laut.de-Kritik

Wenn Mark Forster Friedrich Merz ist, sind Silbermond AKK.

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Im deutschen Radio muss man nehmen, was man kriegt, und wenn das Silbermond ist, kann man sich durchaus freuen. Nicht besonders doll, aber ein bisschen. Gemessen an dem, was das Zielpublikum der Band, also Leute, die halt Radio hören, damit halt Musik läuft, sich sonst so vorsetzen lässt, wirken Silbermond wie Fleetwood Mac in ihren besten Tagen. Gemessen an Fleetwood Mac wirken sie dann leider wieder wie Silbermond. Wenn Mark Forster Friedrich Merz ist, sind Silbermond halt die Annegret: Hätte schlimmer kommen können, irgendwie.

Das war jetzt ein bisschen gemein, man würde wahrscheinlich deutlich lieber Zeit mit Silbermond verbringen als mit Annegret Kramp-Karrenbauer. Höchstwahrscheinlich würde man aber auch mit seinem Sachbearbeiter beim Finanzamt deutlich lieber Zeit verbringen als mit Annegret Kramp-Karrenbauer. Anyway, es ist hervorzuheben, dass es der Gruppe gut tut, nicht mehr die Charade aufzuführen, sie sei so etwas wie eine Rockband. Produktion und Sounddesign verzichten auf Billo-Distortion, der ansonsten im deutschen Pop die Rolle des Zaunpfahls zukommt, so à la: Jetzt kommt die Gitarre, liebe Freunde auf der A2.

Stattdessen ruhen die Songs auf Arrangements, die durchaus wirken, als habe sich damit jemand im Studio Zeit gelassen. Die Akustikgitarre ist selbstverständlich gesetzt, darüber und darunter legen sich auch mal schön anzuhörende Vokalharmonien, mal etwas Klavier, bisschen Streicher. So ungefähr stellt man sich die Kompositionskurse an den sogenannten Popakademien dieses Landes vor. Handwerklich tadellos. Die Harmonien harmonieren. Nett.

Nach "Schritte" und "Was Freiheit Ist" ist man der Unternehmung eigentlich nicht völlig abgeneigt. Am schönsten wäre es gewesen, wenn die Band diese Songs dann nicht noch achtmal wiederholt hätte. So ausgearbeitet die Musik teilweise ist, so erschreckend ist auch die generelle emotionale Substanzlosigkeit. Silbermond verwenden offensichtlich viel kreative Energie darauf, extrem harmlos zu klingen. Bloß nicht übers bundesdeutsche Gefühlsmittelmaß hinausschießen, ist die Devise.

Silbermond lösen nichts in einem aus, was nicht auch die reduzierten Preise auf den vegetarischen Buletten vom Edeka bei einem auslösen. Die mag die Sandra doch so gerne, und mir schmecken sie auch nicht schlecht. Obwohl ich eigentlich lieber die echten hätte. Aber man kann ja nicht alles haben. Das Bitburger in 0,3-Flaschen steht auch schon kühl. Später schauen wir die Heute-Show und lachen ein wenig.

Ein großes, alles einschläferndes Phlegma bestimmt "Schritte". Das ist eine Platte, der man nicht wirklich böse sein kann. Dafür müsste sie schon ein gutes Stück interessanter sein, irgend etwas bieten, woran man sich wenigstens reiben kann, weil es wenigstens hundserbärmlich beschissen ist. Wenn das wenigstens ausgemachte Unsympathen wären, aber eigentlich würde man Stefanie Kloß ziemlich gern als coole Patentante in Lederjacke mieten, die dem eigenen Nachwuchs was über Body Positivity beibringt ("Für Amy"). Ist schon nicht völlig verkehrt, ist aber auch alles andere als richtig.

Was man so leider nicht über die Dichtkunst der Kloß sagen kann. Da hätte man sich vielleicht doch noch einmal unter die Arme greifen lassen müssen, beziehungsweise sollte jemand im Studio anwesend sein, dem auffällt, dass so manch lyrisches Gestümper leider absolut keinen Sinn ergibt: "Sagst du siehst du die Erde / die versunkenen Meere / siehst du die brennenden Wälder / siehst du die pumpenden Städte / die überfrachteten Felder", singt sie den "Silbermond" an, doch der sieht das echt nicht, sorry. Am meisten weh tut am Album noch der lyrische Twist von "Träum Ja Nur (Hippies)". Ist nämlich alles gar nicht so gemeint, weißte. Liebe, Frieden, mal wieder eine echte Bulette, man wird ja wohl noch träumen dürfen. So ambitionslos muss man als Künstlerin erst einmal sein.

Würde die Platte "Haus & Hund & Kleines Glück" heißen und von einer Hamburger Underground-Truppe stammen, könnte man sie als große Ironie verkaufen. Ist sie aber nicht. Die Band spielt ihre Stärken konsequent aus. Derer gibt es jedoch weder besonders viele, noch sind sie besonders stark. Die erfrischende Kürze könnte man noch lobend erwähnen. Ansonsten sind Silbermond der Oliver Welke des deutschen Pop: Im Gegensatz zu einigen Kollegen wünscht man sich nicht, dass ihnen ein Haufen Ziegelsteine auf den Kopf fällt, sobald sie den Mund aufmachen, was sie andererseits aber auch nicht zwingend für ihre Tätigkeit qualifiziert.

Trackliste

  1. 1. Schritte
  2. 2. Was Freiheit Ist
  3. 3. Bestes Leben
  4. 4. Träum Ja Nur (Hippies)
  5. 5. In Meiner Erinnerung
  6. 6. Luftschloss
  7. 7. Für Amy
  8. 8. Hand Aufs Herz
  9. 9. Silbermond
  10. 10. Ein Schöner Schluss

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10 Kommentare mit 13 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Angenehmer Tonträger für die Beschallung aus dem Hintergrund. Die Steffi ist einfach eine tolle Frau.

  • Vor 3 Jahren

    Ich finde es schade, dass so eine tiefgründige Musik mit Texten die wirklich Tiefe haben hier so runtergemacht wird. Jede Musik, der man sich verschließt, empfindet man selbst entweder als "Hintergrundgeplärre" oder als nervend. Diese Musik ist eben so sehr ausgearbeitet und für das Album sehr pur, dass sie einem vielleicht nicht wirklich auffällt, wenn man nicht darauf achtet und darum kommt es dann eher zu ersterem als zum zweiten. Ich muss aber ganz klar sagen, dass die Musik von Silbermond für mich eine der wenigen der im Radio gespielten ist, die ich gerne höre. Ich bin einfach auch nicht der Mainstream Musik Typ. Hier liegt aber wirklich handgemachte Musik vor von unglaublich guten Musikern. Dieses Album ist musikalisch recht "seicht", aber es sind super viele Details versteckt und wer sich einmal auf die Texte einlässt, der kann doch eigentlich nur berührt sein. Selten habe ich so ehrliche Aussagen gehört und das nicht nur in der Musik, sondern auch privat nicht. Dazu sind sie nicht platt, man findet keinen Zeigefinger. Hier ist passiert, was Musik schaffen soll, es wurden Gefühle und Gedanken so in Worte und Klänge verpackt, dass es sehr viele Menschen (wie die Streamingzahlen und Konzertbesucherzahlen zeigen) in ihren guten Momenten noch höher heben kann und sie in schlechten Momenten wieder auf die Beine stellt. Ja, vielleicht kommt so ein Charakter im Radio nicht durch, aber allen die hier so voll Verachtung schreiben, empfehle ich einfach Mal ganz bewusst ein Lied wie "ein schöner Schluss", "in meiner Erinnerung" oder "Hand aufs Herz" anzuhören. Am Besten alleine, damit auch die härteren Typen unter uns Emotionen zulassen können. Wer dann sagt, ihm gefällt einfach der musikalische Mantel nicht, weil er ihm zu seicht ist, der sollte mal nach Live Versionen von Songs wie "Nichts passiert" oder "Keine Angst" schauen. Und wer dann immer noch sagt, er kann damit einfach nichts anfangen, der hat wahrscheinlich einfach (noch) keinen Zugang zu dieser Form ehrlicher Rock-/Pop- Musik gefunden. Da ist von meiner Seite nichts dran zu kritisieren, aber ich finde es zeugt nicht von besonderer Stärke an Dingen zu kritisieren, mit denen man sich selbst einfach nicht auskennt. Das Urteil eines fanatischen Jazz Musikers über ein Metal Album würde die Welt ja auch nicht unbedingt weiterbringen. Viel Kritik, die ich hier gelesen habe bezieht sich aber ja vielleicht auch eher gar nicht auf die Musik und die Band, sondern auf die Gesellschaft die Musik konsumiert ohne sie wichtig zu nehmen. Und bei dieser Kritik bin ich sogar zum Teil bei euch.

    Zum Schluss möchte ich nur noch loswerden, dass ich jedem wünsche den Zugang zu so viel Musik wie möglich zu finden. Das bereichert.

    • Vor 3 Jahren

      Dafür, daß Du Dir an nem Sonntag so viel Mühe gemacht hast, bekommste nen besonders funkelnden Orden. Besser kann man den Silbermondhorcher kaum beschreiben.

    • Vor 3 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 3 Jahren

      Ein unfassbarer Kommentar. Ich hab ihn jetzt wirklich mehrmals gelesen und er ist unglaublich, tatsächlich Award-verdächtig. Das ist, insbesondere in Bezug auf Silbermond, das härteste was ich hier jemals gelesen habe. Respekt.

    • Vor 3 Jahren

      "Jeder Tag, den ich leb' (Schritte)
      Jede Hürde, die ich nehm' (Schritte)
      Auf der Suche nach meiner Mitte
      Erfolge, Fehltritte, Schritte
      Und hoffentlich noch viel mehr, noch so viel vor
      Noch so viel ungeschriebene Lieder im Ohr
      Falls ich dir weh getan hab', verzeih' mir bitte
      Alles Schritte"

      Jo, das ist schon verdammt tiefgründig. :-)

    • Vor 3 Jahren

      "Zum Schluss möchte ich nur noch loswerden, dass ich jedem wünsche den Zugang zu so viel Musik wie möglich zu finden. Das bereichert."

      Absolut! Und gerade deswegen kann man sich 0815 Softpop mit Kindergarten-Texten gerne schenken. Gibt tonnenweise Besseres da draußen.

    • Vor 3 Jahren

      Ach, Schwingi, hörstes nicht wie Spatzen von den Dächern pfeifen, was der OP ist?

    • Vor 3 Jahren

      Das Beispiel ist hervorragend. Vor allem "Auf der Suche nach meiner Mitte". Als wäre die "Mitte" wirklich das, was erstrebenswert ist. Was ist überhaupt die "Mitte"? Alles und Nichts? Perfektion? Ich versteh`s nicht. Bitte, Steffi, helf mir. Deutsch LK zu lange her.

      "Und wer dann immer noch sagt, er kann damit einfach nichts anfangen, der hat wahrscheinlich einfach (noch) keinen Zugang zu dieser Form ehrlicher Rock-/Pop- Musik gefunden."

      Ehrlich gesagt, Ja.

    • Vor 3 Jahren

      Wer gute Pop Musik hören will, greife besser zu Belle and Sebastian, PeterLicht, The New Pornographers, The Shins......

    • Vor 3 Jahren

      Ach, Para. Nach diesen Bands muß man doch suchen, und dafür hab auch ich zwischen meiner Latino-Tanzgruppe, dem Kochen für die Bürgerwehr und dem superstressigen Medienwissenschaftsstudium gar keine Zeit. Ist doch schön, wenn Silbermond überall ist, denn dann kann man die auch so genießen, ohne so viel Zeit und Energie in Musik tun zu müssen.

    • Vor 3 Jahren

      Alle Hände in die Luft für die Musik.

  • Vor 3 Jahren

    'Leichtes Gepäck' war ganz ok. Fluffiger Sound, Texte waren teilweise nicht schlecht bzw. nicht unoriginell.
    Dieses Album hier erweckt allerdings den Anschein, dass die 5 Jahre VÖ-Pause schnell beendet werden mussten bzw. sollten.
    An 'Schritte' und 'Ich träum ja nur (Hippies)' merkt man, wie ich finde, dass der Text recht schnell fertig war (wen wundert's) aber die Melodien überhaupt nicht rund geschliffen bzw. überhaupt nicht vorhanden sind. Es ist irgendwie halb-garer Sprechgesang, um die Lücke in der Diskographie geringer zu halten.
    'Ich träum ja nur (Hippies)' finde ich auch vom Statement her total schwach und unmutig (um nicht zu sagen feige), da erst eine 'Utopie' aufgebaut wird, um dann hinterher nicht kitschig zu wirken, das ganze wieder einreißen zu lassen ('man, entspann dich'). Find ich ehrlich gesagt total beknackt und es funktioniert auch nicht. Der Kitsch ist ja trotzdem vorhanden und Silbermond wollen dann doch zu den 'coolen' gehören, die Utopien oder Wünsche für die Zukunft 'unsachlich' finden. Vielleicht wollten sie auch Nachfragen vermeiden, wie das Ganze denn dann aussehen soll. Man weiß es nicht - schade.