Viele Töne und Mike Portnoy zurück an den Drums: auf Zeitreise mit den Prog-Metal-Legenden.
Berlin (dp) - Seit 40 Jahren betören Dream Theater mit wuchtigen Kompositionen Progressive Metal-Fans. Dabei kommen die stets überlangen Songs längst nichts bei alle Musikliebhaber:innen gut an. Die Show in Berlin im Rahmen der 40-jährigen Jubiläumstour ist dennoch restlos ausverkauft.
Metal-Oper statt Metal-Gig
Gespannt harrt das überwiegend männliche Publikum aus, denn nicht nur der Geburtstag der Combo steht an, sondern auch das Comeback von Drummer Mike Portnoy. Vor 14 Jahren war der Bandmitbegründer ausgestiegen, hatte eine Rückkehr zur Band - aller Zickereien untereinander zum Trotz - aber nie gänzlich ausgeschlossen.
Nun ist ein Dream Theater-Konzert kein typischer Metal-Gig, schon eher eine Metal-Oper. Die ausgefeilten und pompösen Tracks dauern nichtt selten länger als zehn Minuten und enthalten sehr, sehr viele Töne.
Zu viele für manche, denn die Amerikaner ernten nicht nur Zuspruch: "Dream Theater? Das sind mir zu viele Töne!", hört man durchaus in Metal-Diskussionen. Weil sich Protagonisten und Fans von den tonalen Feuerwerken zwischendurch erholen müssen, gibt es bei Dream Theater-Konzerten auch gewöhnlicherweise eine Pause. Trotzdem wird das Konzert insgesamt über drei Stunden dauern.
Drums, Bass, Keys, Gitarre? Tadellos
Wie schon beim Reunion-Auftakt in London am vergangenen Sonntag geht pünktlich um 19:25 Uhr das Licht in der Uber Eats Arena aus. Nach einem getragenen Intro fällt der Vorhang und die gut gelaunte Band erscheint. Ausnahme-Gitarrist John Petrucci zaubert ab der ersten Minute, Basser John Myung scheint vollkommen versunken in die Melodien, Keyboarder Jordan Rudess steht lächelnd an seinem beweglichen Keyboard mit integriertem Ipad-Halter und der verlorene Sohn, Mike Portnoy, grinst hinter seinem bombastischen Drumset, als wäre er nie weg gewesen.
Und der Frontmann? Der heißt noch immer James LaBrie und wird seinem Titel nicht immer wirklich gerecht. Nicht nur, dass er regelmäßig die Bühne verlässt, wenn die Bandkollegen in die instrumentalen Passagen eintauchen, er hat auch Probleme seine Töne zu treffen. Bemüht posiert LaBrie in alter Rockstarmanier, hält den Mikrofonständer über die Köpfe der Fans, die nur verhalten jubeln, und headbanget ab und an vor dem Drumkit.
Während Bass, Drums, Keys und Gitarre ein nicht zu beanstandendes Set abliefern, bleibt LaBries Leistung bescheiden. Schon immer als das schwächste Mitglied der Gruppe verschrien, wirken seine Vocals in den mühevoll aufgebauten Klangteppichen zuweilen wie ein Fremdkörper.
Zeitreise durch die Dekaden
Die Setlist kommt einer Zeitreise durch die verschiedenen Dream Theater-Dekaden gleich - mit einem leichten Überhang des Albums "Metropolis Pt. 2: Scenes From A Memory". Daraus gibt es "Act II: Scene Six: Home", "Act II: Scene Eight: The Spirit Carries On", "Act I: Scene Two: II. Strange Déjà Vu" und "Act I: Scene Two: I. Overture 1928" auf die Ohren, wobei die Publikumsreaktionen bei den beiden Erstgenannten am stärksten ausfallen. "Act II: Scene Six: Home" bekommt außerdem sowohl ein Intro als auch Outro aus dem Filmklassiker "Der Zauberer von Oz" ("There's No Place Like Home") verpasst.
Der erste Akt endet mit "As I Am", bevor die Fans in die 30-minütige Pause entlassen werden, nur um als Auftakt des zweiten Akts mit "Night Terror" vom kommenden, neuen Album "Parasomnia" begrüßt zu werden. Stimmig zum Sound bringen Dream Theater eine tolle Lichtshow mit Lasern zum Einsatz, die schon fast Pink Floyd'sche Ansätze zeigt. Auf den LED-Leinwänden finden sich neben Drache, Wiesen (bei "Octaviarium") oder Krankenhäusern auch immer wieder psychedelische Motive, die die Zuschauer:innen durchaus in musikalische Trance versetzen können. So verfliegen die Stunden am Ende wie Minuten, und ehe man sich versieht, ist es nach 22:30 Uhr.
Gelungenes Comeback - mit leichten Abzügen in der B-Note
Dream Theater zeigen unterm Strich eindrucksvoll, dass sie noch immer in einer eigenen Prog-Metal-Liga spielen. Ob allerdings LaBrie die noch anstehenden 70 Konzerte stimmlich durchsteht, daran könnte man tatsächlich zweifeln. Dafür bringt Portnoys Comeback wieder ordentlich Schwung ins Bandgefüge.
Fotos/Text: Désirée Pezzetta.
5 Kommentare mit 25 Antworten
Schon immer als das schwächste Mitglied der Gruppe verschrien?
Nicht, dass ich das Synthesizer-Gedudel geil fände, aber bei dem Satz habe ich mich auch etwas gewundert...
Vielleicht mit LaBrie verwechselt???
Man lernt eben nie aus. Heute habe ich gelernt, dass der virtuoseste Rockkeyboarder aller Zeiten als schwächstes Mitglied von Dream Theater verschrien ist.
LaBrie ist der einzige, bei dem es sehr auf die Tagesform ankommt. Aber niemand hat und wird jemals die Qualität von Rudess in Frage stellen. Zeigt mir irgendeinen anderen Keyboarder auf diesem Planeten, der
diese komplexen Highspeed-Gitarrensoli so mühelos synchron mitspielen kann.
"Zeigt mir irgendeinen anderen Keyboarder auf diesem Planeten, der
diese komplexen Highspeed-Gitarrensoli so mühelos synchron mitspielen kann."
kann? -->
Cory Henry, Hiromi Uehara, Herbie Hancock, Steve Weingart, Gary Husband, Scott Kinsey, Brad Mehldau, George Whitty, Chick Corea, Michel Petrucciani, Katharina Treutler, Count Basie, Bob James, Joe Zawinul, Tigran Hamasyan, Jan Hammer, György Cziffra, Tom Brier...etc pp
wollen? Jordan Rudess.
Der kann das auch. Sonst wäre er nicht in der Band.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Monaten durch den Autor entfernt.
So sieht‘s natürlich aus.
Können könnten das viele. Freilich würde aber niemand außer der Rudess diesen Schlonz auch spielen wollen. Insofern ein perfect match!
Da war mit Sicherheit auch LaBrie gemeint.
Hör mal lieber wieder Björks artsy fartsy Zeug, Schwingster.
Dieser Kommentar wurde vor einem Monat durch den Autor entfernt.
Björk>Dream Theater
interessant finde ich, dass laut Nullnummern we c4 Björk die prätentiöse sein soll. Klar ist der ihre Musik oft experimentell, aber ihre Lyrics sind meist sehr schonungslos offen und sie macht sich damit unglaublich angreifbar. DT sind diejenigen, die ihre Emotionen in Richtung Instrumentalgewichse á la "wer hat den größeren Penis" channeln. *Das* ist prätentiös.
Ansonsten natürlich ein sinnloser Vergleich.
Dieser Kommentar wurde vor einem Monat durch den Autor entfernt.
Dream Theater - wie bereits erwähnt einer der am unpassendsten vergebenen Bandnamen der gesamten humanen Musikhistorie. Die Assoziationen und Erwartungen, die ein solcher Name nur wecken kann, werden von dieser Show (off) Room-Band zu keinem Zeitpunkt ihrer Karriere befriedigt. Ich geh so weit und behaupte, die könnten kein durchgehend laid back auf Atmo komponiertes Album bringen, selbst wenn sie sich dafür in einer ad hoc dafür hergestellten Tauchglocke für zwei Jahre am nautischen Pol der Unzugänglichkeit versenken lassen würden und in der Zeit die geballt kombinierte Kraft ihrer riesigen musikwissenschaftlich belesenen Männergehirne und sämtliche durchaus vorhandene Fingerfertigkeit dafür einsetzten.
So ein Ding wie "Knell Mera" von der aktuellen Iress-Scheibe "Sleep now - in reverse" bekämen die nicht mal geschrieben selbst wenn ich sie vorher mit allesamt backstage mit Liquid Ecstasy gefügig gemacht hätte und ihre Hände durchs Notenheft führen würde.
Ist ja erstmal nix Böses, wenn jeder sein Genre hat. Cannibal Corpse würden ja auch keinen Dreampop aufnehmen, selbst wenn ich sie vorher mit Chloroform betäubt, in meinem Sexdungeon angekettet und unter unerträglichen Schmerzen ...wo waren wir?
Na wenn sie plötzlich ihre akute Evolutions-Phase entdecken, bestimmt
Btw die neue "fit for an autopsy - red horizon" gehört?
" [...] wenn jeder sein Genre hat."
Hab jetzt schon versucht fair zu sein und mit dem dunkel schimmernden Post Metal von Iress was ausgewählt, was DT vong Grundsatz her durchaus näher sein sollte als CC dem Dreampop sind und je sein werden - wenn wir bei DT z.B. an solche kargen Versuche, Atmosphäre zu erzeugen, denken wie bspw. zu 2003er "Train of Thought"-Zeiten...
@garri:
Nee, befindet sich aktuell so ein bissl am gegenüberliegenden Stimmungspol.
train of thought ist auf jeden fall in der top 1 unter den DT-alben, die nicht instant reflux auslösen.
Sehr nice Iress nochmal untergebracht, Meister der Loge!
Ich mäandere die letzten Wochen immer zwischen den letzten drei Releases hin und her, kann mich nicht entscheiden... Aber immer wieder komme ich tatsächlich bei der 2023er "Solace"-EP als meinem derzeitigen Favorit heraus
Dieser Kommentar wurde vor einem Monat durch den Autor entfernt.
Steckt bei allem schmachtenden Gefühlsleben immer auch das erfrischende Quantum Köpfchen zur Ganzheitlichkeit in der eigenen Kunst drin bei denen, finde ich. Die "zwei dicken" LPs mit den jeweils 8 nahezu perfekten Stücken, bei beiden Lust auf Kontinuität und Format andeutenden Closer mit den gezielt reduzierten, aber nichtsdestotrotz umso heftiger anrührenden Arrangements...
...dann dieser eindeutige Stilbruch zum eigentlichen Debüt "prey" mit der Soaked-EP 2017... mensch kann so wunderbar nachvollziehen, wie sie dort zum ersten Mal um ihre "Isis learns London Grammar"-Nische zu kreisen beginnen... Dann hatten sie den Opener für die Flaw schon 2019 fertig laut Autotag in der DigiBib - aus fem Stand vielleicht der beste LP-Opener der vergangenen Dekade - aber in weniger als nem Jahr noch 7 weitere solcher tragbgarer Wasserstoffbomben zusammenzuklöppeln, sodass das "Stil"-Debüt wie aus einem Guss wirkt... und mit "Sleep Now,,," mal eben so in der eigenen Nische und innerhalb nur 1,5 Veröffentlichungen auf "Isis teaches London Grammar" geupgradet... Wir werden ihre Karriere brennendem Interesse weiter verfolgen, junge Padawane und -in! :^)
...oder z.B. auch, dass alles von der Soaked-EP bis zum Ende der aktuellen LP in einer digitalen Playlist nahezu nahtlos perfekt ineinander greift beim Durchhören - es sind solche "Kleinigkeiten", die am ehesten verraten, wie viel Herzblut in so nem Projekt (noch) drin steckt (wenn z.B. die Oceansize "Effloresce" (genau übrigens auch die Dark Side of the Moon) mit dem gleichen Geräusch beginnen, wie sie aufhören - Repeat-Hörer*innen bekommen ASMR wie Ausschlag bei so was. Daran bemessen muss Ms. Malley anscheinend für jedes gestohlene Herz eins nachwachsen, sonst könnte sie ihres nicht so leichtfertig und literweise in dieses Projekt gießen.
Apropos Oceansize: Bevor Iress mit Stil-LP Nr. 2 (Sleep now...) gleich mal unterstrichen haben, dass sie den Pfad der Weiterentwicklung beschreiten werden, waren Oceansize die Band, die es bei mir am schnellsten von "Artist who?" zu persönlichen musikalische Allzeitfavoriten gebracht hatten.
So als ganzes wirkt die Solace-EP auch auf mich aktuell am rundesten, auch wenn sich die Öieblingstracks über aööe zwei neueren LPs und EPs verteilen und das Attribut "Nachfolger war besser als das eh schon außertgewöhnlich formidable (Stil-)Debüt" meine Erwartungen an deren zukünftige Werke nochmal mächtig in dze Höhe geschraubt hat.
Meine Güte, Du hörst aber auch Details raus / achtest auf Sachen, ey ...
Aber auf jeden Fall nochmals Danke für das Lenken meiner Aufmerksamkeit in diese Richtung!
"Ich geh so weit und behaupte, die könnten kein durchgehend laid back auf Atmo komponiertes Album bringen [...]"
Ob es nun "nicht können" oder "nicht wollen" ist, werden wir wohl nicht herausfinden.
Kevin Moore ist seinerzeit (auch schon dreißig Jahre her) jedenfalls ausgestiegen, weil er mehr Atmo wagen wollte - und dann mit Chroma Key ja auch in die Richtung ging.
Und dass seine Bandmitglieder es vielleicht wirklich nicht gekonnt haben, kann man erahnen, wenn man das von KM geschriebene space-dye vest vom Awake-Album hört.
Nun... Wenn wir "Train of thought" fairerweise als von der Band selbst angekündigtes "atmosphärisches Werk" im Vergleich zum üblichen jeder Atmosphäre unverdächtigen Œuvre von DT zählen, dann dürfen wir an dieser Stelle wohl guten Gewissens davon ausgehen, dass sie es einfach nicht können, hm? Danke.
Hat er Rudess mit Labrie verwechselt....??
ein wohlgenuss an gedudel