laut.de-Kritik
Don't call it Retro!
Review von Manuel BergerDie Renaissance der goldenen Rock'n'Roll-Zeiten findet ja nicht erst seit gestern statt. Retro ist in aller Munde. Aber ich sage euch gleich: Auch wenn Simeon Soul Charger auf ihrem dritten Longplayer einen Song von 1956 covern – Retro ist das ganz sicher nicht!
So frisch, so vielseitig, so abwechslungsreich klängen diese sogenannten Retro-Bands gerne. Blues Pills, Rival Sons und wie sie alle heißen mögen beißen sich an diesen vier vor einigen Jahren von Akron, Ohio ins tiefste Oberbayern umgesiedelten Schlaghosenfans die Zähne aus.
Trotz klarer musikgeschichtlicher Rückbezüge ist die Musik Simeon Soul Chargers nicht altmodisch sondern zukunftsweisend. Einen vergleichbaren Mix aus traditionell und modern gibt es derzeit einfach nicht. Und "A Trick Of Light" beweist: selbst in ihrer völlig eigenständigen Nische haben die Amis noch lange nicht alles gesagt.
Obwohl immer noch eindeutig Simeon Soul Charger gestalten sich Vergleiche mit den beiden Vorgängeralben schwierig. Nahezu alle dortigen Elemente tauchen zwar auf "A Trick Of Light" auf und nahezu alle Elemente von "A Trick Of Light" finden sich sowohl in "Meet Me In The Afterlife" wie auch "Harmony Square" wieder. Dennoch entpuppen sich die Resultate als beinahe grundverschieden.
Wies das 2011 erschienene "Meet Me In The Afterlife" noch rifforientierte Schwere und weedparadiesische Smokerjams auf, dominierte "Harmony Square" verspielte Multiinstrumentalität und komplexe, ineinander verschlungene, ausgetüftelte Konzeptkomposition. "A Trick Of Light" nimmt nun gewissermaßen die Spontaneität und Energie von Ersterem und verknüpft sie mit der beschwingten Vagabundentanzatmo des Nachfolgers.
Das Ergebnis sind Songs, die häufig recht schnell auf den Punkt kommen, statt in Improvisationsorgien zu münden, sowie teilweise geradezu unverschämt einfach gebaut sind. Merkt ihr was? Die Gleichung widerspricht sich im Grunde. Tut sie. Und doch wieder nicht. Nichts ist, wie es scheint. Das versuchen uns Aaron Brooks, Rick Phillips, Spider Monkey und Joe Kidd ja schon durch den Albumtitel mitzuteilen.
Der schleicht sich logischerweise in den Text des Eröffnungsreigens "The Prince Of Wands (A Trick Of Light)" ein. Verträumt webt Gitarrist Rick eine Melodie nach der anderen, Aarons schmeichelnde Vocallines werden sich ein paar Durchläufe später unwiderruflich / unweigerlich in den Gehörgängen festsetzen.
Diese Entwicklung braucht "Heavy" gar nicht erst zu machen. Einmal gehört, brennt sich der wogende Midtempo-Groove in die Hirnrinde. Dabei steckt eigentlich keine besondere Raffinesse dahinter. Ein einfacher Schunkelbeat, ein paar Tonleitern auf der Orgel, dazu freche Ohrwurmhooks. Aber irgendetwas hat diese Band an sich, das selbst vermeintliche Standardstücke zu unwiderstehlichen Überhits mutieren lässt.
Fast genauso lässig schlendert "Evening Drag" daher. Erneut ist der Refrain so simpel wie wirkungsvoll. Eine aufsteigende Notenfolge, die zum Schluss in einen Kanon mündet. Die während der Aufnahme-Sessions anwesenden Fans und Freunde runden den Track – begleitet von Klavier und Schellenkranz mit Klatschen, Jubelrufen und Applaus ab.
Nach dem Candlelight-Dinner "How Do You Peel", das gen Ende in ein schickes Wah-Wah-Solo sprudelt, folgt mit "Where Do You Hide" ein Instrumental. Getragene Harmonien beschließen die erste, ruhigere Hälfte von "A Trick Of Light".
Die eben noch verhalten agierende Rhythmusfraktion spielt sich nun nach vorne. "Workers Hymn" suhlt sich in schizophrenem Puppenspielerspuk. Dabei feiert das Fans aus "The Swallowing Mouth" wohlbekannte irre Gekicher von Drummer Joe Kidd sein Revival. Ebenjener übernimmt in "Workers Hymn" zusätzlich den Lead-Gesang. Gleichzeitig prägt er den Charakter des Songs entscheidend durch seine herausragende Percussion- und Schlagzeugarbeit. Ein Phänomen, das sich durch das gesamte Album zieht und übrigens auch live einen besonderen Hingucker darstellt.
Hochklasse-Taktgeber Nummer zwei, Bassist Spider Monkey, läutet dann "The Illusionist" ein, das nächste Instrumental. Dieses ist zwar vielleicht minimal zu lang geraten, offenbart dafür leichte Parallelen zu Jack White. Es schließt sich der insgesamt wohl typischste Soul Charger-Song des Albums an: "Jane (A Bird In Flight)". Kokette Sexiness meets Hypnosependel, Tempowechsel und Dynamik-Auf-und-Ab inklusive. Zu guter Letzt verzahnen sich auch hier die unterschiedlichen Melodieführungen.
Die Stunde der Wahrheit: legendäre Songs zu covern, kann recht schnell nach hinten losgehen. Da Simeon Soul Charger ihre Version von "I Put A Spell On You" bereits als Liveklassiker etabliert haben, brauchen sie sich allerdings keine Sorgen machen. Und den Vergleich zum Screamin' Jay Hawkins-Original keineswegs scheuen. Dabei leugnet die Band weder die Herkunft der Nummer noch versäumt sie, ihr unverkennbar den eigenen Stempel aufzudrücken.
So entsteht eine sechseinhalbminütiger Black Sabbath-Hippie-Jam. Der sonst stimmlich eher zwischen Ian Anderson und Daron Malakian pendelnde Aaron Brooks lässt die Rockröhre raushängen und schafft es tatsächlich, dem unsterblichen Screamin' Jay-Organ Konkurrenz zu machen. Rick darf selbstredend zum ausufernden Solo ansetzen, Spider und Joe sind einmal mehr federführend in Sachen dynamischer Gestaltung. Wer ein besseres Cover findet, meldet sich bitte bei mir. Ich rechne mit wenigen Zusendungen.
Bedeutend leichter trägt "Floating Castles" ins fulminante Ende. Noch mehr Tanz gefällig? Here you go! Gemütliches Wiegen im Takt alterniert mit frenetischen Hüpfattacken. Mitsingkompatible Crescendovocals setzen dem Ganzen die Krone auf. Eine triumphale Zusammenfassung des bisherigen Schaffens sowie der beständigen Weiterentwicklung Simeon Soul Chargers.
"A Trick Of Light" vereinigt Jethro Tull, Black Sabbath, Jimi Hendrix, System Of A Down, Queen, Babyshambles, Led Zeppelin, The Beatles, Pink Floyd und sogar Elvis zu einem großen musikalischen Potpourri. Dessen Hauptzutat ist unzweifelhaft identifizierbar: eine überschwappende Kelle Simeon Soul Charger.
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