laut.de-Kritik

Ein Trip auf Globuli.

Review von

Wenn man ihn als "Offenburgs Antwort auf Justin Bieber" bezeichnet, deckt man das Phänomen Mike Singer (nicht nur optisch) überraschend gut ab. Wie der Kanadier ist auch der deutsche Teeniestar zunächst durch Coverversionen auf YouTube bekannt geworden, legte zwei höchst erfolgreiche Soloalben nach und spaltet von Tag eins die Menschen. Während sich einerseits unter dem Hashtag #teamsinger Heerscharen von jungen Fans versammeln, die ihrem Idol bedingungslose Unterstützung entgegenbringen, sehen andere in dem 19-Jährigen eine "arrogante Bratze" oder gleich ganz den Untergang des Abendlandes.

Auf seinem dritten Album "Trip" vertraut der Offenburger weiterhin auf am US-Standard orientierte Beats gepaart mit ... speziellen Texten. "Es ist vier, wann bist du hier?" bereitet mich lyrisch schon ganz gut auf das vor, was in den folgenden dreißig Minuten auf mich zukommt. Was die Verpackung angeht, kann ich erstmal nicht meckern. Der Plastik-Oriental Beat auf "Tinderella" gefällt mir ziemlich gut und "Taub" packt im Refrain kompromisslos die Abrissbirne aus.

Inhaltlich wenden sich beide Songs an eine nicht näher benannte junge Dame, der Singer unter anderem folgende Nettigkeiten zu sagen hat: "Du bist nicht mehr mein Problem. Muss nicht mal so tun, als wär's egal. Zu viel Optionen am Buffet". Die Bitches stehen eben Schlange beim Casanova aus der badischen Provinz. Der allerdings diese Pimpattiüde mit einer dünnen Stimme vorträgt, die vom Beat teilweise erdrückt zu werden droht und bei höheren Tönen gerne mal bricht.

Ich bin selbst überrascht mit wie viel Wohlwollen ich dem entgegen trete. Ohne paternalisierend klingen zu wollen: Der Junge wirkt einfach derart unbeholfen in der Rolle, in die man ihn drängt, dass er mir prompt sympathisch wird. Man merkt von der ersten Minute, dass hier Versatzstücke aneinandergereiht sind, die Singer in irgendwelchen Popsongs so aufgeschnappt hat, die mit der eigenen Lebenswelt aber einfach wenig bis nichts gemein haben. Dem daraus entstehenden Trashfaktor von "Trip" kann und will ich mich nicht entziehen.

Dass es auf "Sei ehrlich" erstmals richtig deep wird, kündigt der Beat schon nach zwei Sekunden an. Man könnte annehmen, dass sich Mike Singer mit Teeniebefindlichkeiten besser auskennt als mit Pimpgehabe. Ist aber nur bedingt der Fall. "Jetzt will ich dich in meiner Nähe, aber du willst mich jetzt nicht mehr sehen" gehört noch nicht einmal zu den schlimmsten Reimen des Albums. Dafür sind die Melodie und die musikalische Untermalung ein "schöner Schein wie violettes Papier" - eine deutliche Ähnlichkeit zu Jeremihs "Birthday Sex" lässt sich nämlich auch nicht verheimlichen.

"Immer noch Herzklopfen, wenn Mama zum Konzert kommt" ist eine der ganz wenigen Zeilen, die ich dem Teenie-Star tatsächlich so abkaufe. Auch die zieht ihm für einen Song wie "Air Force One" hoffentlich ein bisschen die Ohren lang. Denn dass Mike Singer hier auf Macker mit dicker Patte macht, wirkt zum ersten Mal wirklich unsympathisch. Auch das wird er so irgendwo aufgeschnappt haben, aber die Schiene kann er wirklich gerne den Shindys dieser Welt überlassen. Dazu kommt, dass es all die Gucci und Louis Stores nicht bis in die badische Provinz geschafft haben. Weswegen Mike Singer, statt seine Angebete nun durch Luxusläden zu schleifen, nur ein hilfloses "kauf mir eine Insel und benenne sie nach dir" einfällt. Dann doch lieber wieder Songs über "bad bitches" wie in "Bonnie Ohne Kleid". "Das ist kein Liebeslied, weil's Gefühle bei ihr nicht gibt" entwickelt ordentlich Ohrwurmpotential.

"Ich weiß nicht wie das geht, sein was ich nicht bin, wo treiben die mich hin?", klagt Singer auf "Da Wo Wir Sind". Ein kurzer Moment der Besinnung vom netten Jungen aus der Provinz, der in Interviews erzählt, wie er seinen 19. Geburtstag zusammen mit Mama und Papa in der Offenburger Diskothek feiert und den ein findiges Marketing- und Produzententeam nun zum "bad boy" für die junge Generation machen will.

Hilft alles nichts, also weiter im vorgeschriebenen Text. "Pack' dich aus wie ein Bon Bon, Bon Bon. Du bist süß wie ein Bon Bon, Bon Bon" lässt sich leider selbst mit viel Wohlwollen kaum ertragen und ist auch musikalisch ziemlich abgedroschen. Dafür verabschiedet sich das Produzententeam noch einmal mit einem echten Highlight. "Durch Die Nacht" besticht mit einem starken, wummernden Beat und ist auch handwerklich einfach ein starker Popsong.

Zugegeben: Der "Trip", den Mike Singer am Anfang des Albums angekündigt hat, klingt eher so als hätte er sich ein paar Globuli aus Mamas Badschrank eingeschmissen. Trotzdem ist die Platte eine erfreulich kurzweilige Angelegenheit. Über das musikalische Beiwerk kann man sich mit wenigen Ausnahmen wirklich nicht beklagen. Und die ganzen Songs über Sex und Beziehungsprobleme sind derart unauthentisch, die Reime derart grottig, dass sie schon wieder ihren ganz eigenen Unterhaltungsfaktor entfalten.

Trackliste

  1. 1. Trip
  2. 2. Taub
  3. 3. Tinderella
  4. 4. Sei Ehrlich
  5. 5. Air Force One
  6. 6. Bon Voyage
  7. 7. Bonnie ohne Kleid
  8. 8. Ulala (feat. Eunique)
  9. 9. Da Wo Wir Sind
  10. 10. Bon Bon
  11. 11. Warum
  12. 12. Durch Die Nacht

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