laut.de-Kritik
Tolle Neuaufnahme ihres Albums von 1992.
Review von Giuliano BenassiDie Mode, eine Tour mit einer alten Platte zu bestreiten oder sie gar neu aufzunehmen, ist durchaus kritisch zu betrachten. Sicherlich schön für den Fan aus der Vergangenheit, gleichzeitig ein Armutszeugnis für den Künstler. Es ist wesentlich schwieriger geworden, von der Musik zu leben, zweifellos. Bedeutet es aber nicht auch, dass man nichts Neues mehr mitzuteilen hat?
Im besten Fall versucht der Künstler, ungeliebte Arrangements loszuwerden, so wie es Natalie Merchant 2015 mit "Paradise Is There: The New Tigerlily Recordings" gemacht hat. Ähnlich sieht es Lucinda Williams, die hier ihr 1992er Album "Sweet Old World" neu auflegt.
"Es ist alles anders. Es ist eine andere Band, ein anderes Studio, auch meine Stimme ist anders. Im Prinzip ist es ein neues Album", versucht sie, die Zweifel zu beseitigen. Der Opener gibt ihr Recht: Mit Greg Leisz an der Gitarre gewinnt das Stück deutlich hinzu, wie auch das gesamte Album. Dass der Sessionman deluxe auch an den ursprünglichen Aufnahmen beteiligt war, widerspricht nicht grundsätzlich Williams' Aussage, denn in der Endmischung spielte er keine Rolle mehr.
Mit ihrem dritten Album "Lucinda Williams" gelang der Künstlerin aus Louisiana 1998 der Durchbruch. Dabei hatte sie Probleme gehabt, ein Label zu finden, denn die Demos waren zu Country für Rock und zu Rock für Country, so Williams. Mit dem Nachfolger "Sweet Old World" festigte sie ihren Ruf, eine schnörkellose Sängerin mit einer tiefen Gedankenwelt zu sein.
Den Titelsong schrieb sie für einen Freund, der sich das Leben genommen hatte. "See what you lost when you left this world, this sweet old world / The breath from your own lips, the touch of fingertips / A sweet and tender kiss / The sound of a midnight train, wearing someone's ring / Someone calling your name", dichtete sie. Einerseits passt das neue, nachdenkliche Arrangement, im Wesentlichen eine Akustikgitarre, besser zum Text als der 25 Jahre alte sehnsüchtige Country-Twang. Jedoch zerstört es auch die Illusion, dass es sich doch nur um verzweifelten Liebeskummer handelt, wie im Opener "Six Blocks Away", und nicht um den Tod.
So ist es halt bei Neuinterpretationen. Ein klasse Album ist es trotzdem, das alte wie das neue. Was auch daran liegt, dass Williams Stimme gut gealtert ist. Sie klingt wesentlich rauer und passt um so besser zu ihren Texten. Nun hat man um so mehr Mitgefühl für die einstige "Memphis Pearl", die den falschen Mann geheiratet hat, "he was good to her when he wasn't drunk". Ihre Beschreibung der Armut in Städten klingt nun um so eindringlicher: "As you walk along the sidewalks of the city / You see a man with hunger in his face / ... / You have to reach home before night / But now the sun beats down it makes the sidewalks glisten / And somehow you just don't feel right."
Allein der Anlass, die alten Lieder wieder ins Gedächtnis zu rufen, ist Grund genug, zum neuen Album zu greifen. Zu den zwölf alten Stücken gesellen sich hier vier weitere, die es damals nicht in die Auswahl schafften. Dazu hat "He Never Got Enough Love" nun seinen ursprünglichen Titel, "Drivin' Down A Dead End Street", und zusätzliche Verse enthalten.
Der Grund für die Umbenennung war damals Bob Dylan, der 1988 ein Stück mit dem Titel "Ninety Miles An Hour (Down a Dead End Street)" veröffentlicht hatte. Dass Williams ausdrücklich nicht an den Ober-Folk-Barden erinnern wollte, zeigt, wie selbstständig sie damals schon dachte. Eine Eigenschaft, die sie zum Glück nicht verloren hat.
1 Kommentar
Mir scheint, die Stimme hat nicht mehr die selbe Kraft und Leichtigkeit wie auf früheren Alben. Andere wie Johnny Cash haben vorgemacht, wie man fehlende Virtuosität durch Ausstrahlung ersetzt. Davon höre ich in diesem Album leider nichts.