laut.de-Kritik
Irritation ist hier kein Fehler, sondern der größte Spaßfaktor.
Review von Yannik GölzEs gibt ja wirklich Kids, die jetzt schon nostalgisch für 2010 sind. Nostalgisch für California Gurls, für Bad Romance und für Tik Tok (der Song, nicht die App). In Zeiten von Minimalismus und EDM wünscht man sich einen Pop zurück, der aussieht wie dieses Albumcover. Bunt, überladen, überdreht und genug Zuckerwatte, um einen Sommerhimmel zu bedecken. "The ReVe Festival, Day 1" ist der Bubblegum-Pop-Ausflug in die Diabetes-Achterbahn, den alle dürstenden Katy Perry-Fans gebraucht haben.
Ungeduldig wie man die Hörerschaft kennt, gibt es die Hauptattraktion auch gleich zum Einstieg. "Zimzalabim" eröffnet das "ReVe Festival" mit Knall und Feuerwerk. Wie viele der aktuellen K-Pop-Songs lebt es von diesem Flickenteppich-Produktionsstil, der schon "Dalla Dalla" von ITZY zu einem desorientierenden Pop-Spektakel gemacht hat. Doch "Zimzalabim" lässt selbst "Dalla Dalla" in Sachen Energie im Staub zurück.
Eröffnet wird mit Rummelplatz-Percussion, schrillen Synthesizern und einem dissonanten, polternden Verse, der in den elektronischen Bodyslam-Chorus bricht. Irritation ist hier kein Fehler des Systems, sondern der größte Spaßfaktor. Jedes Mal, wenn die sich langsam ordnenden Harmonien und Rap-Verses der Strophen in diesen im Bass gesungenen "Zimzalabim"-Chant mit minimaler Electro-Produktion umschlagen, packt die Dramaturgie des Songs etwas tiefer zu.
Doch das System dieses Wahnsinns ist da noch lange nicht zu Ende: Die Bridge nach dem zweiten Chorus geht von Techno-eskem Dance-Breakdown in eine kurze, akustische Ballade mit beeindruckender hohen Note und einen letzten, eskalativen Refrain. Es ist ein bisschen schade, dass damit die größten Loopings schon verschossen sind, aber auch der Rest von "The ReVe Festival, Day 1" muss sich mit Sicherheit nicht verstecken.
"Sunny Side Up!" kombiniert R'n'B-Sommergefühle mit einem Reggae-inspirierten Instrumental und reichen, fesselnden Vocal-Harmonien. "Bing Bing" bringt den bestmöglichen Bounce von Neptunes-Pop-Songs der 2000er zurück und "Milkshake" ist ein farbenfroher, energetischer Up-Tempo-Banger, der zur elektrisierenden Hook eine ganze Menge Momentum aufbaut.
Lediglich die beiden Closer "Parade" und "LP" lassen dann etwas nach. Nicht, dass die Musik hier nicht nach wie vor absolut kompetent produziert ist und die Vocal-Performance von Wendy, Irene, Seulgi, Yeri und Joy nicht weiter absolut stellar wäre. Es sind einfach nur etwas weniger fesselnde Songs in der Struktur, die Beats geben weniger Wahnsinn ab, als die Eröffnung der EP es erhoffen hätte lassen.
Wer mit der höchsten Achterbahn einsteigt, kann eben nur noch nachlassen. Aber nur, weil die Highlights hier direkt zu Beginn geliefert werden, ist die Gesamtprodukt von "The ReVe Festival, Day 1" nicht weniger aufregend. "Zimzalabim" ist eine der unmöglichsten Pop-Monstrositäten der letzten Zeit und ein Hit für kommende Jahre. Auf diesen Schock liefern Red Velvet daraufhin einen sonnigen, aber etwas geruhsameren Tag in ihrem bunten, quirligen Vergnügungspark nach. International hat das Genre seit Anfang des Jahrzehnts nicht so viel hirnlosen Spaß zu bieten gehabt.
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