laut.de-Kritik

Protestantische Fahrstuhlbeschallung im Modekaufhaus.

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Gleich zu Beginn des neuen Albums wundert man sich, ob hier jemand Kanye West recycelt. "Dust" tönt nach Gospel und Synthesizern, nach rückwärts abgespielten Samples, tiefem Sägezahnwellenbass und Pling-Plong. Das Albumcover könnte fast ein Screenshot von des Meisters Opernwerk "Nebuchadnezzar" sein: in Pastellfarben gekleidete, junge, monogame, heterosexuelle Menschen. Damit es nicht allzu konservativ daherkommt, photoshoppte man Oh Wonder-Sängerin Josephine Vander Gucht in Richtung Farbigkeit: Der Begriff "Blackfacing" ist heute wieder positiv besetzt.

Dies sind die zeitgenössischen Konventionen der Popmusik und das junge vermeintliche Paar aus Großbritannien beherrscht sie exzellent. Unklar bleibt derweil, ob die reale Beziehung der beiden Musiker überhaupt romantischer, oder lediglich geschäftlicher Natur ist. Schwerelos verstehen sie sich darauf, Wärme, Geborgenheit und Zweisamkeit für die Generation Z auszustrahlen.

Jesus darf hierbei nicht fehlen. Weder im Albumnamen "No One Else Can Wear Your Crown" noch im Song "Hallelujah". Im dazugehören Video trägt eine Gemeinde "of colour" das kreuzbrave Duo auf Händen. Eingängiger Refrain, Paukenschläge und Click-Track-Beat gestalten eine perfekte Uptempo-Nummer Marke protestantische Fahrstuhlbeschallung im Modekaufhaus.

Wenn man es mit dem religiösen Hintergrund der Lobpreisfloskel nicht so eng nehmen möchte, bleibt zumindest der fahle Beigeschmack des Empowerments zur Leistungsfähigkeit: "Somedays I don't think my momma / thinks I'm good enough to be a superstar / But one day I will show her / I'm a diamond in the rough / I'll be a superstar." Wenn wir nur alle an uns (oder "ihn") glauben, werden wir etwas ganz Besonderes. Oder zumindest erfolgreich. Wer will schon noch Gott von Geld unterscheiden, oder Liebe von Lifestyle?

Psychologische Studien bescheinigen den zwischen 1997 und 2012 Geborenen eine weniger große Affinität zu schnellem Sex und harten Drogen. Deswegen sind sie nicht mehr krass auf Crystal oder hart auf Heroin, sondern "drunk on you". Unschuldige Dating-Geschichten mit ganz viel Unsicherheit und Anxiety legen Oh Wonder über immerwährenden zarten Zwiegesang und eher leise Rhythmen.

Text: Auf dem Heimweg wurde sich berührt und sehr viel gefühlt. Produziert wurde das gesamte Album übrigens im Heimstudio: Claps, Fingerschnippen und Streicher-Samples arrangierte man hochprofessionell, aber mit wenig Wiedererkennungswert. Troye Sivan ist schwuler, ansonsten könnte es auch der anorektische Australier sein.

Am Ende Americana, der Schlusstrack heißt "Nebraska" und beginnt mit zarten Liebesbekundungen. Frei nach dem Schnulzenfilm "Eat, Pray, Love" befand sich das liebende Ich bereits auf den höchsten Gipfeln, in den tiefsten Tälern und trockensten Wüsten. Aus dem Kopf kriegen kann man den anderen nicht: astreiner Schlager mit Bruce-Springsteen-Referenz.

Zum postmodernen Künstlerdasein gehört übrigens auch die ständige Verneigung vor jeglichem Einfluss der Popkultur. Vielleicht darf man mal als Vorband spielen, zu mehr qualifizieren sich Oh Wonder mit ihrer dritten Langspielplatte nicht. Jedoch: Eine ausverkaufte Welttournee, eine Milliarde Streams und hohe Chartplatzierungen widerlegen diese Analyse. Wer den Anschluss zur Generation Z nicht verlieren will, muss sich wundern und verstehen.

Trackliste

  1. 1. Dust
  2. 2. Happy
  3. 3. Better Now
  4. 4. Hallelujah
  5. 5. In And Out Of Love
  6. 6. How It Goes
  7. 7. Drunk On You
  8. 8. Nothing But You
  9. 9. I Wish I Never Met You
  10. 10. Nebraska

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