18. Februar 2013

"Wenn überhaupt, dann 'Berlin Calling 2'"

Interview geführt von

Von der durchschnittlich bekannten Berliner Technogröße zum international gebuchten Star - ausgerechnet eine Filmhauptrolle bescherte Paul Kalkbrenner 2008 den großen Durchbruch. Zwei Alben später wissen alle: Bei "Berlin Calling" handelte es sich noch lange nicht um den Karrierehöhepunkt des gebürtigen Leipzigers.An Auftritte wie den in der Dortmunder Westfalenhalle, die an vollen Abenden bis zu 15.400 Menschen fasst, hat sich Kalkbrenner längst gewöhnt. Umso erfreulicher, dass uns der ansonsten wenig medienpräsente Musiker vor der Show zum Interview lädt.

Sein teils kontrovers diskutierter Auftritt in Afghanistan sei aufgrund des knappen Zeitrahmens das einzige "No-Comment-Thema". In den 15 eingeplanten Minuten sprechen wir stattdessen über die neue Platte, seine Livesets, den "Berlin Calling"-Hype und die ungewisse Zukunft in Sachen Schauspielerei.

Dein neues Album "Guten Tag" ist recht basslastig und melodisch sehr zurückhaltend geworden.

Ja, das war meine Absicht. Aber es ist auch Musik, die ich eh schon mal gemacht hab'. Mich trifft das nicht so, aber von anderen Künstlern wird generell immer gefordert: Sei mal innovativ, mach mal wieder was Neues. Nee, ich mach' lieber was Altes. Das ist halt meins.

Unser Autor erkannte in der neuen Platte gar eine Art Rückkehr zu "Self". Lag er da richtig?

Ja, da lag er absolut richtig. Es sollte wieder bündig und als Album geschlossen sein und einen roten Faden haben.

In der Tracklist gibt es einige kurze, skizzenartige Interludes. Und ausgerechnet die kamen mir am melodischsten vor.

Ja ja, ich hab auch rumprobiert, aber irgendwie wurde nichts draus.

Da steckt also kein Konzept dahinter?

Nee, also ich mag Interludes gerne. Bei "Self" war das ja noch ein bisschen anders, aber auch so zwischenspiel-mäßig. Ich hab die, wie gesagt, alle durchprobiert, aber die haben als kompletter Titel einfach nicht getragen. Die wurden quasi von anderen Tracks überholt und haben sich im Endeffekt als Zwischenstücke wiedergefunden.

Wie du schon erklärt hast, baust du auf deinen zwei neueren Platten "Icke Wieder" und "Guten Tag" konsequent auf deinen alten Stil auf. Hast du dir nach dem "Berlin Calling"-Hype nie auch nur ansatzweise überlegt, mal in eine andere Richtung zu gehen?

Nee, überhaupt nicht. Ich geh auch nicht ins Fernsehen und geh auch nicht zum Ball. Das ist alles nicht meins. Außerdem kann man später immer mal noch was anderes machen. Aber wenn man was macht, sollte man erst mal dabei bleiben. Ich hab festgestellt, dass das bei mir am besten ist. Ich kann dann sozusagen manufaktur-artig immer wieder dieses eine Gefühl herstellen.

Deswegen arbeitest auch immer noch komplett alleine? Dein Bruder Fritz hat sich für seine neue Platte ja beispielsweise ein paar Studiomusiker ins Boot geholt.

Aber selbst das kann man ja mal machen und sagen: Hier, spiel mal. Und danach sitzt man wieder alleine dran. Nee, ich arbeite weiterhin ganz alleine.

Bei deinen Songtiteln handelt es sich, wie du schon oft betont hast, um Lichtenberger Slangbegriffe. Bleibt es einfach immer beim Arbeitstitel oder besteht da durchaus ein programmatischer Hintergrund?

Nee, die Arbeitstitel sind noch doofer. Das ist alles Buchstabensuppe. Aber zum einen kann man die Radiomoderatoren so dazu zwingen, diese Begriffe auszusprechen. Und außerdem kann man damit zeigen, dass ein Song heißen kann, wie er möchte. Meistens ist das totaler Unsinn, das verstehen nur ich und circa drei Leute. Wahrscheinlich sogar nur ich.

Verspürst du eigentlich Erfolgsdruck? Das Album klingt nicht wirklich danach, aber der Name Paul Kalkbrenner hat sich schließlich zu einer weltbekannten Marke entwickelt.

Ich hab' keinen. Ich hab' noch nie welchen gehabt. Gerade weil ich ja weiß, dass ich einfach nur ins Studio gehen und da weitermachen muss, wo ich letztes Mal aufgehört habe. Wenn ich dann mal welchen bekomme, lässt der mich nur noch schneller arbeiten.

Die Tatsache, dass du über dein eigenes Labels veröffentlichst, spielt da schätzungsweise auch eine Rolle.

Ja, schon. Es ist ja nicht mal wirklich ein Label, sondern nur eine kleine Plattform, um meine Sachen rauszubringen.

Warum hast du dich denn dafür entschieden, das Ganze anstatt mit einem Major- oder großen Indielabel selbst durchzuziehen?

Weil ich das mit einem Majorlabel oder irgendwelchen anderen Leuten nur schlechter machen könnte, als ich es jetzt mache.

"Ich verkaufe lieber eine CD, als einen Download"

Boykottiert ihr eigentlich Spotify?

Ich weiß gar nicht, was das ist.

Das ist einer der Musik-Streamingdienste.

Ich glaube, da gibt es die älteren Sachen. Aber bei den neuen machen wir das nicht mehr. Es wird vom neuen Album auch keine Compilation-Auskopplung geben. Das gibts eben nur dort und nirgendwo anders. Aber gerade die älteren Platten, die noch über Bpitch Control erschienen sind, kann man auch streamen. Da kann ich ja nichts dran ändern.

Ich möchte das einfach so machen. Ich verkaufe im Endeffekt auch lieber eine CD als einen Download - selbst, wenn das komplette Album gedownloadet wird. Weil ich auch weiterhin gerne ein schönes Cover machen will.

Deine Tracks hört man mittlerweile oft im TV.

Ja? So bei "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten" im Hintergrund?

Genau, oder am Nachmittag bei "Mitten Im Leben", wenn man mal aus Versehen reinschaltet. Hast du keinen Einfluss drauf?

Nee, die nehmen die einfach. Das kann, glaube ich, ein Journalist einfach so machen. Der schreibt das dann auf den Zettel und dann gibt es zwei Cent von der GEMA.

Da kommt also nicht so viel bei rum?

Nein.

Ich habe letztes Jahr mit deinem Bruder Fritz über die Anzahl seiner Auftritte gesprochen. "Am Ende des Jahres sah ich aus, wie eine Rosine", sagte er.

Ja, der spielt dieses Jahr aber auch wieder viel. Ich spiele aber weniger. Größer und weniger.

Du empfindest das als komfortabel?

Ja, es ist eine absolute Erlösung, nicht mehr jedes Jahr über hundert Gigs zu spielen. Das geht jetzt aber auch erst seit zwei Jahren so.

Vermisst du denn nie die kleinen Clubs?

Nee, gar nicht. Meine Musik hat schon früher immer in großen Clubs besser funktioniert. Das ging ja auch schon weit vorher los. Ich hab ja schon vor zehn Jahren in großen Technoclubs aufgelegt. 3.000 Leute waren da schon besser als 300. Und ich spiele auch heute lieber vor 12.000 Leuten, als vor zwölf.

Dass mir jemand mit der Hand von vorne auf die Schulter schlägt oder sein Bier über meinem Tisch schüttet - es ist so komfortabel, dass das alles nicht mehr passieren kann. Man macht sich gar keinen Begriff mehr davon, was da alles vorkommt. Ich musste mich ja viel alleine beaufsichtigen und alleine durch die Weltgeschichte karren. Es hat schon alles seine Vorteile.

Ich habe vorgestern einen Vortrag eines Native Instruments-Mitarbeiters gehört, in dem es auch darum ging, dass immer mehr elektronische Liveacts dem Publikum visuell erklären, was auf der Bühne überhaupt wirklich live passiert. Zeigst du dein Mischpult den Leuten auch auf Großleinwänden oder setzt du da ganz auf das Vertrauen der Fans?

Darüber wird ja im Moment viel gesprochen. Nicht nur bei mir, sondern auch bei viel größeren Acts, die auf riesigen Festivals in Mainstage-Slots ihre viertel Million abräumen. Da gibt es teilweise Leute, die einfach nur mit CDs spielen. Ich denke, da wird in den nächsten Jahren auf jeden Fall noch genauer hingeguckt: Wer macht eigentlich was? Wenn einer wirklich nur so eine Audiowurst abfährt und dann da anderthalb Stunden steht, ist jede Kritik berechtigt.

Ich persönlich arrangiere meine Songs sozusagen neu auf der Bühne. Aber ich habe festgestellt, dass man schon ein festes Grid braucht. Ich habe das auch mal alles umgebaut, hatte einen größeren Mixer, Analogdelays und eine Drummachine. Dann ist man wirklich total frei und spielt alles immer, wann man will. Das ist zwar cool, aber das kannst du dann wiederum in 'nem Club vor 300 Leuten machen. Ich spiele große Shows und die müssen einfach knallen. Ich muss mein Grid kennen und kann dann darauf aufbauen und live spielen. Und die Zuschauer werden das auf den Leinwänden sehen.

"Ein zweites 'Sky & Sand' wird es nicht geben."

Was ebenfalls zahlreichen Fans auf dem Herzen liegt, ist das Thema Film.

Ja. Also wenn 'nen Film, dann nur "Berlin Calling 2". Oder soll ich in der ARD in einem Zweiteiler mitspielen? (lacht)

Oder im Tatort.

Das würd' ich nie machen. Aber selbst bei "Berlin Calling" müsste man erst mal drüber nachdenken, wie man das infrastrukturell umsetzt. Mit Crowdfunding könnte man sicherlich sofort ein Riesenbudget zusammenkriegen. Bei meiner Facebook-Seite käme da sicherlich einiges zusammen. Manchmal denke ich aber auch, dass es viel besser wäre, wenn der da so stehenbleibt. Muss man mal überlegen.

Wenn eins, zwei und drei, dann im Zehnjahresrhythmus. Und wenn nicht, dann weil wir entschieden haben, dass es besser ist, den Film alleine stehen zu lassen. Denn Kultfilme sollten eigentlich nicht fortgesetzt werden. Das ist zwar vielleicht gut für die Kasse, aber irgendwie wär auch alles nicht mehr so überraschend. Wobei, wenn man damit dann vielleicht sogar in den USA Erfolg hat, wäre es plötzlich doch wieder überraschend. Man weiß es alles nicht. Es steht gerade nichts im Raum.

Ich habe mal gelesen, dass es dir sehr unangenehm ist, dass dir die Rolle des DJ Ickarus immer noch so nachhängt.

Ach, das war im Jahr, nach dem das releaset wurde, also 2009, ein totaler Irrsinn. Das hat einfach nicht gepasst. Es ist ja jetzt auch schon alles deutlich größer als vor drei Jahren. Aber zwischendrin gab es einfach so einen Turboboost. Und zu der Zeit war das eben so. Da dacht ich immer: Jetzt hört mal auf. Aber das ist schon lange vorbei.

Es gibt gegenüber des "Berlin Calling"-Hypes durchaus kritische Stimmen, die behaupten, der Film hätte das Drogenimage der Technoszene gerade gegenüber Jugendlichen noch verstärkt. Wie siehst du das rückblickend?

Ich würde sagen, verglichen mit dem, was an den Drehorten normalerweise und nur wenige Stunden nachdem wir dort abgedreht hatten passierte, ist der Film so mickrig. Das eigentliche Sodom und Gomorra kommt darin gar nicht vor. Außerdem wurde ja deutlich, wie gefährlich das ist, das war ja kein Quatsch. Ich habe 2010 dann eine große Alarmmeldung aus Wien gehört: PMA in Pillen - zwei Leute gestorben. Eigentlich hat der Film gar nicht so viel mit Techno zu tun. Die Geschichte hätte so auch in einem anderen Kontext stattfinden können.

Ich würde dir zum Schluss gerne noch ein paar Userfragen stellen. Wir haben einen Aufruf auf Facebook gestartet, die beste Frage gewinnt ein Autogramm.

Da können wir aber ein paar skippen, oder?

Ja, klar. Die meisten sind sowieso unzumutbar. Ich will hier ja nicht kurz vor Schluss noch rausfliegen. Dennis Paulisch fragt: Warum immer Fußballtrikots bei den Gigs?

Ach, weil mir das sehr gut gefällt als passendes Kleidungsstück. Ich hatte früher auch mal eine Sammlung. Und das ist sozusagen ein Tool für die Verehrung großer Spieler.

Kleppi Gehtsnochfragezeichen fragt ...

Les mir bitte nicht noch mal den Namen vor! (lacht)

Wie hält man es durch, immer und immer wieder dieselben Fragen gestellt zu bekommen?

Allerdings eine sehr gute Frage. Auf jeden Fall ein Anwärter für das Autogramm. Manche Dinge gehören einfach dazu, und mir wird ja nicht wie beim Fußball nach der Show am Bühnenrand ein Mikro vor die Nase gestreckt. Insofern geht es eigentlich. Da gibt es noch andere Leute im öffentlichen Leben, die müssen mit ganz anderen Dingen umgehen.

Mathias Möller: Vermeidet er es bewusst, ein zweites "Sky & Sand" zu machen?

(wie aus der Pistole geschossen) Ja, das tut er! Bewusst, aber auch unbewusst. Denn ein zweites "Sky & Sand" kommt da einfach nicht raus. Hannes [Stoehr, Berlin Calling-Regisseur, d.Red.] wollte das so in dem Film. Und das hat dann gepasst und kam einfach so. Aber ansonsten habe ich wieder weitergemacht wie vorher.

Diesbezüglich noch eine Frage von Nikolas van der Klappergass: Wird er mehr mit seinem Bruder machen? Der singt so schön.

Nein. Gerade das ist es ja: Der singt so schön. Und macht auch so schöne Musik. Warum also was zusammen machen?

Okay. Wer bekommt das Autogramm? Kleppi?

Ja, eindeutig.

Dann vielen Dank fürs Gespräch.

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