laut.de-Kritik

Die Reise ins Ich.

Review von

"Du kannst nicht jedem gefallen", weiß Mark Forster. "Die meisten sehen dich nicht mal. Bist nie der Favorite von allen." Wie so oft angesichts seiner Texte möchte man sagen: Stimmt. Oder auch: Ach. Nein, es überrascht nicht besonders: Das große Was-du-nicht-sagst-Gefühl dominiert auch das jüngste Album von Kaiserslauterns prominentestem Kappenträger.

Was mich jedoch sieben Jahre nach "Tape" unverändert fassungslos zurücklässt: Mark Forster sagt das Offensichtliche, und seine Fans feiern es, als habe ihnen jemand neue Welten eröffnet. Er kreist in flachen Endlosspiralen um sich selbst, und die Leute fühlen sich individuell abgeholt, verstanden, im Herzen und in der Seele berührt. Wie macht er das nur?

Oh, Mann. Ich wollte echt nicht ausgerechnet bei den Texten einsteigen, wer kommt schon gerne wie der zynische Alleshasser-Grinch rüber? "Supervision" rechtfertigt ja durchaus ein paar freundliche Worte. Was das Musikalische betrifft, haben wir es mit einem makellos fett produziertem Pop-Album zu tun. Nichts darauf wirkt schwachbrüstig oder billig.

Vielleicht reitet Mark Forster den Trick, als melancholieschwangere Klavierballade einzusteigen und den Track dann doch in einen irgendwie tanzbaren Beat kippen zu lassen, einmal zu oft. Lagerfeuertaugliche Akustikgitarren bleiben Geschmackssache, genau wie die schrappige Gitarrenrock-Einlage in "Als Wär Das Leben Zu Ertragen". All das muss man nicht mögen, es klingt aber durch die Bank absolut solide und funktioniert als das, das es jeweils sein will, tadellos.

Um nicht zu merken, dass man es in Mark Forster mit einem echt versierten Musiker zu tun hat, müsste man schon böswillig Augen und Ohren zukneifen. Fraglos weiß der Kerl, was er tut. Er hat Gespür für Rhythmus, Timing, Dynamik und Drama. Mit wohl gesetzten Zitaten drückt er die richtigen Knöpfe. Stellenweise, etwa in "Late To The Party", entwickelt er noch aus dem kargsten Beat fast unverschämten Groove. Die Bassline nebst Bläsereinsatz in "Alles Toxisch": Zucker.

"Supervision" könnte eine unterhaltsame, abwechslungsreiche Pop-Platte sein, die das ganze Spektrum zwischen atmosphärisch-einlullend bis munter-mitreißend abdeckt. Man darf halt, womit wir wieder am Anfang angekommen wären, nicht auf die Texte achten. Also ... ich darf das nicht. Ernst gemeinte Frage an alle Fans da draußen, es interessiert mich wirklich: Merkt ihr nicht, was für eine nichtssagende Phrasen-Polonaise ihr da aufgetischt bekommt, oder ist euch das schlicht wumpe?

Die Dichte des eingestreuten Therapievokabulars ist passend zum Albumtitel gestiegen. Abgesehen davon hat sich nichts geändert. Mark Forster sagt zum einen Dinge, die entweder so banal sind, dass niemand widersprechen wollte. Zum anderen bleibt er in seinen Aussagen so vage, dass gar niemand widersprechen könnte. Weil man entweder keinen Schimmer hat, was er überhaupt genau meint, oder sich in seine Zeilen beliebig hineininterpretieren lässt, was auch immer man da gerade finden möchte. Horoskopautor*innen kennen die Strategie.

Hand hoch, wer stand noch nie des Nachts auf einem Dach und fühlte sich winzig angesichts sternengesprenkelter Weite? "Perfekt" ist - ach! - genau niemand, weswegen eine Nummer über Fehlbarkeit erst einmal alle anspricht. Ebenso universal, zumindest unter den Jüngeren: das Gefühl, sich unverstanden und eingeengt zu fühlen, "in deinem kleinen Kaff". Bizarrerweise scheint die Sehnsucht nach dem ländlichen Idyll im heimeligen Familien- und Freundeskreis, besungen im Song gewordenen Spießbürgertraum "Unser Haus", genau so weit verbreitet zu sein.

Derlei thematische Sureshots bergen zwar nichts Originelles, Individuelles oder gar Rebellisches, sind aber in ihrer egalen Allgemeingültigkeit noch irgendwie auszuhalten. Dass "Genug" sich großzügig bei Alice Mertons "No Roots" bedient: geschenkt. Dass der Track jedoch einen ikonischen, wichtigen Song wie "Smalltown Boy" in den Abgrund seiner Bedeutungslosigkeit zerrt: unverzeihlich. "Du tanzt so laut wie man weint, wenn man glücklich ist": Was zum Henker soll das bedeuten? Oder: "Ich sitz' am Klavier, die tiefen Tasten klingen nach dir", hä?

Richtig eklig wird es da, wo der unentwegt rotierende Ich-ich-ich-Strudel um Mark Forsters Bauchnabel Züge einer Persönlichkeit freilegt, die in ihrer totalen Egozentrik einfach nur abstoßend wirkt. Schon im ersten Track "Wenn Du Mich Vergisst" wirken die Worte "Ich werd' dich an alles erinnern" wie eine Drohung: Du kommst hier nicht raus! "Wie Ein Geist" macht den klaustrophobischen Eindruck komplett. Forster stalkt da den Fotos einer verflossenen Liebe hinterher: "Will nur wissen, wie es dir ohne mich geht", und dann "zoom' ich auf den Kopf drauf, und dann zoom' ich auf dein Top drauf." Creepy. Schmierig. Igitt.

"Ich mach' wie die Queen, sag' nicht, wie es mir geht": Leider entspricht das nicht der Wahrheit. Mark Forster redet auf diesem Album über nichts anderes als seine gar nicht besonders spannenden Befindlichkeiten. Selbst "Wunder", das so tut, als sei es ein dankbares Liebeslied, schert sich einen Scheiß um das angeblich angesungene Gegenüber. "Da bist du, nur noch du", allerdings bist du da bloß, um begleitet von einer Streicherpathos-Überdosis, die einzige Frage zu beantworten, die den Fragesteller wirklich zu jucken scheint: "Warum glaubst du an mich?" Ja, warum? An den insbesondere in "Perfekt" unentwegt bemühten ranzigen Wie-Vergleichen kann es kaum liegen.

Apropos "Perfekt": Wer meinte, mit dessen schauderhafter Hook den Tiefpunkt des Albums erreicht zu haben, sei sich bewusst, dass dem noch ein Sportfreunde-Feature folgt. Das bringt immerhin den Effekt mit, dass einem Mark Forster neben Peter Brugger urplötzlich wie ein beeindruckender Sänger vorkommt.

Die übrigen Gäste hinterlassen sicherheitshalber erst gar keinen Eindruck, so haargenau liefern sie, was man erwartet: Der nette Clueso will auch einmal ausbrechen, verlangt in "Farben Leuchten Schwarz" nach mehr Bass, um dann, Rapvideo-Klischee-Style, das Gaspedal durchzutreten und die glänzende Karre durch die Nacht zu steuern. KeKe ergeht sich in gehauchten Selbstzweifeln. Kontra K gibt (örks!) den starken, aber sensiblen Mann, der gönnerhaft wissen lässt: "Selbst wenn du mich vergisst, ist es schön, dass es dich gibt." Na, danke auch. Was er mit "Schlag' mit mir die Zeit tot, vielleicht schlägt sie dann zurück" meint, verstehe dagegen, wer will. Ich nicht.

Später packt Mark Forster, nun wieder "Gern Allein", die Wandergitarre aus und teilt mit, dass er Harry Styles höre: "Ist cheesy, ich weiß." Ach. Außerdem: "Das Leben schmeckt leicht wie meine Sprite." Werbedeal schon eingetütet? Mit "Lego" hats ja auch geklappt.

Trackliste

  1. 1. Wenn Du Mich Vergisst feat. Kontra K
  2. 2. Alles Toxisch
  3. 3. Lego
  4. 4. Wie Ein Geist
  5. 5. Farben Leuchten Schwarz feat. Clueso
  6. 6. Genug
  7. 7. Late To The Party
  8. 8. Perfekt
  9. 9. Als Wär Das Leben Zu Ertragen feat. Sportfreunde Stiller
  10. 10. Wunder
  11. 11. Cola In Den Pétrus feat. KeKe & La Place
  12. 12. Gern Allein
  13. 13. März
  14. 14. Jedem Gefallen
  15. 15. Unser Haus

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