laut.de-Kritik

Hinkt Bruce Springsteen 18 Jahre auf den Straßen von Philadelphia hinterher.

Review von

Mit der Besetzungsliste von Simply Red kann man eine halbe Kleinstadt füllen. Trotzdem kennen nur die wenigsten mehr als das Gesicht von Mick Hucknall. Warum sich dieser im Herbst seiner Karriere nun von dem bekannten Namen trennt und als Solo-Künstler durchstarten will, bleibt ein kleines Rätsel.

Wie so viele Stars vor ihm, die ihren kreativen Höhepunkt weit hinter sich gelassen haben, widmet sich Hucknall nun der Musik, die ihn einst formte. Nach der Hommage an die Blues-Legende Bobby "Blue" Bland, grast der Rotschopf auf "American Soul" die Wiesen der Soulmusik ab.

Bei Simply Red war Hucknall die Sonne, um die sich alles zu drehen hat. Doch auch auf seinem zweiten Solo-Album duldet er nur fischblütige Studiomusiker neben sich. Anstelle einer funktionierenden Band tümmeln auf "American Soul" gelangweilte Befehlsempfänger, die ihren Stiefel runter spielen und auf den nächsten Scheck hoffen. Kitschige Geigen imitieren fehlende Gefühlsausbrüche.

Schon mit "That's How Strong My Love Is", einem hundertfach gecoverten Soul-Klassiker, dessen bekannteste Version wohl von Otis Redding stammt, verkommt "American Soul" zu einem fettigen Schmalztiegel. Aus einem Lied voller Poesie und Emotionen entsteht radiotauglicher Ramsch. Wenn Hucknall wirklich so viel an den Songs liegt, wie er immer wieder hervorhebt, warum treibt er dann solch einen Schindluder mit ihnen?

Wer eine zeitgemäße spannende Aufnahme von "Don't Let Me Be Misunderstood" sucht, sollte Hucknalls Longplayer links liegen lassen und zu Meshell Ndegeocellos Verbeugung vor Nina Simone greifen. Im Vergleich kann das Scheitern Hucknalls kaum deutlicher ausfallen. Ndegeocello kitzelt dem längst ausgesaugten Körper noch die letzten Tropfen Blut heraus. Kein Wunder, dass für den Briten nur noch eine leere und nichtssagende Hülle übrig bleibt. Von einer eigenständigen Interpretation bleibt er dabei so weit entfernt, wie Uwe Boll vom Oscar.

Das Arrangement von "Tell It Like It Is" hat mehr Ähnlichkeit mit der abscheulichen Don Johnson-Version von 1989, als mit dem Original von Aaron Neville. Was er allerdings in "Let Me Down Easy" einem meiner Lieblingslieder antut, gleicht einer Frechheit. Aus dem Deep Soul von Bettye Lavette entsteht Gefühlsduselei der Marke Paul Young. Zum Ende drückt Hucknall aus seiner Knechtschaft noch die Kopie eines Clapton-Solos. Schauderhaft. Kinder, ich flehe euch an: Greift zu den Originalen!

Antony & The Johnsons' düstere Verzweiflung in "Hope There's Someone" weicht einem Kleister der Einfallslosigkeit. Keyboardflächen und ein Schlagzeug. Hucknall hinkt Bruce Springsteen achtzehn Jahre auf den Straßen von Philadelphia hinterher.

Zum Schrecken aller entwickelt "Lonely Avenue" zu Beginn so etwas wie Spannung. Schmachtende Geigen, die hier ausnahmsweise perfekt funktionieren, begleiten einen tiefen singenden Bass. Das ist große Kunst und erinnert für einen Moment an The Temptations und The O'Jays. Davon wohl selbst am meisten irritiert, schwenkt Hucknall nach der ersten Hälfte des Tracks mehr und mehr zurück zum bewährten Rezept. Schade, zeigt "Lonely Avenue" doch, was mit etwas mehr Leidenschaft für sein zweites Solo-Album drin gewesen wäre. Denn die Stimme für eine gute Blue Eyed Soul-Platte hat Hucknall noch immer, nur das Herzblut scheint ihm unterwegs abhanden gekommen zu sein.

"American Soul" bleibt ein dürftiges Fastfood-Menü. Statt Big Mac gibt es Small Mick mit abgezählten Gurkenscheibchen. Hucknall genügt es, ein seelenloses und durchdesigntes Wegwerfprodukt zu veröffentlichen und befindet sich damit auf dem Weg zum Dieter Thomas Kuhn des Souls.

Trackliste

  1. 1. That's How Strong My Love Is
  2. 2. Turn Back The Hands Of Time
  3. 3. I'd Rather Go Blind
  4. 4. Lonely Avenue
  5. 5. I Only Have Eyes For You
  6. 6. Tell It Like It Is
  7. 7. Baby What You Want Me To Do
  8. 8. The Girl That Radiates That Charm
  9. 9. Let Me Down Easy
  10. 10. Don't Let Me Be Misunderstood
  11. 11. It's Impossible
  12. 12. Hope There's Someone

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6 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    "Von einer eigenständigen Interpretation bleibt er dabei so weit entfernt, wie Uwe Boll vom Oscar."
    Hr. Kabelitz, welch schmackhaftes Betthupferl sie mit diesem Verriss servieren - ich werd das Grinsen gar nicht mehr los... herrlich :D
    Abgesehen davon, dass ich eher 5 eklige Big Mäcs hintereinander verputzen würde, anstatt mir vielgeliebte Tracks von Nina Simone, Otis Redding und Antony durch Small Mick auf ewig im Gehörgang versauen zu lassen: Botschaft angekommen, auf dem unterhaltsamsten aller Wege. Weiter so!

  • Vor 12 Jahren

    :D
    Eine Sauerei, dass man sich mit dir nicht mehr anderweitig austauschen kann.

  • Vor 12 Jahren

    Unser böser Anwalt besitz Kontaktdaten... auch wenn ich beruflich bedingt momentan etwas nachlässig mit dem Privat-Postfach umgehe...
    Gelungenes Interview auch mit Hrn. Nachtsheim! Hesse unner sisch halt, gell? ;)

  • Vor 12 Jahren

    Sehr intelligenter Verriss, besten Dank!

  • Vor 12 Jahren

    Herr Kabelitz...kann es sein, dass sie irgend absoluter Gegner von 80er Überbleibseln sind ?? Ich meine ich bin kein Simply Red/Mick Hucknall Fan, aber irgendwie ist es auffällig, dass SIE sämtliche Musiker und Bands welche in den Achtzigern ihre Hochphase hatten, grundsätzlich verreißen...

  • Vor 12 Jahren

    Herr Kabelitz...kann es sein, dass sie irgend absoluter Gegner von 80er Überbleibseln sind ?? Ich meine ich bin kein Simply Red/Mick Hucknall Fan, aber irgendwie ist es auffällig, dass SIE sämtliche Musiker und Bands welche in den Achtzigern ihre Hochphase hatten, grundsätzlich verreißen...