laut.de-Kritik
Aberwitziger Strudel aus Rhythmus, Aggressivität und Druck.
Review von Alexander CordasLeicht klopfende Keyboardklänge, eingespielte Geräusche einer U-Bahn Station ... und peng ist man drin im neuen Album von Porcupine Tree. Der Titeltrack "Deadwing" eröffnet das Album mit einer satten Portion Power. Ein prägnant gezupfter Basslauf gibt den hektischen Rhythmus vor, den die Snare gnadenlos weiter peitscht. Wilson wirft dem Hörer mehr gesprochene denn gesungene Textfetzen hin.
Puh, heftig das! Mit einem derartigen Brett loszufetzen, hat schon was für sich. Erst nach dreieinhalb Minuten nehmen PT mit einem Break und bluesigen Gitarrentönen das Tempo wieder ein wenig raus, nur um den Hörer kurz darauf wieder auf eine Berg- und Talfahrt zu schicken, die sich gewaschen hat.
"Deadwing" treibt, fordert und überrascht. Am Ende bemerkt man kaum, dass der Song eigentlich gar keinen richtigen Refrain hat, sondern "nur" aus perfekt aufeinander abgestimmten Parts besteht. Die sägenden Riff-Synkopen ab 7:30 Minuten setzen dem noch die Kirsche auf. Das sitzt! Atmosphäre, Energie, Groove, alles was ein Rockfan von einer tollen Scheibe erwartet, findet bereits in diesem Song. Und das ist erst der Anfang.
"Shallow", so mag der Nörgler nörgeln, mache seinem Namen alle Ehre. Dem sei entgegengehalten, dass sich auch hier Riffwände auftürmen, die so hoch sind, dass man sie kaum erklimmen könnte. Dröhnen einem schon die Ohren, kommt mit "Lazarus" die erste richtige Pause vom Powerrock um die Ecke. Verspielte Piano-Läufe schmücken die zwar nicht sonderlich spektakulär klingende, aber schön emotional eingefärbte Ballade.
Was im weiteren Verlauf noch deutlich zutage tritt, ist die schon fast beängstigende Perfektion der Balance zwischen deftig rockenden Parts und ganz ganz großem Harmonie bzw. Melodiesport. Porcupine Tree fahren weiter ihre eigene Schiene und verbitten sich Wiederholungen. Steven Wilson als Hauptsongschreiber tut gut daran, sein Ego nicht in den Vordergrund zu stellen. Die Songidee steht als Absolutum über allem. Es bedarf also nicht immer einer jaulenden Gitarre, um Kraft und Druck zu erzeugen. Nächstes Beispiel "Halo": Dezent industrialisiert pumpen Bass und Schlagzeug. Erst nach einer dreiviertel Minute unterstützt der erste Gitarren-Ton die spooky Stimmung, ehe gleich im Anschluss der Refrain die Düsternis etwas aufhellt.
Meine Güte, solche Kompositionskunst sollte einem Angst und Bange machen. "I've got a halo round my head". Was als Kritik an missionarische Christen gerichtet ist, könnte ob des Songmaterials fast als Selbstbeschreibung durchgehen. Und immer wieder progt der Rock. Vertrackte Elemente, Rhythmus-Strukturen und Breaks dienen Porcupine Tree nicht dazu, die eigene Muckerheit zur Schau zu stellen, sondern bilden wunderbar passende Farbtupfer innerhalb der Songstrukturen (von "Lazarus" einmal abgesehen).
Wer dachte, das sei es mit der Erstklassigkeit gewesen, der darf sich jetzt noch einmal hinsetzen. Kippe wird später geraucht! Den Hammer schlechthin packen PT genau in der Mitte des Albums aus. "Arriving Somewhere But Not Here" ist ein musikalischer Parforceritt ohnegleichen und das zentrale Stück der Scheibe. Schwebende, rückwärts geloopte Synthieklänge und eine tickende Uhr leiten das Meisterstück ein. Bedrohliche Klangkollagen werden laut, ehe die Gitarre mit klaren Tönen die Stimmung ein wenig auflockert, gegen die tragische Atmosphäre jedoch nicht ankommt. Wieder einmal zeigt sich, dass Steven Wilson und seine Mannen nicht nur instrumentelle Könner sind. Sich überlappende Gesangslinien, die auch acapella gut funktionieren würden, verleihen nicht nur diesem Stück eine spannende Tiefe. Den Hammer packen PT im Mittelteil dieses 12-minütigen Epos' aus. Thrashige Monsterriffs führen die eher zerbrechlich wirkenden Parts ad absurdum. Porcupine Tree erzeugen einen aberwitzigen Strudel aus Rhythmus, Aggressivität und Druck. Kurz bevor der Hörer in diesem Sog zu ertrinken droht, klärt sich das Gewitter, Aufatmen ist angesagt.
"Mellotron Scratch" erinnert - nicht zuletzt dank der großartigen Vokalarbeit - sanft an "Trains" von "In Absentia". Trotz der weitgehend eingängigen Strukturen, ist es nicht Wilsons Sache, einen Song nach dem 08/15-Schema abzuhandeln. So auch in diesem Fall, wenn die Band nach 4:30 Minuten optimistischere Töne anschlägt. "Open Car" entwickelt trotz der relativ kurzen Spielzeit eine anständige Wucht, die in Stevens herzzerreißendem Gesang seine Krönung findet. Die letzten beiden Nummern des Albums sind der Schlagobers auf das Sahnestückchen. Die verzerrten Gesangspart und der allmächtige, raumausfüllende Sound von "The Start Of Something Beautiful" sind auch über sieben Minuten reinstes Hörvergnügen. "Glass Arm Shattering" hingegen ist der perfekte Kehraus für ein Monster von Album. Selten klang ein "Shalala" derart unpeinlich.
"Deadwing". Acht Buchstaben, ein Wort: Wahnsinn! Porcupine Tree haben einen Klassiker an den Start gebracht. Ob das jetzt Progressive Rock, Metal oder wasauchimmer sein soll, spielt absolut keine Rolle, denn solche Musik passt in keine Schublade, ist zeitlos und schön.
4 Kommentare mit einer Antwort
Es gibt keinen Kommentar zu Deadwing? Ach du liebes bisschen... Super gelungenes Album meiner Ansicht nach, mir fällt keinerlei Kritik ein.
Ich staune auch grad darüber, dass hier immer noch nichts steht.
Jetzt sind es schon 3. Deadwing war das erste Album, dass ich von PT hörte, und beim jedem Song dachte ich, ja, genau so muss das klingen. Die letzte Band, die mich derart überrascht hatte, war Pink Floyd. Diese unerwarteten Momente, die in den Songs hausen, das drehen um 180 Grad. Genau das macht PT bzw Steven Wilson für mich zum würdigen und einzigen echten Nachfolger von Pink Floyd.
ja sehr gutes album, ich kenne und schätze diese band allerdings schon sehr lange. the incident war auch ein gelungener knüller
lazarus wird wohl immer einen platz in meinen top 50 aller zeiten haben. so ein hypnotisch melancholischer song, wie in radiohead nie auf die reihe bringen würden (und ich finde radiohead jezt nicht schlecht).
für pt ist der track natürlich auch ziemlich eingängig