laut.de-Kritik
Alter schützt vorm Rocken nicht.
Review von Artur SchulzEr kann's einfach nicht lassen. Paul McCartney tourt weiterhin rund um den Erdball - fast scheint es, als ob er in den vergangenen Jahren präsenter war als je zuvor. Mühelos füllt er die größten Locations - prall besetzt mit Enthusiasten. Es werden einfach nicht weniger, wie denn auch? Neue McCartney-Fans wachsen schließlich stetig nach.
Natürlich, seine Stimme besitzt längst nicht mehr den jungenhaften Charme der Beatles-Ära. Dass er sich aber immer noch mit alten Zeiten verbunden fühlt, wird bereits deutlich in der Wahl des Auftrittsortes für die mitgeschnittene Konzertreihe der "Good Evening New York City"-Silberlinge.
1965 stürzten John, Paul, George und Ringo am 15. August die Staaten mit einem Auftritt im Shea Stadium endgültig ins Beat-Fieber. Inzwischen längst abgerissen, nun neu aufgebaut und in Citi Field umbenannt, gab McCartney dort am 17., 18. und 21. Juli 2009 drei Einweihungskonzerte. Die vorliegende CD/DVD-Zusammenstellung bietet einen höchst unterhaltsamen Zusammenschnitt des Programms dieser drei Nächte.
Mit dem Beatles-Klassiker "Drive My Car" eröffnet Macca den Abend - und hat die Zehntausende Besucher sofort hinter sich. "Jet" glitzert noch immer als ganz besonderes Juwel der Wings-Tage.
"Only Mama Knows" entstammt seiner Solo-Karriere und macht klar, wie das Programm des Abends aussieht: bis auf das Schlussdrittel gibt es einen Mix aus allen Karrierephasen des mittlerweile adeligen Briten.
Stets dynamisch und druckvoll bei der Sache: McCartneys junge Mit-Musiker, die dann und wann auch brandneue Klänge in vermeintlich altbekannte Songs einfügen. Was Paul da im Lauf der Zeit (natürlich auch im Verbund mit John Lennon) an Nummern für die Ewigkeit komponiert hat, beeindruckt im weiteren Konzert-Verlauf.
So manch anderer Künstler muss sich an zwei-drei Hits ein Leben lang klammern, doch Paul McCartney besitzt dank seiner Talente und seines jahrzehntelangen Outputs einen ganz anderen Background.
Das letzte Drittel des Konzerts steht schließlich ganz im Zeichen der Fab Four aus Liverpool. Nur die noch immer beeindruckende Wings-Nummer "Live And Let Die" findet Einzug in ein Hit-Gewitter, eingeläutet mit "Paperback Writer". "Live ..." bedeutet einen besonderen optischen Appetithappen, denn hier lässt McCartney der Pyrotechnik freien Lauf. Blitz, Donner und funkelnde Sternraketen - das passt einfach zu diesem Song, und lässt Publikum und Künstler mit staunend geöffneten Mündern zurück.
Die ineinander übergehenden "A Day In The Life / Give Peace A Chance" bedeuten eine große Verbeugung vor dem Kollegen John Lennon. "I Saw Her Standing There" bietet einen prächtigen Gaststar: Billy Joel sitzt am Piano und findet durchaus Gefallen an seinen Gesangseinlagen. Die "Lady Madonna" schaut vorbei, und natürlich das unvermeidliche "Yesterday" - doch all das nie als angeranzte Nostalgie konzipiert, sondern frisch und mit viel Drive eingespielt.
Mit einem Medley aus "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" und "The End" beenden McCartney und Band einen Abend, nach dem erst mal Luftholen angesagt ist - satte 33 Live-Tracks bieten die Musiker ihren Fans! Optisch und soundmäßig gleichermaßen gut aufbereitet, bedeuten CD und DVD ganz klar ein freudiges Fest für alle Beatles- und McCartney-Freunde.
Paul Becher, alter Macca-Film-Begleiter, führt Regie, und tontechnisch hinterlässt der erfahrene Paul Hicks ebenfalls saubere Arbeit. Die separat erhältliche Deluxe Edition bietet tatsächlich einen mehr als gelungenen, lohnenswerten Mehrwert fernab der oft üblichen, lieblos-überflüssigen Fan-Abzocke.
Die darin beigefügte Extra-DVD enthält neben Doku und einem weiteren Song einen faszinierenden weiteren Live-Mitschnitt, aufgenommen an höchst ungewöhnlicher Location. McCartney und Kompagnons rocken während eines sonnigen Werktags sieben Songs auf dem Vordach des legendären Ed Sullivan-Theaters, der Broadway kommt nahezu zum Erliegen.
Amüsant dabei die sich immer mehr mit Beobachtern füllenden Hochhaus-Fenster rings um die Location - was Paule zur Bemerkung treibt: "Ja, wollt ihr denn nicht mehr arbeiten?" Erinnerungen an das legendäre Beatles-Apple Corps-Dachkonzert aus dem Jahr 1969 werden da zwangsläufig wach.
Gestern und Heute im überzeugenden Verbund - Paul McCartney und seine Songs besitzen einfach zeitlose Klasse.
4 Kommentare
Ich habe zwar die CD/DVD noch nicht, kann aber bezeugen, dass Macca in Sachen Rock the Stadium nicht älter geworden ist. Ich habe ihn in den 80ern und vor ein paar Jahren live gesehen und da sprang immer noch ein jugendlicher, fröhlicher Funke ins Publikum über. Paul hat auch gezeigt, dass er immer noch hart rocken und seinen Ruf als der "weiche Beatle" definitiv widerlegen kann. Die Energie, die Helter Skelter oder The End immer noch live verspühen ist beinahe fassbar.
Ein wahrlich grosser Künstler, der die Musikwelt definitiv mitgestaltet und verändert hat (auch sein Einfluss auf die Produktion und die Arrangements der Beatles-Stücke zusammen mit George Martin wird allzuoft unterschätzt). Trotzdem ruht er sich nicht auf den Lorbeern aus, sondern produziert mit mehr oder weniger grossem Erfolg (v.a. bei den Kritikern) stets neue Werke.
Die Solosachen mag ich zwar seit den 80ern eher selten, aber sein Gesamtwerk ist ja wohl über jeden Zweifel erhaben. Und live gibt er einem immer das Gefühl, selbst Spaß zu haben. Wenn er das nur spielt: Hut ab! Glaube ich aber nicht, sonst wäre er ja nicht immer noch (so) aktiv...
Geld braucht er ja wohl keines zum Brötchenkaufen...:-)
Nein, aber um Scheidungen zu bezahlen
@Küsel (« Paul hat auch gezeigt, dass er immer noch hart rocken und seinen Ruf als der "weiche Beatle" definitiv widerlegen kann. Die Energie, die Helter Skelter oder The End immer noch live verspühen ist beinahe fassbar. »):
Genau das jedoch wird in der heutigen Konzertkritik einer großen (seriösen) Berliner Tageszeitung bemängelt: Dass er das weiche, runde als Alleinstellungsmerkmal nicht besser zur Geltung bringt. Alles unsinnig laut, kratzig und demonstrativ lärmend. Insbeondere bei der Bewertung der Wings-Passagen wird ziemlich hart geurteilt (wörtlich: "Sklerotischer Schrottrock"). Dazu will ich nur sagen: Seit ich die Kölner Band "Erdmöbel" liebe, die definitiv mit diesem Höfner-Bass-Sound eine wirklich feine, runde, weiche Easy-Listening-Variante mit guten Texten zelebrieren, denke ich viel positiver über die Sorte von Beatles-Songs, die den Easy-Listening-Bereich berühren.
@obiwan2000 («
Geld braucht er ja wohl keines zum Brötchenkaufen...:-) »):
Und dazu heißt es ebenda, es wäre geradezu schäbig, dass ein Milliardär sein Publikum mit billigen Streichersamples von der Festplatte belästige. Hart aber gerecht. Immerhin habe ich an fast gleichem Ort noch vor kurzem Patrick Watson erlebt, der vielleicht nicht mal "Zehntausendär" ist, es sich aber nicht nehmen ließ, ein ganzes Streichqartett für sein Konzert zu engagieren. Weils um die Musik ging, um nicht um ein großes Popevent fürs Massenpublikum, das nach historischen Momenten mit Gänsehautfeeling und großen prominenten Namen lechzt.