laut.de-Kritik
Hommage an Edgar Allan Poe mit vielen Gaststars.
Review von Joachim GaugerEigentlich ist schon die "Overture" ein Schlag ins Gesicht. Dieser unisono von Gitarren, Keyboards und Bläsern angestimmte und von Sax- und Drum-Solis endlos verzögerte Chorus klingt wie ein grandioses Finale, kaum wie ein Auftakt. Als solcher verwirrt er den Hörer; dass der Einstieg in den ersten richtigen und programmatischen Song "Edgar Allan Poe" das Verwirrspiel auf die Spitze treibt, erscheint da fast folgerichtig.
Auch im weiteren Verlauf macht Reed es seinen Anhängern nicht einfach, beim ersten Hören hat man den Eindruck, die teilweise Hörspiel-artig gestaltete Platte sei wie ein Patchwork mit Rock'n'Roll, Jazz, Swing und Soul ohne inneren Sinn zusammen gepuzzelt. Übertrieben kitschige a capella Gesänge ("Balloon") strapazieren ebenso die Nerven wie irrlichternde Gitarren-Läufe ("Change") und bedeutungschwanger in die Länge gezogene Rezitationen der Texte Edgar Allan Poes ("The Valley Of Unrest", "The Raven", "Triptena's Speech").
Dieser Gründervater der amerikanischen Dichtung steht im Zentrum von "The Raven", mit seiner Hilfe versucht Reed, die gängige Behauptung, der Mensch könne mit sich und der Welt ins Reine kommen und glücklich werden, als billige Ideologie zu entlarven. Denn es sind die Leidenschaften, die Brüche in jedem Menschen und seine Obsessionen und Todessehnsüchte, die das Gelingen eines bürgerlichen Lebens so unwahrscheinlich machen.
"Who Am I" fragt Lou Reed in einem Song und die Antwort ist: ich bin viele, und diese disparaten Identitäten wollten am liebsten überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Hat jedoch der Hörer seine Erwartungshaltung aufgegeben, kann er erst die spröde Schönheit, die Fülle neuer Ideen und den großen Reichtum erkennen, den dieses schillernde Album für ihn bereit hält.
Da sind die großartigen Gaststars, allen voran Ornette Coleman mit seinem dreckigen Sax ("Guilty"), David Bowie mit seinem unverwüstlichen Drive ("Hop Frog") und Antony, der hoher Kopfstimme und Vibrato "Perfect Day" einen ganz eigenen Zauber verleiht. Am meisten beeindruckt aber wieder Lou Reeds fragiler Gesang, dessen unsichere und zögerliche Intonation, die allein schon so viel in Frage stellt. Die Träume des Menschen und seine tiefsten Abgründe erfährt Reeds Rabe im Verlauf des Albums, und am Ende singt er, wen wunderts noch, ebenso zärtlich und schön wie er anfangs böse krächzte.
1 Kommentar
lou reed ist scheiße