laut.de-Kritik

Gehässig-unorthodoxes Gegenstück zum Post-Black-Einheitsbrei.

Review von

"Ein Traum ist aus dem Moor gekrochen / wir haben wieder Blut gerochen."

Nocte Obducta-Fans dürften in allerhöchstem Maße verzückt sein: Die Pioniere des deutschsprachigen Avantgarde Black Metal sind back on track und feuern ihre Studioalben nach langem Gehader wieder mit einer gewissen Regelmäßigkeit raus. Dass zwischen "Mogontiacum" und "Totholz" aber gerade einmal zehn Monate liegen, sollte Skeptikern nicht gleich Sorgenfältchen auf die Corpsepaint-befleckte Stirn zaubern. Schon vor der zwischenzeitlichen Zerstreuung im Jahr 2006 warf die Mainzer Eklektizismus-Elite im Jahrestakt Alben auf den Markt – von denen heute nicht wenige zu Unrecht als Underground-Meilensteine gelten.

Wenn auch mehrfach als nostalgischer Blick in die weitaus grobschlächtigere Vergangenheit angekündigt (selbst die gute Keltenfont hat man wieder aufs Artwork geparkt), knüpft "Totholz" in vielerlei Hinsicht an das äußerst ambitionierte "Mogontiacum" an. Will heißen: Der hochgradig organische, zugleich aber eben Proberaum-Atmo-artige Sound ist geblieben. Mit dem etwas zurückgeschraubtem Anteil an Synthesizern und Ambient-Interludien mutet das Werk aber zumindest in der ersten Hälfte weniger schwitzig-psychedelisch an als noch sein Vorgänger.

Schon der Blastbeat-Opener "Innsmouth Hotel" zeigt die vergleichsweise direkte Herangehensweise. Nocte Obductas zum wiederholten Mal geäußerte Vorliebe zu Lovecraft-inspirierten Instrumentals lässt dabei aber ebenso viel Raum für typisch angeproggtes Doom-Rock-Riffing, mit der Kreativkopf Marcel Breuer seine Band seit jeher aus der Masse pseudo-experimenteller Melancholie-Black-Metal-Bands herausstechen lässt. So mag der geneigte Fan auch nach 12 Studioalben weiterhin deren Suchtpotenzial erliegen, die eine oder andere lahmende Wiederholung ist dadurch aber trotzdem nicht auszuschließen.

Um das zu kaschieren, bedienen sich Nocte Obducta tatsächlich vieler Stilmittel ihrer mehr als zwanzigjährigen Karriere. Egal ob prägnante Mitgröl-Hooklines im "Verderbnis"-Stil ("Totholz"), das Einbinden demoartiger Studio-Ambience ("Wiedergänger Blues") oder die überraschende Platzierung aggressiv-rasender Dreiminüter ("Ein Stählerndes Lied"), die in letzter Sekunde doch wieder ins Psychedelische abrutschen: An Vielfältigkeit mangelt es dem nur auf den ersten Blick sehr rohen Produkt in keiner Sekunde. Nach der epischen Perfektion – und damit auch dem klanglichen Abwechslungsreichtum – der mittleren 2000er ("Nektar") streben Nocte Obducta aber gar nicht erst mehr.

Warum aber auch in Selbstzitaten schwelgen, wenn man die eigene Fanbase – ganz im floydschen Sinne – auch nach Jahrzehnten der Unorthodoxie noch mit neuen Stilmitteln triggern kann? Der abschließende (und mehr als ein Drittel der Spielzeit einnehmende) "Wiedergänger Blues" macht seinem Namen alle Ehre. Nach minutenlangem, zunächst etwas orientierungslosem Akustikgitarren-Geklampfe münden die zunehmenden Phaser- und Flanger-Effekte in eine der stärksten Kompositionen der gesamten Bandgeschichte. Wie schon zuvor ("Die Kirche Der Wachenden Kinder") ergießen sich plötzlich füllige Orgelflächen über dem vertrackten Midtempo-Riffing, zwischendrin ein angejazztes Fender-Interludium, anschließend hallig-chorales Geschredder in Endlosschleife. Magic.

Nein, Nocte Obducta legen im Jahr 2017 gewiss nicht ihr Opus Magnum vor. Und wenngleich die Zielgruppe sich in erster Linie wieder einmal auf Liebhaber beschränken dürfte, ist "Totholz (Ein Raunen Aus Dem Klammwald)" angesichts der konstant hohen Songwriting-Qualitäten der Mainzer für aufgeschlossene Freunde intelligent-extremer Musik der wohl wichtigste Anspieltipp des Jahres.

Ein Album für all jene, die der neuerlichen, ewig gleich tönenden Post-Black-Metal-Melange endgültig überdrüssig sind. Auf das einem Vokabeln wie "Scheuklappen", "Genregrenzen" und "Metrophobie" ewig fremd bleiben mögen.

Trackliste

  1. 1. Innsmouth Hotel
  2. 2. Die Kirche Der Wachenden Kinder
  3. 3. Trollgott
  4. 4. Totholz
  5. 5. Ein Stählernes Lied
  6. 6. Liebster
  7. 7. Wiedergänger Blues

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