laut.de-Kritik

Ein Popstar findet seine Stimme.

Review von

"I want to change it up, maybe one day do hardcore metal music.", sagte Slayyyter nach dem Release ihres Debüt-Mixtapes, das sie 2019 als Hyperpop-Update vergangener Popstars im hypersexualisierten Gewand präsentierte. Auch wenn man auf "Troubled Paradise" Blastbeats und Thrash-Riffs vergebens sucht, stellt ihr Album-Debüt dennoch eine nicht zu übersehende Progression dar, die deutlich macht, dass sie der speziellen Nische, die sie mit "Slayyyter" besetzte, schon wieder entwachsen ist.

Das fängt schon mit "Self Destruct" an. Einer Single, die der einleitenden Behauptung noch am ehesten gerecht wird und die außer den derben Lyrics kaum mehr etwas mit den zuckersüßen Bubblegum-Pop gemein hat, mit dem sich Slayyyter einen Namen machte. Hämmernder Bass, verzerrte Synth-Lines, die wie tollwütige Hummeln über die Hook herfallen sowie ein Wechselspiel aus sinnlichem Gesäusel und hitziger Kampfansage machen aus dem Opener einen musikalischen Rammbock, der im Vollsprint die Tür ins titelgebende Paradies eintritt.

In diesem kunterbunten Paradies findet man ein wildes Potpourri aus fast jedem erdenklichen Stil populärer Musik der letzten beiden Dekaden, die Slayyyter alle durch den Hyperpop-Filter drückt und ins aktuelle Jahrzehnt befördert. "Venom" knüpft an die Energie des Openers an, bettet sie jedoch in eine hyperaktive Hip Hop-Produktion ein, komplettiert mit einem fast schon dämonischen Instrumental-Breakdown. "Serial Killer" verzerrt die Synths zu E-Gitarren und verführt, ebenso wie "Cowboys", den Altherren-Alt-Rock in den Gay-Club , "Villain" verpasst dem Synth-Pop der frühen 2000er einen neuen Anstrich. "Butterflies..." und "Clouds" rühren bewährten R'n'B-Harmonien scheppernde House-Elemente unter.

Das absolute Kernstück der LP ist jedoch der Titeltrack. Es ist der Moment in dem Slayyyter ihrem exzentrischen, verruchten Image für einen Moment entwächst und fernab von gekonntem 2000er Popstar-Worship ihre eigene Stimme findet. "Troubled Paradise" traut sich weniger als die meisten Songs, perfektioniert dafür aber die Mechanismen eines großartigen Pop-Tracks. Die Bassline marschiert so unnachgiebig nach vorne, dass man förmlich von ihr überrollt wird. Die Melodie der Bridge macht abhängiger als Crack und Slayyyter selbst gibt vielleicht die beste Vocal-Performance ihrer Karriere zum Besten.

Selbst auf der textlichen Ebene, die in Slayyyters Musik schon immer nur zweite, wenn nicht sogar dritte Geige spielt, stagniert die Amerikanerin nicht und öffnet neue Türen. Neben konventionellen Beziehungs-Dramen, den gewohnten Fem-Dom Motiven und hypersexualisierten Hoe-Anthems (Bestes Beispiel: "Throatzillaaa"), finden sich hier auch verstärkt ehrliche Momente der Introspektion und Verletzlichkeit. "Clouds" mag nicht so klingen, zeichnet aber das ungeschönte Bild einer Depression. "I wish they knew what goes on in my head. Sometimes I feel like I’d be better off dead. I don't wanna think. Pour another drink, so I don't have to feel anything", croont Slayyyter da, während im Hintergrund die Drums scheppern. Der "Trouble" im Paradies, er schlummert immer unter der Oberfläche.

Erst mit dem abschließenden "Letters" vertreibt Slayyyter die Wolken endgültig und legt prompt den nächsten musikalischen U-Turn hin. Erstmals in ihrer Karriere verzichtet sie fast vollständig auf die Hilfe von anstachelnder und lebendiger Instrumentation, holt stattdessen die Klampfe raus und säuselt ein genuin schönes Liebesbekenntnis. "Letters" ist vielleicht die größte Errungenschaft von "Troubled Paradise", da es eine Seite von Catherine Grace Garner offenbart, die die kreative Tür für folgende Projekte nur noch weiter aufstößt, obwohl sie, gemessen an ihrer bisherigen Diskographie, gar nicht funktionieren sollte.

Slayyyter führt eine wirklich breite Palette an nicht unbedingt komplementären Sounds zusammen, ohne den roten Faden zu verlieren. "Troubled Paradise" reiht, viel mehr noch als "Slayyyter", nicht nur Hit an Hit, es ist darüber hinaus auch ein unfassbar rundes Album, mit dem die 24-jährige Sängerin endlich ihre offensichtlichen Einflüsse hinter sich lässt und ihren eigenen Sound kreiert. Einen Sound, der inmitten der aktuell ohnehin aufregenden Pop-Szene fast unendlich viele Möglichkeiten zur Weiterentwicklung mit sich bringt. Eine spannender als die andere. Wer weiß, vielleicht bekommen wir in ferner Zukunft wirklich noch das versprochene Metal-Album zu hören.

Trackliste

  1. 1. Self Destruct (feat. Wuki)
  2. 2. Venom
  3. 3. Throatzillaaa
  4. 4. Dog House
  5. 5. Butterflies...
  6. 6. Troubled Paradise
  7. 7. Clouds
  8. 8. Cowboys
  9. 9. Serial Killer
  10. 10. Over This!
  11. 11. Villain
  12. 12. Letters

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