laut.de-Kritik

Prog-Rock bei Kerzenlicht.

Review von

Wenig Strom, dafür mit viel Kerzenlicht präsentieren uns Marillion ausgewählte Klassiker der Steve Hogarth-Ära als Unplugged-Versionen. Denn anstelle Butter bei die Fish zu geben, nehmen sie mehrere Gänge heraus, lehnen sich zurück und werfen einen nachdenklichen Blick auf die vergangenen zwanzig Jahre.

Um den Faktor Dynamik beraubt, muss man sich als lautstärkeverwöhnter Musikkonsument erst weitere interessante Aspekte erschließen. Und so lernt man nach mehreren Durchläufen den Charakter Marillionscher Kompositionskunst wieder zu schätzen: unkonventionelle, spannend gestaltete Songs mit überraschender Harmonik und metrischen Finessen. Hinzu gesellt sich ein gekonntes Spiel mit epischer Songgestaltung und partiellen poppigen Elementen.

Monothematische Stücke ("Go!") funktionieren ebenso wie proggige Songs ("Interior Lulu") mit reduziertem Sound und Arrangement. Konzeptuell aus dem Rahmen traditioneller akustischer Instrumentierung fällt das geschickt mit einem Xylophon-Thema bestückte "Quartz". Ungewöhnlich auch die Transformation des rockigen Purple/Heep-Hybriden "Hard As Love" in eine sentimentale Ballade.

Die mit inflationären Latin-Anleihen daher schunkelnde Gute-Laune-Nummer "If My Heart Were A Ball" dürfte sich als akustische Befeuerung einer Cocktail-getränkten Strandparty eignen, ist jedoch, wie die meiste Mucke bei solchen Anlässen, nur mit reichlich Hochprozentigem zu ertragen. Dorfschranzen-Pop und Mallorca-Pathos bleiben glücklicherweise die Ausnahme.

Steve Hogarths schneidende und nasale Stimme gerät streckenweise arg ins Krächzen und Säuseln. Der Sänger versucht diese Missstände mit unnötigem und nervendem Falsettieren und an Elektroschocks erinnernde Vibrati auszugleichen. Damit reicht er nicht an das Charisma ähnlicher Stimmtypen wie Neal Morse oder Vorgänger Fish heran. Kollege Rothery glänzt hingegen im Stile bluesiger Gitarren-Helden wie Knopfler und Moore. Auch die Rhythmus-Gruppe Trewavas/Mosley sowie Keyboarder Mark Kelly setzen musikalisch dienliche Akzente.

Ob die akustisch-minimalistische Umsetzung Kritiker, die in Prog-Rock nur eine willkürliche Folge irritierender Klänge sehen, befrieden kann? Auf jeden Fall kreieren die Engländer mit den teils erheblich von der Ausgangslage abweichenden Akustik-Nummern eigenständige Alternativen. Langjährige Fans mit gewohnheitsmäßiger Präferenz des alten Materials scheint angeraten, erst einmal ein Ohr zu riskieren und sich behutsam an die stimmungsvollen Klangwelten heranzutasten.

Trackliste

  1. 1. Go!
  2. 2. Interior Lulu
  3. 3. Out Of This World
  4. 4. Wrapped Up In Time
  5. 5. The Space
  6. 6. Hard As Love
  7. 7. Quartz
  8. 8. If My Heart Were A Ball
  9. 9. It’s Not Your Fault
  10. 10. Memory Of Water
  11. 11. This Is The 21st Century

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