laut.de-Kritik
Versonnenheit trifft auf Apokalypse.
Review von Sven KabelitzIn düsteren Zeiten dachten die Menschen schon immer, dass es kein Leben danach geben kann. Doch egal ob Pandemien oder Weltkriege, es ging trotzdem weiter. Mittendrin statt nur dabei hilft einem dies natürlich nur wenig. So durchziehen die Texte von Phoebe Bridgers' zweitem Album "Punisher" auch immer wieder Gedanken an die bevorstehende Apokalypse, bis der Longplayer letztlich in einer Explosion zusammenbricht.
Doch bis dahin erleben wir so viel mehr. So viele Aspekte, die unser Leben ausmachen und die die Singer/Songwriterin aus Los Angeles in ihr Werk einbezieht. Den Einfluss, den unsere Liebe, unsere Ängste und immer wieder unsere Hingabe zur Musik auf unser Leben haben: Was im Fall von Bridgers ihr Fantum zu Elliott Smith darstellt.
Drei Jahre liegt ihr Debüt "Stranger In The Alps" zurück. Drei Jahre, in denen sie sich den Nebenprojekten Boygenius und Better Oblivion Community Center widmete. Letzteres stellt eine Zusammenarbeit mit Conor Oberst dar. All dies hat auf "Punisher" Spuren hinterlassen.
Die meiste Zeit über bestimmt ruhiger, intimer Indiefolk das Album. So ruhig, dass man die Songs fast übersieht, sie huschen vorbei, wenn man nicht ein genaues Auge auf sie wirft und sich mit ihnen beschäftigt. Ein guter Kniff, um die Aufmerksamkeit noch mehr auf die Texte zu ziehen. Über die samtenen Arrangements legt sich die sanfte, flüsternde Stimme der Sängerin.
"Garden Song" wirkt so zerbrechlich, dass der Track während er startet, fast schon wieder verschwindet. Bridgers erinnert sich an ihre Kindheit, die Erlebnisse, die ihr Leben prägten. Eine Art Comig-of-Age-Song und Dialog mit ihrem vergangenen Ich. "The doctor put her hands over my liver / She told me my resentment's getting smaller", singt sie. Der Groll mag noch lange nicht verheilt sein, aber sie erahnt den Weg zur Ausgeglichenheit.
Der klassische Wohlfühl-Indierock von "Kyoto" bricht aus diesem intimen Umfeld aus. Ein ebenso optimistischer wie nüchterner Blick auf die Erfahrung während einer Japan-Tour. "You called me from a payphone / They still got payphones / It costs a dollar a minute." Jenny Lee Lindberg von Warpaint übernimmt den Bass, während Bright Eyes' Nathaniel Walcott dem Song mit seinem Bläser-Arrangement eine verzaubernde Leichtigkeit verleiht.
Insgesamt steckt "Punisher" voller kleiner Gastauftritte, die sich jedoch nie ins Rampenlicht drängen. Dadurch bekommt das Album eine extra herzige Note, wirkt wie ein freundschaftliches Klassentreffen mit den Leuten, die Bridgers in den letzten Jahren begleiteten. Walcotts Bandleader Conor Oberst findet sich zaghaft am Schluss von "Halloween" wieder. Dem Song, den die Textzeilen "I hate living by the hospital / The sirens go all night / I used to joke that if they woke you up / Somebody better be dying" eröffnen.
Im von einem Banjo bestimmten Countrysong "Graceland Too" kommt es mit Julien Baker und Lucy Dacus zu einer Art Boygenius-Reunion, erweitert um Sara Watkins an der Fiddle. Während einer wehmütigen Geburtstagsfeier sinniert Bridgers in "Moon Song" über Eric Claptons persönlichsten Hit: "We hate Tears In Heaven / But it's sad that his baby died." Diese vielen kurzen Nebenbeobachtung auf "Punisher" verknüpfen sich mit der Zeit mehr und mehr zu einer emotionalen Gesamtheit. Kurz vor Glockenschlag.
Im Titelstück führt Bridgers eine Unterhaltung mit ihrem Idol Elliott Smith, die ins Leere führt. "And here, everyone knows you're the way to my heart." Zu gedämpften Synthesizer-Klängen und von einem Vocoder gedoppelt schleicht sie an den Stationen aus seinem Leben vorbei. Sehnsuchtsvoll denkt sie darüber nach, wie ein Treffen wohl verlaufen wäre. Selbst sieht sie sich als "copycat killer with a chemical cut".
Wie eine durchgeknallte Predigerin zieht sie sich im dystopischen "I Know The End" ein "The End is near"-Schild um. Ein Grand Finale, in dem sie noch mal alle zuzüglich Nick Zinner (Yeah Yeah Yeahs) in die Manege bittet. Ein Finale In dem sich die zarte mit der nur selten durchblitzenden wilden Seite des Longplayers verbindet, in dem Versonnenheit auf die Apokylapse und Aliens trifft, von Bridgers ruhigsten Variante bis zu einem ausufernden Schrei, von Fingerpicking zu Feedback, bis schließlich alles zerbricht. "The billboard said 'The End Is Near' / I turned around, there was nothing there / Yeah, I guess the end is here."
Auf den Schultern ihrer Vorbilder sitzend, erfindet Phoebe Bridgers auf "Punisher" zwar nichts neu, verfügt von dort aber über eine ganz eigene Sicht. So gelingt ihr an den richtigen Stellen eine Feinjustierung von "Stranger In The Alps". Mit ihrem Blick auf die kleinsten aller Details bildet sie ein ebenso trauriges wie wütendes wie humorvolles Universum.
2 Kommentare mit einer Antwort
Ich kann echt viel Gen-Z Mucke ab, auch gerade die ausgefallene und weirde, aber das lahme Geklimper hier hat doch wirklich nix mehr mit Kunst zu tun, oder?
Das ist eine gute Frage, mein lieber ntrlydbstp.
Angesichts des späteren Spitzenplatzes in den Jahrescharts der Redaktion ist Svens Rezi ja noch recht nüchtern gehalten. Ich bin bei Team Jubel: Ganz tolles Album, das mich die letzten Tage fest im Griff hatte. Lieblingslied ist ICU, auch der schönen Tirade auf deine Mama wegen ❤️