laut.de-Kritik
Amen, Alter!
Review von Alexander EngelenDer Ort hätte besser nicht passen können. Im bitterkalten Januar lud Ex-Maskenmann Sido zu seinem MTV Unplugged ins Märkische Viertel. Dort wo Spiegel, Stern TV und FDP-Politiker schon mal das typische Zuhause der Unterschicht verorten. Dort wo der Werdegang vom superintelligenten Drogenopfer zu Sido Gold seinen Anfang nahm. Dem Sido sein Block.
Und als ob das nicht schon passend genug wäre, versammelten sich einige ausgewählte Gäste im dortigen Fontane-Haus. Benannt nach Theodor Fontane, einem anderen Berliner, der sich einst dem poetischen Realismus verschrieb. Poetischer Realismus im Märkischen Viertel also. Oder, wie es die PR-Maschine vom neuen Sido-Zuhause Universal weitaus besser klingen lässt: Der erst siebte deutsche Künstler und erste richtige deutsche Rapper, dem die MTV Unplugged-Ehre zuteil wird.
Die Kulisse zeigt Plattenbau-Romantik. Die Bühne ist ein Spielplatz in der Mitte des stilisierten Blocks. Zentral im Scheinwerferlicht steht eine Parkbank, auf der sich Sido mit allerlei Hip Hop-Utensilien in der Aldi-Tüte niederlässt. "Ich will, dass des hier so Hip Hop wie möglich ist", sagt der Rapper mehrere Male im Laufe der 90-minütigen Show und bittet alle seine Gäste, auf die Bank zu taggen. Hier offenbart sich die Dialektik des Paul Würdig: Die großen Gesten spiegeln sich in den kleinen.
Hier wird den treuen Hip Hop-Fans mal ein Knochen vorgeworfen, da gibt es die Ersatzbefriedigung für die angereiste Berlin Mitte-Fraktion und dort stellt man sich in den gesamtgesellschaftlichen deutschen "Kultur"-Kanon. Ein Beatboxer mimt Scratch-Geräusche, ein eingeflogener Straßen-Drummer aus New York trommelt den internationalen Großstadt-Beat, und Comedy-Unikat Kurt Krömer singt den bedeutsamen Linie 1-Refrain von "Hey Du!".
Die Mischung aus sympathischen Nettigkeiten und großem Tamtam funktioniert perfekt. Es wird schnell offensichtlich, dass diese Unplugged-Session aus der Feder von Sido selbst und der von Produzent Sven Helbig stammt, der nicht nur Teil der Dresdner Sinfoniker ist, sondern auch für Rammstein, Pet Shop Boys und Snoop Dogg produziert.
"Live Aus'm MV" meistert den MTV Unplugged-Anspruch mit Bravour. Die elektronisch ungeschönte Präsentation eines Künstlerindividuums funktioniert beim hochprofessionellen Sympathieträger Sido perfekt. Das liegt auch an der zurückgeschraubten Instrumentierung. Glockenspiel, Akustik-Gitarren und Streichersätze übernehmen den Großteil des ungestöpselten Sounds.
Trotz einer großen Auswahl an Percussionisten artet die Unplugged-Show nicht in einen überladenen Trommel-Wirbel eines kleinstädtischen Samba-Umzugs aus. Der Groove fehlt dabei freilich nicht, denn - wie bereits erwähnt - die Geschichte soll so Hip Hop wie möglich werden.
Die Unplugged-Session bringt die Künstlerfigur Sido großartig auf den Punkt. Der Kinderchor weicht den Striptease-Tänzerinnen Platz - von "Mama mach die Augen auf" geht es nahtlos zu den "Fuffies Im Club". Auf die emotionale Ode an seinen Sohn "Ein Teil Von Mir" folgt die frech angefunkte Selbstoffenbarung "Strassenjunge". Das perfekt mit Holz Xylophon instrumentalisierte "Mein Block" liefert das Intro für die Show. "Mama Ist Stolz" hält in neu aufgelegter Version in Folge spielerisch das Niveau.
Sidos Spezialkonzert ist ein starkes Gesamtprodukt, keine Ansammlung weniger großer MTV Unplugged-Momente. Dennoch gibt es auch die. Wenn ein ganzer Kinderchor auf Spielplatz-Kulisse etwa den eindringlichen Refrain von "Augen Auf" trällert. Oder Sido gemeinsam mit Stephan Remmler, dem Sänger der NDW-Band Trio, deren Hit "Da Da Da" inszeniert und offenbart, dass diese Gonzo-Hymne ihn nachhaltig prägte.
"Da Da Da (Ich lieb dich nicht du liebst mich nicht)" und der Auftritt des anderen Berliner Originals Kurt Krömer in der Hook von "Hey Du!" gleichen dabei dennoch eher Kleinkunst-Einlagen als glitzernden Episoden der Musikfernsehen-Historie. Für Krömer gibt es demnach zum Abschied noch'n "bisschen Schnaps" und für Remmler ein breites und sichtlich stolzes Grinsen.
Den pathetischen Höhepunkt serviert die dick auf Streichern und Paukenschlägen gebettete Abrechnung "Mein Testament", auf der Sido nicht nur einen vom Publikum umjubelten Seitenhieb an Fler austeilt, sondern schließlich auch mit Gott seinen Frieden schließt - inklusive "Amen, Alter!". Nicht der letzte Beweis der Gottesfürchtigkeit des Sekten-Mitglieds: Als krönenden Abschluss sendet Sido abgekämpft mit Schweiß auf der Stirn ein "Danke" gen Himmel.
Auch das mag man als übertriebene Geste eines zu Erfolg gekommenen Popsternchens deuten. Aus dem Mund des Sympathieträgers Sido, dem die Ehre eines eigenen MTV Unplugged völlig zu Recht zuteil wurde, klingt es aber doch vielmehr nach diesem poetischen Realismus, dem sich einst auch Theodor Fontane verschrieben hatte.
64 Kommentare
was soll das politische statement in der einleitung? manche rezensionisten nehmen sich hier echt zu wichtig. zum album: sido ist vielleicht noch aushaltbar wenn er es bei sprechgesang beläst. seine alten sachen waren noch ganz gut. aber mittlerweile (und bei diesem unglugged am schlimmsten) RUFT er seine texte eher als dass er sie rappt. das ist ne beleidigung für die ohren. singen kann er auch nicht. das ist ja nicht schlimm als rapper aber dann soll er es lassen.
Das Statement ist nicht politisch sondern eine Tatsachenbeschreibung.
Fontane, alter!
Und wann kommt Bushido anplackt?
ja, genau. du siehst alles durch die grüne brille
sodi
Quatsch, ich sehe klar, habe das dritte Auge. Du bist der Zyklop hier.
"Bilder im Kopf" wieder in den Top Ten, "best of" wieder zwei Plätze gestiegen, yo. Gratulation.