laut.de-Kritik
Das EDM-Pendant zum Yacht Rock.
Review von Yannik GölzAls mir damals "Starry Night" von Peggy Gou in den Feed gespült wurde, dachte ich wirklich für eine Weile, ich hätte da etwas ziemlich Originelles aufgetan. Mein Bezug zu EDM ist, sagen wir, naiv – und meinen einzigen Vergleichspunkt bildeten K-House-Artists wie Yaeji oder Park Hye Jin, die immerhin mir relativ cool vorkommen. 2022 habe ich dann herausgefunden, dass mein vermeintlicher Geheimtipp lange schon absoluten DJ-Superstar-Status genießt, mit all dem Ibiza-Privatjet-Bling und was noch so dazugehört. Es war wahrlich mein "ich kenne da eine Indieband, ich weiß nicht, ob du von ihnen gehört hast, aber sie heißen Tame Impala"-Moment. Haha.
Wie alles von hohem Status muss auch Peggy Gou unlängst Overrated-Diskurs aushalten. Zwei Gedanken dazu: "I Hear You" funkelt stellenweise wirklich sehr posch, auf dass sogar ich bei diesem Album richtungsmäßig näher an David Guetta als an (hier coolen, kantigen, untergründigen EDM-Artist einfügen) dran ist. Aber trotzdem kann gerade dieser Sound definitiv Spaß machen.
Fangen wir einmal mit den unterwältigenden Momenten an: Ja, das Intro, wie schon an vielen Stellen besprochen, ist ziemlich affig. Kein Grund, diese gehobene Cocktailbarmusik irgendwie mit aller Kraft auf Zufall in irgendeinen relevanten Diskurs zu schieben. Es wird nicht bei der Vernissage für neokoloniale Diaspora-Kunst laufen, höchstens bei der Afterhour danach, wenn inzwischen hauptsächlich Art Dealer-Personal vor Ort ist. Was okay ist – aber nicht den besten ersten Eindruck macht, sich mit prätentiösem Spoken Word irgendwie über Wert verkaufen zu wollen.
Abgesehen davon sind die beiden Kollabos hier definitiv Schwachstellen. Ich liebe Villano Antillano. Die puertoricanische Rapperin hatte letztes Jahr mit "La Sustancia X" ein Megaalbum in den Händen, aber die Sprengkraft und Vision dieses Projekts ist auf dem Instrumental "All That" null gespiegelt. Der rumpelige Chill Hop-Drumloop und die geschmackvollen Synths laden die Schurkin nur ein, schüchtern auf der Stelle zu treten.
Immerhin ist dieses Lowlight nur beige, wirklich den Haterstimmen gerecht wird nur "I Believe In Love Again" mit einem superwahllosen Lenny Kravitz. Dieser belanglose Schmachtfetzen dürfte das Electronica-Pendant von Yacht Rock sein.
So: Viel rumgenölt an den drei schwachen Tracks dieses Debüts. Verdeckt am Ende trotzdem nicht, dass sehr viel an diesem Tape sehr genießbar ist. Man sollte ja meinen, der klischeehafteste Fall für einen schlechten Track wäre der große, virale Durchbruch "(It Goes Like) Nanana". Sogar der Name davon ist dämlich, (hier coolen, kantigen, Untergrund-DJ einfügen) würde den Durchbruchs-Track nie so nennen. Aber sorry: Das ist ein Banger.
Tracks wie dieser lassen "I Hear You" auf die geile Art wie Yacht-EDM rauskommen. Die geschmackvoll verwursteten 90er-Berlin-Synths, die K-House-typischen Laid-Back-Vocals und dieses sofort einschlägige Riff. Man möchte dazu auf Downern auf einem Häuserdach liegen und den Sonnenaufgang anschauen. Und das Tape hat noch eine ganze Menge Gems zu bieten. "Back To One" kickt diesen kompakten Groove mit treibenden Synth-Stabs, "Soulsi Peggygou" nimmt Klischee-Asien-Sounds über einen extrem geilen Jungle-Amen-Break auseinander. Man spürt einen Hauch Zynismus. "1+1=11" fühlt sich mit seinem gothy Vocal-Chop am ehesten wie vier Uhr Morgens-Club-Adrenalin an. Da ist Feuer drin, wo das restliche Tape mehr gechillt hat.
"I Hear You" ist an vielen Stellen vielleicht nicht das aufregende, experimentelle, vorwärtsgedachte Arbeiten von (hier irgendwen anders einfügen), aber doch auf eine unaufgeregte, lässige Art durchwegs gut: Die Basslines knallen, die Sounds zwischen Acid und Lo-Fi-House nostalgisch und warm. Es ist tanzbar, es ist chillbar, es ist auf ein paar schlechte und auf viele gute Weisen Yacht-EDM.
Ein letzter Gedanke, da Peggy ja gerade eh dem Mainstream entgegengleitet: Bevor sie sich ganz den Guetta-Zombies verschreibt, sollte sie unbedingt ein Tape mit Dua Lipa machen. Die hat mit "Radical Optimism" ja schon versucht, neue kreative Gegenspieler zu finden, aber Tame Impala und A.G. Cook waren wirklich nicht die Wave. Aber sie und Peggy? Das sehe ich zu einhundert Prozent. Ich will, dass die beiden zusammen posch, professionell und beautiful sind und über all den Dingen stehen. Peggy hätte die Coolness und die Club-Effizienz, die Dua braucht und Dua hat die energetischen Vorstöße und Hooks, die "I Hear You" beizeiten fehlen. In meinem Kopf macht das unglaublich viel Sinn.
2 Kommentare mit einer Antwort
Was ist der spezielle Stil, der K-House zu einem eigenen House subgenre macht? Ich meine, bei French House ist es einleuchtend, wenn man 2-3 Sachen davon gehört hat, aber K-House hat nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag und zumindest das hat heutzutage eigentlich jedes noch so kleine Micro-Genre.
Ich denke, wir können es momentan einfach House nennen. Dass er aus Südkorea kommt ist erst einmal unerheblich, denn es spricht auch keiner von German House oder Spanish House oder Scandinavian House, weil diese eben auch keine besonderen stilistischen Eigenheiten aufweisen, die eine eigene Bezeichnung nötig machen würden.
Grundsätzlich ist es auch echt ganz schön, dass man in der elektronischen Tanzmusik komplett auf die Herkunft der Künstler scheißt, und ich finde, das sollten wir auch grundsätzlich beibehalten.
Zum Album selbst: Wenn Songs davon in einem House-Set laufen würden, würden sie mir nicht besonders auffallen. Ist wie oben schon geschrieben eben nichts besonderes.
Mag das ganze Album, wobei "All That" wohl am schwächsten ist. Den Opener finde ich ziemlich charmant, schon von seiner Instrumentierung, und zusammen mit dem Spoken-Word-Vortrag - der ja auch nur zitiert - fühlt der sich fast schon, ich weiß nicht, kuschelig an? Liest sich vielleicht seltsam, aber ich mag es wirklich sehr. Ab "(It Goes Like) Nanana" nimmt das natürlich Fahrt auf. Macht mir gerade ziemlich viel Freude.