laut.de-Kritik

Die Deutschpunk-Ikonen mit neuem Sänger.

Review von

Wie jetzt, ein neues Slime-Album? Hatte Urgestein und Band-Aushängeschild Dirk "Diggen" Jora zu Beginn der Pandemie nicht das Slime-Ende ausgerufen? Nun, richtig loslassen konnte man dann also doch nicht. Während der gute Dirk alle geplanten Band-Aktivitäten auf Eis legte, wollte und konnte sich der Rest der Band wohl noch nicht mit dem Schlussstrich anfreunden.

Immer noch hungrig und voller Energie formten Elf, Nici, Alex und Cristian zusammen mit dem einstigen Straßenmusiker Tex Brasket ein neues Slime-Gerüst. Der neue Mann am Mikrofon ist nicht nur ein Puzzleteil im großen Ganzen. Mit seinem ausdrucksstarken Organ und den zumeist sehr persönlichen Texten drückt er einer Band, die zuvor vierzig Jahre lang gemeinsam in eine Richtung marschierte, einen neuen Stempel auf. Diese Tatsache dürfte sicherlich vielen eingefleischten Fans der ersten Stunde etwas aufstoßen. Wer hingegen frei von Zwängen, interessiert und neugierig vor den heimischen Boxen Platz nimmt, der freut sich über ein Album, das zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt.

Zum einen scheppern dem Hörer die Grundzutaten einer jeden amtlichen Deutschpunk-Produktion um die Ohren. Räudige Powerchords vereinigen sich mit polterndem Getrommel und bissigen Vocals. Auf der anderen Seite bringt der Neue im Kollektiv aber auch stadiontaugliche Deutschrock-Vibes mit an den Tisch. Da fühlt man sich dann manchmal, satte und eingängige Refrains lauschend, fast schon an die Broilers erinnert.

Inhaltlich bekommt man alles geboten, was das auf persönlichen Tiefgang stehende Deutschpunk-Herz begehrt. Mal setzt es gesellschaftskritische Nadelstiche, mal kommt Tex mit persönlichen Überlebensgeschichten aus dem Straßenmilieu um die Ecke. Politik und Bordstein passen wunderbar zusammen – wen wundert's.

Nach dem Opener Opener "Komm Schon Klar" ist eigentlich schon fast alles erzählt. Ein sattes Punkrock-Brett mit Gröhl-Refrain und immer wieder aufflackernden WahWah-Highlights: Dieses Resümee zieht man oft, vielleicht ein bisschen zu oft. Richtig große Überraschungen gibt es keine. Straßenpunk mit kerniger Attitüde.

Ein paar hymnische Einschübe ("Heute Nicht", "Outlaw"), richtig schnelles Geprügel ("Bester Freund"), Rotzrock im Akustikgewand, der Get Dead-Fans aufhorchen lässt ("Sein Wie Die"): Slime rocken und rotzen so lange bis auch im letzten Hinterhofkeller der Schweiß von der Decke tropft. Klammert man die Geschichte der Band aus, klatscht man als Punkrock-Fan nach einer Stunde Spielzeit und 16 (!) mehr oder weniger krachenden Songs anerkennend in die Hände.

Trackliste

  1. 1. Komm Schon Klar
  2. 2. Heute Nicht
  3. 3. Nix Von Punkrock
  4. 4. Safari
  5. 5. Bester Freund
  6. 6. Taschenlampe
  7. 7. Mea Culpa
  8. 8. Outlaw
  9. 9. Sein Wie Die
  10. 10. Weil Fickt Euch Alle
  11. 11. Weggefegt
  12. 12. Wut Im Bauch
  13. 13. Auf Die Jagd
  14. 14. Lieben Müssen
  15. 15. Scheiß Beerdigung
  16. 16. Ebbe Und Flut Zwei

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LAUT.DE-PORTRÄT Slime

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8 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

  • Vor einem Jahr

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  • Vor einem Jahr

    Slime?!
    Neuer Sänger? Kann das noch Slime sein? Welche Berechtigung haben die übrigen Slime-Mitglieder den Namen weiter zu tragen. Ist das nur Marketing oder ist Slime eben mehr als Dicken bzw. die Stammformation? Die Bandmitglieder wechselten ja vorher auch schon, nur Elf und Dicken waren (fast die ganze Zeit) dabei. Klar ist es etwas anderes wenn der Schlagzeuger wechselt, als wenn sich die Stimme ändert.
    Diese Fragen sind natürlich der Kern der Auseinandersetzung mit dieser Platte und ggf. der Zukunft der Band.
    Die Kritik, dass es Etikettenschwindel sei oder nur Rock und kein Punk gespielt wird, halte ich für Quatsch (Etikette tötet ;o). Aber irgendwas ist anders, klingt anders und fühlt sich auch irgendwie anders an.
    Nach dem min.50x Durchhören kann ich dieses „anders“ auch ganz gut beschreiben (denke ich): Slime hat immer unpersönlich, für uns alle geschrieben. „Wo man ist, es ist zu kalt“, „legal, illegal scheißegal“, „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, „Wir leben in einem Alptraum, der Gewinner wird der Selbstmord sein“, „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ usw. „Wir“ gegen „die“. Es wurde nie aus der Ich-Sicht gesungen. Niemals hat Dirk blicken lassen, wer er selber ist (vielleicht weil die Texte eben auch nicht von ihm waren). Ausnahme bildet vielleicht „ich war dabei“, aber das lässt uns nun auch nicht in seine Seele gucken und genau das ist der Hauptunterschied vom „neuen“ zum „alten“ Slime.
    Nun haben wir einen Sänger, der SEINE Texte schreibt, der seine Geschichte erzählt, der erzählt wie es ihm geht, wie er sich fühlt – natürlich alles mit links-anarchistischer Attitüde. Der Vorteil jetzt, man kann die (meisten) Lieder auf sich selbst beziehen, man sieht sich im Spiegel in einer kranken Welt. Wenn der das darin schafft, dann schaff ich das auch. Gut, er hat auf der Straße gelebt, ich nicht, aber ankotzen kann mich die Ignoranz der Vorbeigehenden genauso. Verzweifeln an der Salonfähigkeit von rechtem Gedankengut, tu ich auch. Ja er ist zurecht wütend auf die arrogante Gesellschaft, sauer auf die leer stehenden Häuser, während Menschen draußen erfrieren, auch ich möchte mich da gerne verpissen, so dass mich keiner mehr findet. All das glaubt man Tex Brasket, glaubt es „Slimes Neuem“ kann es nachfühlen und genau deshalb ist die Platte so gut, so authentisch, so ehrlich, man glaubt ihm, weil er es erlebt hat und aus seiner Sicht und Erfahrung erzählt.
    Ist das noch Slime wie früher? Ganz ehrlich? Eigentlich nicht. Slime war immer mehr das Plakat, auf dem die Parole steht, statt eines intimen, gesellschaftskritischen Romans eines Erzählers.
    Aber: Beides soll den Hörer aufrütteln und zum Widerstand gegen Ungerechtigkeiten und Ausbeutung aufrufen! Beide Wege können das theoretisch auch – aber eben auf ganz unterschiedlichen Wegen.
    Ist das noch Slime? Ich weiß es nicht. Es ist sicher anders als das Altbekannte.
    Ist das gut? Auf alle Fälle – so gut wurde auf noch keiner Slime-Platte gesungen und getextet. Die musikalische Reife, die Message alles passt und ist nach wie vor politischer Punk-Rock.
    Ich find’s richtig klasse und hoffe die hauen noch ein paar Platten dieser Qualität raus!