laut.de-Kritik
Unter der Oberfläche verbirgt sich das Adele-Problem.
Review von Sven KabelitzDa hat der US-Rolling Stone die Kirche mal nachhaltig aus dem Dorf gebolzt. In Seinabo Seys Debüt sieht das Magazin "Nina Simone und Moby zu Zeiten von 'Play'" und "natürlichen Blues für das neue Jahrtausend". Kann man den Vergleich zu Moby noch mit viel Phantasie nachvollziehen, fragt man sich dann doch, ob die amerikanischen Kollegen schon mal Blues oder auch nur einen einzigen Simone-Song gehört haben. Gerade mit der Jazz-Legende hat "Pretend" nicht im Ansatz etwas zu tun.
Viel mehr kombiniert die gebürtige Schwedin ihren Pop-Soul mit jeder Menge elektronischen Sperenzien aus den tiefsten 1990ern. Das etwas behäbige Ergebnis schwankt zwischen Massive Attack-Zitaten und runzeligen Snap!-Beats. Ihre etwas zu aufdringliche Stimme und ihr konservatives Songwriting setzt Produzent Magnus Lidehäll (David Guetta, Katy Perry, Mapei) in gut produzierten Songs um, denen aber das Feuer fehlt.
"Younger" vertraut auf das zuletzt oft verwendete 'Retro Beats treffen auf schwelgerische Geigen'-Schema, das bereits Emeli Sandés "Heaven" und James Arthurs "Get Down" zu Hits formten.
Der reichlich hüftsteife Titelsong verliert sich mit seinem blasswangigen Synthbass und den Ace Of Base-Beats endgültig im Eurodance-Jahrzehnt. Dem Gegenüber stehen "Hard Time" und allen voran das einnehmende "Easy", in denen Sey ihre gesanglichen Möglichkeiten ausnutzt, und die sonst so sterile Produktion ausnahmsweise etwas Staub und Schmutz aufwirbelt.
Spätestens mit dem abschließenden "Burial", das Seinabo Sey ihrem 2013 verstorbenen Vater widmet, offenbart sich "Pretend". Unter der dem Zeitgeist angepassten Oberfläche verbirgt sich keine Simone, sondern vielmehr das Adele-Problem: Viel zu clean, um wirklich zu bewegen, versucht die aufwändige Produktion davon abzulenken, dass das Songwriting nur selten trägt.
1 Kommentar
Hatte sie letztens im TV gesehen. Fands auch eher fad und ihre Stimme mehr anstrengend als überzeugend.