laut.de-Kritik
Noisige Gitarreneffekte mit Bass-Deckung im Rücken.
Review von Alexander CordasVor ein paar Wochen meinten Leute, die das neue Rush-Album schon hören konnten, man solle nicht zu viel erwarten. Aber wer, der die Musik der drei Kanadier kennt, kann von sich behaupten, keine Erwartungen zu hegen, wenn nach sage und schreibe sechs Jahren endlich mal wieder ein Studio-Output ansteht?
So, Ohren aufgestellt und lauschen! Yep, sogleich wird der Höhrer von "One Little Victory" überfahren. "Vapor Trails" kann man in etwa mit "dampfende Wege" übersetzen und genau die hinterlassen die Herren Lee, Lifeson und Peart mit dem Opener. Wie Rhythmus-Monster gebärden sie sich und zeigen wieder einmal, dass sie in punkto druckvollem Spiel die Mehrheit der gerade musizierenden Nasen in die Tasche stecken. Das gilt vor allem für "Freeze", den vierten Teil von "Fear". Mit diesem Track haben sie wohl eines der besten Stücke aus dem Ärmel geschüttelt, das sie je geschrieben haben. Alleine seinetwegen würde sich die Anschaffung lohnen. Aber da gibt es noch einiges mehr.
Von ihrer Synthie-Phase ist kaum mehr etwas übrig geblieben. Mehr noch, da tauchen doch tatsächlich noisige Gitarreneffekte auf, die den Sound der Platte noch vielseitiger erscheinen lassen. Speziell Alex Lifeson darf sich nach Herzenslust austoben. Mit Geddy Lees Bass-Deckung im Rücken walzt der Sechssaiter so ziemlich alles platt, was sich ihm in den Weg stellt. Zwar wird im Mittelteil des Albums auch mal etwas weniger inspiriert geplänkelt, aber "Secret Touch" und das erwähnte grenzgeniale "Freeze" hauen das wieder raus. "Vapor Trails" reiht sich nahtlos in die Reihe der sehr guten Rush-Alben ein und beweist, dass manche Leute nicht immer recht haben müssen.
1 Kommentar
Klangtechnisch war die Erstveröffentlichung leider die reinste Zumutung. Das Ganze klang für mich so, als ob man den Praktikanten an die Kompression gesetzt hätte. Die Neuabmischung von 2013 hat da zumindest einiges ausbügeln können. Womit ich bei den Liedern wäre.
Trotz des gruseligen Klangbilds der Erstveröffentlichung enthält das Album sehr viele ausgezeichnete Stücke, deren Qualität 2002 auch trotz des grottigen Sounds sichtbar wurde. "Ghost Rider", "Freeze" und "Secret Touch" sind für mich die Höhepunkte der Platte, wobei auch Perlen wie das Titelstück oder "Peaceable Kingdom" und "Ceiling Unlimited" zeigen, dass Rush immer schon eine außergewöhnliche Truppe gewesen sind. Aber auch als Hardcore-Fan der drei Kanadier darf man eine gewisse Objektivität nicht verlieren. "The Stars Look Down" und "Sweet Miracle" hätten Lee, Lifeson & Peart sich meiner Ansicht nach sparen können. Die beiden Lieder lockern das an sich recht sperrige und düstere Album keineswegs auf - es sind Filler, aber keine Killer. Textlich sind sie gut, keine Frage. Wenn Neil Peart der Autor ist bzw. war, darf man immer das Beste erwarten. Musikalisch fallen die beiden Stücke meiner Meinung nach aber vollkommen ab.
Dass VT recht düster ausgefallen ist, verwundert nicht, wenn man weiß, was für Schicksalsschläge Drummer und Texter Neil Peart in den späten Neunzigern heimgesucht haben. Dafür darf sich Alex an seinen Gitarren mit Lust und Laune austoben. Das Album ist ein weiterer Beleg dafür, dass Alex Lifeson im Reigen der Gitarrengötter bis heute immer noch ein wenig unterbewertet wird.
Fazit:
Mit VT haben Rush den Rock sicher nicht neu erfunden. Man kann das Album auch nicht mit früheren Alben wie "Moving Pictures" oder "Hemispheres" vergleichen. VT markiert den Beginn des Spätwerks der drei Kanadier. Und das tut es würdig (vor allem mit dem Re-Mix von 2013). Ich bin hier und heute - 2022 - überrascht, wie viele Lieder von VT es in meine All-Time-Playlist von Rush geschafft haben. Müsste ich für das Album eine Schulnote erteilen, bekäme VT von mir eine saubere, stabile 3. Mehr geht nicht, denn Alben wie "Moving Pictures" schreibt man als Musiker eh nur einmal im Leben.