laut.de-Kritik
Lauter als laut: Motörhead rocken Berlin.
Review von Matthias BossallerSeit fast sechs Jahren ist Lemmy tot und die Karriere von Motörhead leider beendet. Das bedeutet aber nicht, dass kein Geld mehr mit dem guten Namen der legendären Band verdient wird. Nach dem Ableben des Meisters sind diverse Compilations auf den Mark gekommen, die kein Mensch braucht. Die Tribute-Scheiben oder ein Motörhead-Album mit Coverversionen gehören zu den besseren posthumen Outputs. Richtig gut gelungen sind die edlen Jubiläums-Boxen zu "Overkill" und "Bomber" sowie zu "Ace Of Spades".
Doch muss es wirklich sein, dass dieser Tage das zigte Live-Album von Lemmy, Phil Campbell und Mikkey Dee erscheint? Fans und Sammlern wird es egal sein. Sie stellen sich ohnehin alles in den Schrank, was von Lemmy & Co. veröffentlicht wird. Immerhin handelt es sich bei "Louder Than Noise...Live in Berlin" um ein richtig gutes Konzertalbum. Der Sound ist druckvoll und hervorragend abgemischt. An den 15 ausgesuchten Songs gibt's nix zu meckern, und die Begeisterung der Zuschauer ist greifbar.
Mit den früheren Livescheiben der umfangreichen Diskografie kann das vorliegende Werk allerdings nicht ganz mithalten. Das liegt zweifellos an Lemmys schon damals angeschlagener Gesundheit. Doch die Ikone des Rock'n'Roll gibt alles. Und im Vergleich zu seinem Zustand auf "Clean Your Clock" (2016), dem letzten Livemitschnitt vor sein Tod, ist er richtig gut drauf.
Nach den Alben aus Hamburg und München ist der Auftritt vom 15. Dezember 2012 in Deutschlands Hauptstadt gut gewählt. Zu Berlin hatte Lemmy zeit seines Lebens eine besondere Beziehung. Hier ging die berühmteste Frontwarze im Rock'n'Roll regelmäßig zum Arzt, und die legendäre Kneipe "White Trash" war seine erste Anlaufstelle. Aufgenommen vor 12.000 Zuschauern im Berliner Velodrom, gehörte der Gig zu einem der größten für Motörhead in Deutschland überhaupt.
Lemmys übliche Begrüßung beschränkt sich diese Mal auf ein knarziges "Guten Abend. We are Motörhead". Das für gewöhnlich nachgeschobene "and we play Rock'n'Roll" gibt's zur Abwechslung mal zum Schluss des Konzertes. Lemmy ist bekannt für seine guten Manieren. Höflich wendet er sich an Gitarristen Phil Campbell: "Phillip if you would please so kind." Der fackelt nicht lange und eröffnet mit dem Anfangsriff von "I Know How To Die" das Konzert.
Den Opener vom damals aktuellen Studioalbum "The Wörld Is Yours" ausgenommen, liegt der Songschwerpunkt des Abends auf den Klassikern: "Damage Case", "Stay Clean", "Killed By Death", "Over The Top", der Slo-Mo-Hammer "Metropolis" oder natürlich das unverzichtbare "Ace Of Spades". Das Trio haut aber auch nicht so häufig gespielte Songs wie "Doctor Rock" vom "Rock'n'Roll"-Album oder "Rock It" von "Another Perfect Day" raus.
Für die Freunde des erstklassigen "1916"-Albums gibt's das von Mikkey Dees Drumsolo unterbrochene Doppel "The One To Sing The Blues" und "Going To Brazil". Sicherlich hätte die Band noch den einen oder anderen Leckerbissen aus ihrem reichhaltigen Reservoire servieren können. Im Herbst ihrer Karriere haben Motörhead allerdings selten die 90 Minuten vollgemacht.
Mit der obligatorischen Zugabe "Overkill" beendet das Trio den Abend. Zuvor beweist Lemmy seine Deutschkenntnisse und spricht das Publikum mit "Meine Damen und Herren" an. Eine nette Geste. Das Konzert weckt Erinnerung an eine schöne Zeit, die leider nie wieder kommen wird. Da kommt Melancholie auf. Besonders als Lemmy dem Publikum zuruft: "Don't forget us!" Das, lieber Herr Kilmister, machen wir bestimmt nicht.
Noch keine Kommentare