5. Oktober 2015
"Einfach Liken ist mir zu passiv"
Interview geführt von Deborah Katona"Say what you want to say, I'll be okay (...) Say what you want to say, I know I won't break. I've got no armour on my heart so fire away, hey na na na na na naaa, so fire away." Rea Garvey, der 1,86 Meter große Ex-Reamonn-jetzt-solo-Sänger und The Voice-Juror geht in die Offensive. Er wird laut auf seinem neuen Album "Prisma" - und findet auch im Interview offene Worte an seine Hater, gegen die derzeitige Politik und dumme Social-Medie-Trolle. Ihn als Wutbürger zu bezeichnen, wäre dennoch zu viel – der Ire liebt Deutschland, "fuck yeah", und ist auch sonst ein begeisterungsfähiger Mensch.
Rea steht auf Pearl Jam, seine neue Platte und hat auch für Bier gute Worte übrig: "Ich bin so ein Biertrinker, Flasche, Dose, gezapft, egal. Wenn aber was dazu gemischt wird, denk ich: Warum? Das schmeckt doch so perfekt. Das ist nicht kaputt, warum machst du es kaputt?". Wo er Recht hat ...
Und damit auch die Internetgemeinschaft fleißig mitmeckern (und Teil seines Videos werden) kann, rief Rea den Hashtag #getloud ins Leben und fordert seine Fans zum Handeln auf – nicht gegen Biermischgetränke, sondern gegen Manipulation und Massenmeinungen. Das hat aber nichts mit der Fernsehcastingshow "The Voice Of Germany" zu tun, wo Garvey ab Oktober erneut in der Jury sitzt. Wie er sich dort unliebsame Kandidaten und gegnerische Jurykollegen à la Andreas Bourani vom Hals hält, verrät er im Interview mit laut.de.
Du hast ein neues Album am Start. Im Promotext steht, es sei ein politisches Album. Erklär mir das doch bitte in deinen Worten.
Rea Garvey: Inspiration findest du darin, wo du am meisten beeindruckt bist. Im Moment bin ich wahnsinnig beeindruckt vom Zustand der Individualität. Das Album ist politisch in dem Sinne, dass ich das Gefühl habe, es gibt eine gewisse Manipulation. Man wird zu einem Punkt geführt, an dem gesagt wird: Jetzt bist du Teil der Masse, jetzt ist alles schön. Da gibt es keine Ecken und Kanten. Mir ist durch Social Media aufgefallen, dass man quasi dazu gezwungen wird, die Massenmeinung anzunehmen, sonst würde man am Rand stehen. Das gefällt mir gar nicht.
Ich liebe Individualität. Jeder ist von den Menschenrechten her natürlich gleichberechtigt, trotzdem darf man nie sagen: Alle Menschen sind Punkt Punkt Punkt, weil das einfach nicht stimmen kann! Weil wir alle unterschiedlich sind. Ich komm aus der Grunge-Ecke und das war die Zeit, in der man dagegen geschwommen ist. Wir hatten vielleicht nicht die eigenen Wörter, deswegen haben Nirvana das für uns gesungen und diese Energie ausgepackt.
Korrigier mich, wenn ich falsch liege, aber ich bin mir nicht sicher, ob deine Fans Politik von Rea Garvey erwarten. Glaubst du, die Leute sind bereit für solche Texte?
Ich glaube, es liegt eher in meiner Verantwortung als zu schauen, dass ich jeden glücklich mache. Man darf keine Entscheidungen treffen, weil man denkt, dass das populär ist. Man muss entscheiden, was man für richtig hält. Musik steuert mich. Wenn ich anfange, Musik zu schreiben, dann fließt das durch mich durch. Ich schreibe mit vielen unterschiedlichen Leuten zusammen, aber es kommt immer auf die gleichen Themen zurück, witzig.
Menschen, vor allem ehrgeizige Menschen, haben das Gefühl, sich den Arsch abzuarbeiten und fragen sich warum. Warum tue ich das noch mal? Damit ich Steuern zahlen kann?! Als ich mit der Arbeit zu dem Album anfing, waren diese ganzen Themen in Deutschland überhaupt nicht zu hören. Jetzt fangen Medien mit diesen Generic-Beschreibungen an: Muslime, Christen, Deutschen ... Ich mag das nicht.
Gab es das nicht schon immer?
Es gibt immer eine gewisse Akzeptanzebene, wo man sagt: Okay, das gibt es, ist aber kein Problem. Das Ding ist: Irgendwann ist es in your face. Man muss einfach vorsichtig sein, aber vor allem wach. Vor vier Monaten hab ich den #Getloud-Hashtag gestartet. Mir geht es darum: Verbirg deine Meinung nicht, nur weil das vielleicht unpopulär ist. Sag, was du denkst. Sei ein Individuum. Sei da und mach den Mund auf.
Was erwartest du von deinen Fans? Wie sollen sie sich engagieren?
Social Media kann auch positiv sein, man kann das für positive Sachen nutzen und Statements setzen. Ich erwarte nicht, dass jetzt jeder so wie ich Musik dazu schreibt, aber ich erwarte, dass man einen Kommentar dazu abgibt. Likes sind mir zu passiv. Die Mini-Minority darf nicht die Masse repräsentieren und genau deswegen muss die Masse anfangen zu sprechen. Man nutzt ein Gewehr, dass gegen einen gestellt wurde.
Ist doch oft so, dass diejenigen, die am lautesten schreien, am wenigsten zu sagen haben.
Ich muss dazu sagen: Ich hab natürlich kein Recht, Deutschen zu sagen, wie Deutschland geführt werden sollte. Das will ich auch gar nicht, das ist Aufgabe des deutschen Volks. Ich bin nur ein Gast in diesem Land. Ich werde laut, weil ich das Gefühl habe, dass diejenigen, die am lautesten schreien, das Land nicht repräsentieren. Ich bin hier mit offenen Armen empfangen worden, ich fühle mich hier wohl. Ich habe eine Familie hier und Deutschland ist toll. Ich will mehr davon hören!
Bei Konzerten rasten Leute aus, wenn ich das sage: 'Fuck yeah, tolles Land!' Aber vielleicht haben die Deutschen ein bisschen Angst vor Hochmut. Bevor ihnen das einer vorwirft, sagen sie lieber gar nichts. Wenn es als Gast also meine Aufgabe ist, Tolles über das Land zu berichten, dann mach ich das. Bloß weil ein paar ungebildete Menschen irgendwas Dummes auf Social Media-Kanälen posten, dürfen die Medien nicht nur darüber berichten. Deutschland ist so offenherzig!
"Mein Rat: Fuck 'em!"
Du hast ja viel dazu zu sagen. Gabs dafür auch mal Kritik?
Es ist weniger so, dass ich auf Kritik warten muss. Ich gehe einfach direkt dagegen. Ich bin nun mal ein Ausländer, und ich weiß, was hier täglich passiert. Es ist lustig, wenn dann manche zu mir sagen: "Ja, aber du bist nicht SO einer ..." Aber du kannst es drehen und wenden, wie du willst: Ich bin ein Ausländer. Ich mag das Wort nicht, ich mag auch das Wort Flüchtling nicht. Das impliziert direkt 'arm' oder 'hoffnungslos' oder 'kurz vor dem Sterben'. Im Endeffekt ist das eine Gesellschaft, die auf der Flucht ist, weil ihr Land auseinander genommen wird. Das Thema ist spannend, weil es von Menschen ihren Verstand fordert. Und es ist unglaublich, wenn du die Frage auf dein Leben beziehst: Wie weit bist du bereit zu gehen?
So konkrete politische Themen hast du aber nicht in deine Musiktexte eingebaut, oder?
In manchen Liedern habe ich schon gesagt, dass es so einfach nicht geht. Wir müssen aufwachen und laut werden. Das sage ich so offen, weil es Politik gibt, die einfach nicht akzeptabel ist.
Jetzt kritisierst ja nicht nur du, sondern wirst als Musiker selbst auch für deine Musik kritisiert. Wie gehst du damit um?
Manche Kritik trifft mich, manche nicht – und natürlich liest man nicht alles. Schlechte Kritik ist nicht leicht, aber ich muss zuvor mit meiner Musik sowieso an einen Punkt kommen, an der ich sie liebe. Dann kann ich der Kritik gegenübertreten. Ich hab meine neue Platte auf dem Weg vom Flughafen hierher gehört und was soll ich sagen? Ich lieb' die! Ich war begeistert, hab gedacht: Das ist 'ne geile Platte! Das darf man wahrscheinlich von sich selbst nicht sagen, aber scheiß drauf.
Könntest du dich überhaupt mit etwas Halbgutem, Unfertigem zufrieden geben?
Beim zweiten Reamonn-Album hab ich das gemacht und das war ein Fehler. Ich hätte eigentlich stärker sein müssen, aber ich war in einer Band und konnte deswegen nicht immer alles steuern. Aber man lernt daraus. Ich bin dadurch selbstsicherer in Entscheidungen geworden.
Wer durfte dein neues Album zuerst hören und kritisieren?
Da gibt es normalerweise zwei Personen, aber bei diesem Album war es anders. Ich hab es niemandem gezeigt. Ich hab es einfach gemacht und total daran geglaubt und dann hab ich die Plattenfirma und mein Management ins Studio gebracht. Da gab es positive und negative Reaktionen. Bei dem Guten stimmten alle überein, zum Negativen gab es unterschiedliche Meinungen. Das fand ich toll, nur ich kann jedes Lied gut finden. Ich kenne tatsächlich nur ein Album, von dem ich sage: Das höre ich von Anfang bis Ende.
Welches ist das?
"Ten" von Pearl Jam. Ich wäre lange damit beschäftigt, noch so eine Platte zu finden. Und damit im Hinterkopf erwarte ich nicht, dass jeder jeden Track liebt. Ich erwarte nicht nur Schulterklopfen.
Wie trittst du dieser Kritik entgegen? Was würdest du zum Beispiel jungen Musikern bei "The Voice Of Germany" raten?
Mein Rat: Fuck 'em! Wenn jemand sagt, dass deine Musik scheiße ist, kannst du ihm auch sagen: Fuck you. Wenn jemand das sagen will, dann will er doch auch diese Reaktion haben. Ich liebe meine Musik und deswegen mach ich das alles und ich kann nicht erwarten, dass jeder das liebt. Aber ich arbeite hart genug dafür, meine Sachen stolz präsentieren zu können.
"Andreas Bourani ist ein kompetenter Gegner"
Du hast vorhin Nirvana angesprochen, jetzt Pearl Jam. Wo würdest du dich selbst musikalisch einordnen?
Es ist ein bisschen unfair, sich selbst einordnen zu müssen.
Aber Musikredakteure mögen doch Genres so gerne ...
Naja, die Schublade öffnet sich immer neu. Wie nennt man Robin Schulz? Ist das ein DJ oder ein Musiker? Ich denke, ich bin eben ein Geschichtenerzähler. "Prisma" würde ich aber als Rockalbum beschreiben. Es ist mächtig aufgestellt und die Message ist Größe, Stärke. Ich glaube, ich bewege mich immer überall zwischen Elektro und Rock. Mein Mittelpunkt ist vielleicht irischer Folkrock, wenn du so willst. Ich glaube, ich könnte besser sagen, was ich nicht kann und mache. Ich mach kein Jazz, ich mach kein Metal ...
Wie wärs mit Hip Hop?
Ha, nee, gar nicht. Obwohl, Jazz nehme ich zurück. Ich könnte mir das gut vorstellen, irgendwann. Aber nicht diesen Jazz, den keiner versteht ... Hip Hop höre ich gern, aber ich würde das nicht gut machen.
Hast du bei den Aufnahmen im Hinterkopf, dass deine Musik radiotauglich sein sollte?
Wenn ich ganz ehrlich mit dir bin, ist mir das natürlich nicht komplett egal ...
Deine Jury-Kollegen bei "The Voice" werden ebenfalls erfolgreich im Radio gespielt. Gibt es da Konkurrenzgedanken? Ich hab gelesen, dass du dich bei den Aufzeichnungen gleich mit dem Neuen, Andreas Bourani angelegt hast.
Ich mag Andreas, ich leg' mich gerne mit ihm an. Er sitzt am anderen Ende, und ich hab das Gefühl, es liegt an diesem Platz. Ich höre ihn schlecht, dadurch nimmt man alles als Angriff wahr, haha. Er ist ein kompetenter Gegner und ich mag Kompetenz.
Wie wirst du die Kandidaten in dieser Staffel auf deine Seite ziehen?
Ich hab da ein paar Tricks, die ich gerne mache. Das finden die anderen natürlich nicht so gut, weil ich tatsächlich immer alle bekomme, die ich haben will. Die größte Kunst liegt darin: Wenn du dich umdrehst und merkst, dass einfach keine persönliche Chemie da ist – auch wenn der Gesang gut war – dann musst du es auch schaffen, den zu überzeugen, dich nicht zu nehmen. Hahaha.
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