laut.de-Kritik
Tiefgang statt "Wir fliegen hoch".
Review von Dani Fromm"Ich mach' Popmusik, das darf man ja auch nicht vergessen." Solches hört man nicht mehr allzu oft. Aus guten Gründen: Popmusik, das klingt nach seichten Liedchen mit platter Wandtattoo-Lyrik, bei denen sich alle, eiapopeia, wohlig wohlfühlen und die jeder schon beim zweiten Refrain mitsingen kann. Jemand, dem wirklich daran gelegen ist, die glänzenden Oberflächen zu durchbrechen und tiefer zu schürfen, der macht keine Popmusik. Eigentlich.
Einer schon: "Für mich wird es nicht cooler, weil ich es anders nenne." Maxim investiert seine Energie statt in Begriffe lieber in seine Kunst, und die manifestiert sich in erster Linie in den Texten. "Das Bisschen Was Wir Sind" gibt allen, denen "Die Welt ist klein, doch wir sind groß"-Phrasen Zweifel an der Existenz einer hiesigen Dichter- und Denker-Kultur bescherten, den Glauben zurück.
Maxim malt mit in seinem Genre konkurrenzlos düsterer Farbpalette Sprachbilder der Extraklasse. Jeder Formulierung merkt man die Akribie an, mit der er darauf achtet, nicht nur sich selbst, sondern auch all die anderen nicht zu wiederholen. Das könnte leicht zu Verkrampfungen führen, gerieten die Ergebnisse nicht derart geschliffen, dass sie mühelos durch Panzerung, Haut und Muskeln bis zum Knochen vordringen.
An den Themen liegt es nicht. Über Enttäuschung, Betrug und Herzschmerz, die Suche nach dem entscheidenden Bisschen, das irgendwie irgendwo doch "Mehr Sein" muss, über das Leben, die Liebe, den Tod und die Flüchtigkeit des Augenblicks, darüber haben wahrlich schon andere gesungen - aber eben viel zu oft mit den immer gleichen übergroßen Worten, die infolge des ständigen Gebrauchs kaum noch bis gar keine Wirkung mehr erzielen.
Maxim geht anders vor, fieser, subtiler. Subversiv schiebt er seiner Hörerschaft neben durch und durch persönlichen politische Themen unter. Dem einen oder anderen fällt das, wenn überhaupt, vielleicht erst beim dritten Durchlauf auf. Die "Pille Aus Luft" hilft dabei, den Anblick eines vor die Hunde gehenden Planeten zu ertragen. Ja, hier geht es (auch) um Umweltverschmutzung. Mauern umschließen das Paradies: Den aktuellen Bezug muss man nicht lange suchen.
In "Tourist" beschreibt Maxim zusammen mit seinem einzigen Featuregast Marteria die Teilnahmslosigkeit allzu vieler Fernreisender, denen an tatsächlicher Horizonterweiterung, echten Begegnungen mit fremden Kulturen, gar nichts liegt. Alles schon gesehen, noch immer unzufrieden, unbefriedigt, auf der Suche nach ... ja, wonach denn? Dabei wirkt es nirgends, als fühle sich hier jemand zum Weltverbesserer berufen.
Eher geht es darum, jeden, den es interessiert, an der eigenen Gedanken- und Gefühlswelt teilhaben zu lassen. Die kreist oft genug um emotionale Abgründe. Dem unausweichlichen Ende einer Beziehung, des Lebens, der Welt, stellt sich Maxim mit wachsender Gelassenheit, nie ohne Hoffnung und stets mit wunderbar treffenden, völlig unverbrauchten Metaphern.
Der hintergangene Liebhaber sitzt am Tisch und macht sich noch mehr zum Clown, als er sich ohnehin längst vorkommt, indem er vergebens versucht, die "Scherzkerzen" auszublasen. Die Versammlung aus Abgehängten und Verzweifelten heißt "Willkommen Im Club", wirft schwarzes Konfetti und reicht Pustekuchen zum Dessert. Im "Hype" schwingt das Ende der rauschenden Party bereits mit, man sieht das Putzlicht schon angehen, während das Strohfeuer noch lodert.
Mit völlig unorthodoxen Redewendungen erzielt Maxim wieder und wieder den "Genau so ist es"-Effekt. Am drastischsten exerziert das "Buntstifte" vor: Wer in seinem Umfeld eine an Depressionen erkrankte Person hat, wird die Qual, die das bedeutet, in dieser Nummer wiedererkennen. Zusammenbruch, mühsames Aufrappeln, frisch keimende Hoffnung, die der nächste Schub aufs Neue zunichte macht: ein elender, endloser, zermürbender Reigen. Gruselig und beklemmend wirkt das, aber auch auf verrückte Weise tröstlich, wenn man feststellt: Anderen geht es genauso.
Einzig in "Autsch" kippt die Stimmung in Richtung Kitsch. Das liegt aber vermutlich weniger am Text als an der musikalischen Umsetzung - und ich schwöre, ich schrieb' das, bevor ich wusste, dass die dramatisch raumgreifende Klavierballade auf das Konto des Produzententeams Kahedi geht. Mit Max Herre konnte ich halt einfach noch nie viel anfangen. Geschmackssache.
Unabhängig von musikalischen Vorlieben lässt sich die Hochkarätigkeit der Produzentenliste kaum in Frage stellen: Außer vom Mann aus dem Schoße der Kolchose erhält Maxim Rückendeckung von Jochen Naaf, Farhot und Tua. Zwischendurch, etwa in "Hype", führt das zu durchaus kopfnickbaren Passagen. Auch Teka, der Maxim schon in seinen längst versunkenen Reggae-Tagen zur Seite stand, leistet wieder seinen Beitrag: Er verantwortet zum Beispiel das große "Inception"-Gefühl in "Amnesie", das wie ein Spaziergang an einem endlosen Strand anmutet.
Die Vielfalt der beteiligten Produzenten, die von Streichern und Klavier zu Elektrosounds und Scratches alle Register ziehen, garantiert Abwechslung. Mit Maxims Stimme und dem Grundmotiv Vergänglichkeit verweben gleich zwei rote Fäden die Ansammlung von Tracks zu einem geschlossenen Ganzen. Das geht als leuchtendes Beispiel dafür durch, wie sich Pop eben auch präsentieren kann: Tiefgang statt "Wir fliegen hoch!" fürs Mainstream-Radio. Allein dafür möchte ich schon ein Herz neben das Smiley an die beschlagene Scheibe malen.
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Interessante Scheibe