anderen Zimmers, kann hinter jeder Tür eine neue Welt warten. So erschafft sie die Pop-Antwort auf Björks "Vulnicura". Ein Breakup-Album voller Tanz, Liebeskummer, Autoradios und verlaufendem Mascara. Das Melodrama aus dem Alltag und dem Banalen. Hochglanz-Pop mit Seele, Brüchen und Narben.

Wie es sich für die große Tragödie geziemt, gehört, die dezente, klar konstruierte Produktion des Debüts der Vergangenheit an. Mit ihr ging auch Co-Songwriter Joel Little. Lorde definiert sich nicht neu, malt sich aber mit ihrem neuen Mit-Autor Jack Antonoff (fun.) in bunteren, vielseitigeren Farben. Pompöse, sich die Federboa umwerfende Dance-Tracks wechseln sich mit vom Pein getragenen Piano-Balladen ab, ohne dass die Neuseeländerin dabei ihre Kantigkeit verliert. Nichtsdestotrotz steht vor dem Erscheinungsbild immer erst Lordes Songwriterqualität.

Bereits der Opener "Green Light" fasst die "Melodrama"-Ebenen zusammen. "I do my makeup in somebody else's car." Verhalten startet der Track im Auto zu Klavierklängen, steigert sich mit jedem Schritt, den er in Richtung Party nimmt. Im Refrain bricht er endgültig aus ihr heraus. Der euphorische Liebeskummer-Dance-Track, der schon lange in ihr schlummerte. Der verzweifelte Versuch, sich gegen den Trennungsschmerz zu stemmen. Die Frau, die vor vier Jahren in "Team" noch "I'm kind of over getting told to throw my hands up in the air" sang, wirbelt nun ekstatisch im Kreis. Wenn sie tanzt, ist sie woanders, lässt alles los nur für das Gefühl.

Ab nun reißt sich Lorde von Track zu Track die Maske ab, um sie gleich darauf wieder aufzusetzen. Durch das mit Trompeten ausgestattete "Sober" zieht sich das Verlangen nach der nach der Trennung nun unerreichbaren Ex-Partner. Ein letztes Mal den anderen spüren. "But what will we do when we're sober?" Wie schwer das endgültige Loslassen doch fällt. Gleichzeitig ist sie sich dem Kontrast zu der danach einsetzenden Realität, den "Hard Feelings" der Liebe, bewusst. Das anhängende "Loveless" beginnt mit einer Hommage an Phil Collins' "In The Air Tonight"-Drumbreak ("Face Value") und endet bereits mit dem Einsetzen des zweiten Refrains in einem langgezogenen, einminütigen Fade-Out.

In der verletzlichen Piano-Ballade "Liability" klingt Lorde abgekämpft und emotional am Ende. Der verheulte Song vor dem Spiegel. Sich in die Augen schauend, ergeht sie sich in Selbstmitleid. "So I guess I'll go home into the arms of the girl that I love / The only love I haven't screwed up / She's so hard to please but she's a forest fire / I do my best to meet her demands, play at romance / We slow dance in the living room, but all that a stranger would see / Is one girl swaying alone, stroking her cheek."

Doch den emotionalen Höhepunkt und den besten Song ihrer bisherigen Karriere hebt sie sich für "Writer In The Dark" auf. Wieder nur von Klavier und Streichern begleitet, variiert sie mit jeder Zeile ihre Emotionen, klingt mal verletzt, mal wütend, mal hysterisch. Sie spielt ihre stimmlichen Möglichkeiten komplett aus, wechselt mit Leichtigkeit von verschworenen Tiefen zu kieksenden Höhen. Von der Pop-Ballade zum Art-Pop-Rock einer jungen Kate Bush oder Tori Amos und zurück. Ein "Silent All These Years" ("Little Earthquakes"), in dem sie nur textlich dem Vergleich nicht standhält. Ein Versprechen für Lordes musikalische Zukunft.

Tränen abwischen. Im Schlussstück "Perfekt Places" kehrt das trauernde Herz zurück zu den feiernden Freunden, um in den Morgen zu tanzen. Bloß nicht alleine sein. Hände in die Luft, saufen, knutschen. Ein wunderschöner Pop-Moment zum Ausklang, der sogar eine Verbeugung vor David Bowie und Prince birgt. "All of our heroes fading / Now I can't stand to be alone." Zwar funktioniert Verdrängung nie, aber vielleicht findet sich wenigstens etwas Spaß im Augenblick. "Have another drink, get lost in us / This is how we get notorious."

Trackliste

  1. 1. Green Light
  2. 2. Sober
  3. 3. Homemade Dynamite
  4. 4. The Louvre
  5. 5. Liability
  6. 6. Hard Feelings/Loveless
  7. 7. Sober II (Melodrama)
  8. 8. Writer In The Dark
  9. 9. Supercut
  10. 10. Liability (Reprise)
  11. 11. Perfect Places

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LAUT.DE-PORTRÄT Lorde

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20 Kommentare mit 20 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Songwriting und Gesang sind (wie zu erwarten war) brillant und ausdrucksstark, die Produktion ist deutlich abwechslungsreicher als auf 'Pure Heroine' - locker das beste Pop-Album des Jahres bisher. Starke 4/5

  • Vor 7 Jahren

    Mit "Melodrama" gelingt Lorde ein herausragendes Popalbum, wie es vielleicht seit Robyns "Body Talk" kein ähnlich großartiges mehr gegeben hat. Völlig unbegründet war meine Angst, ich könnte nach ihrem wunderschönen Debüt "Pure Heroine" von ihrem Zweitling enttäuscht werden - Lorde ist einfach Künstlerin und Perfektionistin durch und durch. Lieber 3 bis 4 Jahre am neuen Album arbeiten als mit durchschnittlichem, unzulänglichem Material zurückzukehren - dies war offensichtlich ihre Devise.

    Trotz der Kürze des Albums wird hier viel geboten: euphorischer Robyn-Pop ("Green Light", "Supercut") wechselt sich mit tieftraurigen Klavierballaden ("Liability", "Sober II (Melodrama)", "Writer In The Dark") ab. Dazwischen überrascht Lorde immer wieder; verblüffend ist etwa der kuriose Sprech-Refrain von "The Louvre" oder das herrlich neckische "Loveless", das die Neuseeländerin von einer ganz neuen Seite zeigt.
    Selbst ihre Ohrwürmer wie "Sober", "Homemade Dynamite" und der hymnische Closer "Perfect Places" klingen frisch und unverbraucht.

    Nicht zuletzt sorgen Lordes bildliche Lyrics dafür, dass man sich beim Genuss des Albums selbst auf ihrer Hausparty wähnt und mit ihr eine emotionale Nacht verbringt.

    Praise the Lorde! (5/5)

  • Vor 7 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.