Die Rockband aus Rom siegt in letzter Sekunde vor Frankreich und der Schweiz. Deutschland landet mit Jendrik wieder nur auf dem vorletzten Platz.

Rotterdam (mis) - Mit dem Song "Zitti e buoni" hat die von den Buchmachern als Favorit gehandelte Band Måneskin aus Italien den Eurovision Song Contest 2021 gewonnen. Nach dem Voting der Musik-Jurys aus 39 Ländern lag die Rockband noch abgeschlagen im oberen Mittelfeld. Doch bei den Zuschauern sahnte das Quartett aus Rom, das sich gegen Gender-Konventionen einsetzt, im großen Stil ab. Im Schnitt gingen aus jedem Land acht Punkte an die Rock-Poser.

Zuvor hatten sich Barbara Pravi aus Frankreich und Gjon's Tears aus der Schweiz ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz 1 geliefert und landeten letztlich hinter Italien. Der deutsche Beitrag von Jendrik bestätigte das deutsche Sisters-Ergebnis von 2019 und landete mit drei Punkten abgeschlagen auf dem vorletzten Platz.

Nicht ganz fair vielleicht, denn Jendriks bunt-schräger, wenn auch überambitionierter Ukulelen-Auftritt war sicher keine völlige Peinlichkeit und hätte einen unauffälligen Mittelfeldplatz verdient gehabt. Das Mittelfinger-Kostüm aus dem Video zu "I Don't Feel Hate" wurde ihm für die Eurovision-Bühne untersagt, so dass ein Peace-Finger neben ihm tanzte, dessen Zeigefinger aber hier und da abknickte. Auch nach Bekanntgabe des unrühmlichen Ergebnisses hüpfte Jendrik wie ein Sieger in seiner Crew-Bubble umher - man darf annehmen, dass er den Abend tatsächlich unbeschadet übersteht. Der Mann fühlt einfach keinen Hate.

Der ESC 2021 startete nach einjähriger Zwangspause natürlich unter besonderen Vorzeichen. 3.500 Zuschauer waren nach strengen Testvorkehrungen in der Halle zugelassen als Teil einer von der niederländischen Regierung in Auftrag gegebenen Studie. Um die Zuschauer zuhause näher ans Event zu holen, wurde eine spezielle App entwickelt, mit der man vom Sofa aus per Klick für einen Teilnehmer*in den Jubel in der Halle verstärken kann. Diese Jubel-Klicks würden mit dem Hallen-Signal vor Ort gemischt und zu einem Gesamtjubel addiert, hieß es. Der auditiven Erfahrung war dieses Experiment kaum zuträglich, der Applaus brandete nach jedem Beitrag auf wie immer, man sah jubelnde Menschen in der Halle, alles wie früher? Ein Sehnsuchtsgefühl, das die Verantwortlichen wohl genau so vermitteln wollten.

Auch bei den Outfits schien die heile präpandemische ESC-Welt noch in Ordnung zu sein. Zypern legte eine freizügige Eröffnung im knappen Silberkleid hin, es folgte Albanien und man wunderte sich kurz, wie schnell die albanische Sängerin Anxhela Peristeri den Glitzerfummel der soeben aufgetretenen Elena Tsagrinou übergezogen hatte. Doch wie sich heraus stellte, hatten noch weitere Kandidatinnen diese Outfit-Idee.

Doch so sehr sich die Welt seit 2019 auch verändert hat, wenn Peter Urbans Stimme erklingt, ist alles wieder wie früher. Mit seiner ruhigen Ausstrahlung, dem trockenem Humor und zumindest gelegentlich noch bissigen Kommentaren ist der Wettbewerb ohne diesen Mann nach wie vor nicht vorstellbar. Auch wenn er Jendrik eine Spur zu sehr über den grünen Klee lobte, schließlich gab es dieses Jahr nicht nur weitaus skurrilere Auftritte, sondern schlicht und ergreifend auch bessere Songs.

Darunter natürlich Geheimfavorit Daði Freyr aus Island, dessen "10 Years" am Ende immerhin den vierten Platz errang. Die funky Electro-Disco der Band, die aufgrund von Corona vor dem Finale abgereist ist, kam mit gelungener Retro-Optik: Drei Bandmitglieder spielten halbrunde Keytars, die sich zu einem Synthiering zusammen fügten. Außerdem:

Immerhin auf Platz acht landete Litauen, die wie Jendrik ebenfalls mit Fingergesten arbeiteten, nur eben erfolgreicher. Ihre absurde Tanzchoreo in knallgelb trug zum Erfolg sicherlich bei.

Wer mit 18 Jahren schon auf dem Wacken Open Air gespielt hat, muss beim ESC nicht zwangsläufig als Rock-/Metal-Außenseiter abräumen. Diese leidige Erfahrung machte nun die finnische Band Blind Channel, die am Ende fünf Plätze hinter Italien landete. Dabei war "Dark Side" sicher der beste Linkin Park-Song, den dieser Wettbewerb je zu hören bekam.

Zumal Måneskin jetzt auch nicht gerade moderner wirkten: Sänger Damiano David trug nur Hosenträger über seinem nackten Leib, so dass seine Halstattoos gut zur Geltung kamen. Die Band wirkte wie eine perfekte The Darkness-Persiflage, von der sie selbst allerdings nichts wussten. Übertriebener Ernst lag in der kompletten Darbietung, David schrie "Make some noise" in die Leere der Halle, danach klatschten Zuschauer und Applaus-App.

Im direkten Vergleich zu den Zweit- und Drittplatzierten war dieser italienische Dezibelanschlag natürlich schon siegverdächtig. Frankreich schickte mit der 27-jährigen Barbara Pravi eine tolle Chansonnière aus Paris ins Rennen, die im Stile der Piaf begeisterte.

Aus dem Kanton Fribourg startete Gjon's Tears für die Schweiz und lenkte zunächst mit aparter Oberarmwirbelei von seiner Emo-Ballade ab, offenbarte dann aber doch ein imposantes Tonleiterspringen mit seiner beeindruckenden Stimme. Bevor Italien über das Zuschauervoting ganz nach vorne schoss, standen somit zwei französischsprachige Songs an der Spitze des Wettbewerbs.

Dass die Ukraine mit einem unsäglichen Ethno-Techno-Beitrag mit Flöte und Pressgesang bis auf Platz 5 gekommen ist, spricht dagegen weniger für die künstlerische Aussagekraft des ESC. Seine Strahlkraft lässt sich indes daran ablesen, dass man sogar frühere Trip-Hop-Bands wie Hooverphonic im Teilnehmerfeld antrifft (Belgien) und US-Rapper Flo Rida, der plötzlich bei San Marino auf der Bühne stand. Und das Mutterland des Pop? Enttäuschte auf ganzer Linie. James Newman erhielt null Punkte von der Jury und null Punkte von den Zuschauern für seinen bieder angejazzten House-Pop, der aber auch nicht biederer war als das witzlose Pussycat Dolls-Imitat aus Serbien oder der extrem anspruchslose Dance-Track der Republik Moldau. Aber wann war der ESC schon jemals gerecht?

Alle Plätze des ESC-Finales 2021:

  1. Italien: Måneskin - "Zitti e buoni"
  2. Frankreich: Barbara Pravi - "Voilà"
  3. Schweiz: Gjon's Tears - "Tout l'univers"
  4. Island: Daði og Gagnamagnið - "10 Years"
  5. Ukraine: Go_A - "Shum"
  6. Finnland: Blind Channel - "Dark Side
  7. Malta: Destiny - "Je me casse"
  8. Litauen: The Roop - "Discoteque"
  9. Russland: Manizha - "Russian Woman"
  10. Griechenland: Stefania - "Last Dance"
  11. Bulgarien: Victoria - "Growing Up Is Getting Old"
  12. Portugal: The Black Mamba - "Love Is On My Side"
  13. Moldau: Natalia Gordienko - "Sugar"
  14. Schweden: Tusse - "Voices"
  15. Serbien: Hurricane - "Loco Loco"
  16. Zypern: Elena Tsagrinou - "El Diablo"
  17. Israel: Eden Alene - "Set Me Free"
  18. Norwegen: Tix - "Fallen Angel"
  19. Belgien: Hooverphonic - "The Wrong Place"
  20. Aserbaidschan: Efendi - "Mata Hari"
  21. Albanien: Anxhela Peristeri - "Karma"
  22. San Marino: Senhit feat. Flo Rida - "Adrenalina"
  23. Niederlande: Jeangu Macrooy - "Birth Of A New Age"
  24. Spanien: Blas Cantó - "Voy a quedarme"
  25. Deutschland: Jendrik - "I Don't Feel Hate"
  26. Großbritannien: James Newman - "Embers"

Fotos

Måneskin

Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta) Måneskin,  | © laut.de (Fotograf: Désirée Pezzetta)

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13 Kommentare mit 37 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Also, ich fand die Ukraine gut, genauso, wie Island, Litauen und Italien. Allerdings hat mich überrascht, was die Leute alle so an dem Schweizer Kastraten fanden ... Ob er oder die Ladys da nun den höchsten Ton hatten ... wer will das am Ende denn schon wissen. Deutschland landet zu recht mal wieder da, wo es hingehört. Allgemein, war es sicherlich mal wieder einer der besseren ESC's nicht nur der übliche Einheitsschrott. Vielleicht war heute der Anstoß dahin, dass es zukünftig wieder Ware Vielfalt gibt. Gut, die Hoffnung stirbt zuletzt.

    • Vor 2 Jahren

      Der Schweizer war nicht der einzige, der in die Falle getappt ist, die Masche des Titelverteidigers zu kopieren. Das geht immer in die Hose. Zumindest beim Publikum. Technisch war er zwar besser als Duncan Lawrence mit seiner Fistelstimme, aber trotzdem musste das Rezept misslingen.

    • Vor 2 Jahren

      du meinst, es soll wieder vielfalt von der stange geben?

    • Vor 2 Jahren

      Vielfalt gerne, aber nicht gerade von der Stange. Aber es bleibt immer noch der ESC. Da passt das Schnäppchen aus der Wühltheke vom Discounter eigentlich schon.
      Wer sein Werk im Schweiße des Angesichts mit viel Herzblut zusammenstrickt, mag es lieber nicht auf den brutalen Schlachtfeldern eines Wettkampfes verheizen.

    • Vor 2 Jahren

      Beim Schweizer war mein Gedanke, dass Morten Haket gerne seine Stimme zurück hätte. Die Ukraine war allerdings super und Platz 4 war sehr verdient.

  • Vor 2 Jahren

    Vier Songs in den Top 5 in der Landessprache ist hoffentlich ein Zeichen für weniger Songs in Englisch.

    Hohes ESC Niveau und ein wenig Normalität, war wirklich ein notweniger Abend für meine kleine Seele nach fast 1,5 Jahren Lockdown. Darauf erstmal ne italienische Nase.

  • Vor 2 Jahren

    Aus den ESC-Ergebnissen der letzten Jahre kann man ableiten, dass der "deutsche Geschmack" außerhalb Deutschlands einfach null funktioniert. Irgendwie waren das alles so profillose, glattgebügelte, durch und durch prüde Mark Forster- und Lea-Klone. Schön, dass das so abgewatscht wird, während Musikhasser im Land der Dichter und Denker voll drauf steil gehen.

    • Vor 2 Jahren

      Schulte wurde immerhin vierter. Knapp an den Medaillen vorbei, aber die gibt es da eh nicht. Glaube ich jedenfalls.

    • Vor 2 Jahren

      Jo mei, aber überwiegend bleiben da eben diese Copycats im Gedächtnis. Vielleicht sollte man hierzulande mal das Auswahlverfahren überdenken und über den Tellerrand blicken. Es gibt auch noch andere Genres als Radioranz.

    • Vor 2 Jahren

      Der deutsche Geschmack ist ja auch objektiv für den Anus.

    • Vor 2 Jahren

      Wenn einer der wenigen Treffer Ram(m)stein in ist, wolltest du bestimmt sagen oder?

    • Vor 2 Jahren

      Hatte ich Ragi mal gefragt, wie der Hobbyproduzent in ihm zu Rammstein steht? Würde mir zwar auch nie ansatzweise zum Fandom gereichen - aber gewisse Dienste in Sachen "neue Produktionsstandards und neuer Status quo in Sachen Klang verzerrter Gitarren auf Aufnahmen aus Deutschland" kann ich ihnen da trotz aller Versuche meinerseits in den letzten Jahren einfach nicht wirklich absprechen... Und selbst, als die Möglichkeiten dafür dann schon in fast allen bezahlbaren Heimcomputern und somit jedem Teilzeit-Indie-Wohnzimmerstudio steckten - so satt, breit, brillant wie die klingt halt trotzdem heute kaum was anderes von hierzulande - selbst mit im Vorhinein formulierter Absicht, so klingen zu wollen, nicht.

      Abseits meiner Hauptband bin ich auch einer Albini-Produktion immer näher als einer von Rubin... Wobei ich aber auch zu moderneren Produktionen, aber auch seinen klassischen Mixes für die Produktionen anderer nie wirklich nein zu Terry Date sagen würde, wenn es der Musikstil einer Band benötigt... Hatte das Rammstein-Produktionen-Ding gerade erst vor paar Tagen mit unserem Producer, als ich zufällig herausfand, dass er über dieses tolerierbare Maß an Aufnahme- und Producer-Respekt hinaus Affinitäten für das künstlerische Gesamtwerk Rammsteins hegt und ich mal kurz sehr schwer am zweifeln war, ob so Menschen psychisch überhaupt in der Lage sein können, ein Herzblut-Projekt mit meiner Beteiligung angemessen (u.v.a. natürlich EMPATHISCH genug) ausproduzieren zu können...

  • Vor 2 Jahren

    Der deutsche Auftritt kann nur ein riesiger Scherz sein. Spätestens beim tanzenden Mittelfinger gibt es keinen Zweifel mehr daran. Oder hat irgendjemand beim NDR geglaubt, dass ein Homosexueller mit Ukulele Punkte in Osteuropa sammelt?
    Diese Satireaktion könnte man nächstes Jahr nur noch mit Xavier Naidoo toppen.

  • Vor 2 Jahren

    Måneskin gegen Gender-Koventionen? Die haben ja gleich meine vollste Sympathie. Der affektierte Beitrag aus Deutschland passt zur gegenwärtigen Situation in diesem Land. Passende Platzierung. Bemerkenswert gut der Beitrag aus der Ukraine.

  • Vor 2 Jahren

    Mit Cocktails und Longdrinks und in Gesellschaft (alleine würde ich die Show keine 20 Minuten aushalten) haben wir uns köstlich amüsiert.
    Gott, was war ich froh, als die Schlaflieder von Schweiz und Frankreich von den Zuschauerstimmen für die Italiener abgewatscht wurden!
    Doch, der deutsche Auftritt WAR peinlich. Dieser menschliche Hüpfball mit Ukulele, gekrönt von einer typisch deutsch-albernen Performance der Hand hat zurecht wenige Punkte erhalten.
    Gute Laune finde ich auch ne ganz tolle Sache, aber das war zu schlecht präsentiert.