laut.de-Kritik
Herausragender Abschluss einer großartigen Diskografie.
Review von Mirco LeierIch konnte nie wirklich verstehen, wie man um Menschen trauern kann, denen man nie begegnet ist. Der Tod prominenter Musiker ließ mich entsprechend weitestgehend kalt. Klar, ein bisschen anstandsgemäße Empathie für die Hinterbliebenen konnte ich mir schon abringen, mehr aber meist nicht. Als ich mich allerdings am 7. September 2018 aus dem Bett quälte und auf mein Handy schaute, rutsche mir das Herz in die Hose. Mac Miller war tot, Überdosis. "Fuck", schoss es mir durch den Kopf, dann Unglauben, dann tatsächlich: Trauer.
Meine persönliche Beziehung zu Mac Millers Musik will ich an dieser Stelle nicht unnötig vertiefen, nur so viel: Er war wohl einer der wenigen Künstler, deren Musik mich meine ganze Adoleszenz hindurch begleitete. Vom ersten Joint zum ersten Kuss zur ersten Stunde beim Psychologen mit Anfang Zwanzig: Nur allzu oft spiegelte seine Lyrik meine Seelenlandschaft wider. "Circles" macht da keine Ausnahme.
Das Problem posthumer Projekte ist grundsätzlich, dass Material ohne die Zustimmung des Künstlers erscheint und man nicht wissen kann, ob er nicht doch noch Änderungen am Album vorgenommen hätte, seien sie auch noch so minimal. Vielleicht hätte er einen Track komplett gestrichen, in einen anderen noch eine Bridge gepackt, einen Chorus einmal öfter wiederholt oder auf ein Feature verzichtet. Das trifft natürlich auch auf "Circles" zu: Man weiß schlichtweg nicht, ob Mac die LP genau so veröffentlicht hätte.
Betrachtet man aber den respektvollen Umgang aller Beteiligten mit Millers Erbe, rückt diese Problematik in den Hintergrund. "Circles" ist kein "Bad Vibes Forever", kein "Monatge Of Heck: The Home Recordings", kein geschmackloser Cash-Grab. Es vollendet vielmehr eine artistische Vision. Ein Geschenk an die Fans, ein notwendiges Send-Off zieht letzten Endes einen versöhnlichen Schlussstrich unter eine großartige Diskographie.
"This is what it look like, right before you fall", lauten die eröffnenden Worte von "Circles". Es fällt schwer, nicht sofort schicksalsbehaftete Schlussfolgerungen zu ziehen. Mac sprach in seiner Musik schon immer offen über seine Abhängigkeit und seine Dämonen. Bereits 2015 rappte er auf "Perfect Circle / Godspeed": "Them pills that I'm poppin', I need to man up. It's a problem, I need to wake up before one morning I don't wake up." Die wahre Tragik liegt jedoch im Optimusmus, den der Pittsburger Rapper auf "Circles" an den Tag legt.
Das Gegenstück zu "Swimming" folgt oftmals einem ähnlichen Rezept, schlägt mitunter gar noch melancholischere Töne an und wirkt dennoch mindestens genauso lebensbejahend wie sein Vorgänger. Das finale Bild, das Mac uns mit seinen Worten in den Kopf setzt, ist das eines vom Leben erschöpften Twentysomethings, der seine Fehler akzeptiert und gelernt hat, damit zu leben: Friedlich, im Reinen mit sich und der Welt um ihn herum. Auf "Swimming" teilt er uns mit, er habe gelernt, den Kopf über Wasser zu halten, mit "Circles", dass sich die Welt unabhängig davon weiter dreht.
"Everbody", ein Kernstück der LP, veranschaulicht das auf bittersüße Weise. Das Cover von Arthur Lees "Everybodys Gotta Live" klingt wie eine erhebende Hymne an das Leben, die lediglich angesichts der Umstände zur tieftraurigen selbsterfüllenden Prophezeiung mutiert. Aber Musik existiert eben nicht in einem Vakuum. So liefert, wie bei Bowies "Blackstar", der Tod ein Motiv, das auf Millers letztem Album wesentlich greifbarer erscheint, als es sollte.
Auf "Good News" singt er müde: "There's a whole lot more for me waiting on the other side / I'm always wondering if it feel like summer." Nur einer von vielen Momenten, in denen er scheinbar aus dem Grab zu uns singt. Egal, wie oft ich diese Momente höre und zum Taschentuch greifen muss, fühlen sich diese Augenblicke gleichzeitig auch wie eine tröstende Umarmung an.
Musikalisch geht "Circles" zwar einen ähnlichen Weg wie "Swimming". Aus offensichtlichen Gründen trägt Jon Brions Produktion das Werk aber noch mehr. Diese fällt mal verträumt, mal verspielt aus und bildet den perfekten Klangteppich für Millers Gesang, den er ebenfalls noch stärker als je zuvor in den Mittelpunkt rückt. Das klingt an einer Stelle nach den Beatles, an der nächsten wie Fiona Apple und auf Songs wie "Blue World" und "Hands" sogar ein wenig nach dem partyhungrigen Mac von einst. Eine kleine instrumentale Werkschau, mit der Brion Macs letzte Worte bebildert.
Balladesk kommen die größten Standouts "Everytime", "Good News", "Woods", "Hand Me Downs" und "Surf" daher und pendeln zwischen Slackertum und Selbstzweifeln. Macs Selbstreflexion kulminiert allzu oft im Eingeständnis des eigenen Unvermögens. Dabei suhlt er sich aber nie im Selbstmitleid, sondern akzeptiert es schlichtweg als Gegebenheit. Die Tage der Unbekümmertheit sind auch für Mac schon lange vorbei.
Der Closer "Once A Day" schließt konträr dazu wunderschön und versöhnlich den Kreis. Außer an seine Ex-Freundin Ariana Grande adressiert Mac den Song auch an sich selbst. "But every now and again, why can't we just be fine?", so lautet seine letzte Frage, bevor er wohl für immer verstummt.
Egal, wo Mac auch sein mag: Ich hoffe, dass es sich dort wie Sommer anfühlt. Er fehlt. Nicht nur mir, nein, er hat eine riesige Lücke in der Musikwelt hinterlassen. Auch wenn "Circles" sein Lebenswerk herausragend abschließt, steht die traurige Erkenntnis im Raum, dass all das kreative Potenzial, das er darauf erneut an den Tag gelegt hat, nie fortgeführt werden wird.
Es bleibt der Rückblick: noch einmal zu "Donald Trump" die Hütte abreißen, zu "Nikes On My Feet" aufs BMX steigen, sich zu "Cinderella" verlieben oder zu "Ascension" schlaflos die Decke anstarren. "What's between heaven and hell? A brand new me", singt er darauf. Rest easy, Malcom.
9 Kommentare mit 7 Antworten
Ich muss gestehen, dass ich kaum was von ihm kenne und ihn immer eher am Rande wahrgenommen habe. Offensichtlich habe ich da aber was verpasst. Ich werde mal mit diesem Album anfangen.
Gibt von ihm schon Einiges, was man sich wirklich gut geben kann, auch schon aus seinen Anfangstagen.
Nie von dem gehört. Der mußte wohl nur ein paar Wochen lang Musik machen, um ein bedeutender Teil des Lebens eines Tweens zu werden.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Geht's noch ignoranter?
Klar doch. Das heb ich mir aber für Andreas Gabalier auf.
Ja, Ragism ist ein wahrer Edgelord. Ich denke ein Beitrag in der ancientcave wäre angebracht, so als Ersatz für den Bling-Boi!
Ok Boomer
Starkes Album, fantastische Produktion, der Blackstar-Vergleich passt.
Ein Künstler, mit dem ich nie viel anfangen konnte und vermutlich auch nicht mehr werde. Aber Props für die Rezi gibt's!
Gutes Album, dem man anmerkt, dass es kein "klassischer", posthumer Release ist.
Kommt für mich aber nicht ganz an Swimming und Divine Feminine ran.
Läuft aktuell rauf und runter, bin absolut begeistert.