laut.de-Biographie
Spillsbury
Das hätte man Hamburg im Jahr 2002 kaum noch zugetraut. Nach rauen Jahren der tocotronischen Nachfolgesuche und allmählicher Verwaschlappung der einst brausenden Musikszene am Hafen kommen hier zwei Einheimische an und rollen einfach locker über alles hinweg. Und das, obwohl sie vorher nicht einmal charmant nachfragen.
Zoe Meißner und Tobias Asche machen alles nach, alles neu und alles richtig. Sie sind die wieder aufkommende Youth-Power all jener, die früher mit Nirvana-Badge auf dem Army-Rucksack in der Schule rumliefen und lieber von Rock'n'Roll als von Fußball oder Kinderkriegen träumten. Geht man zwanzig Jahre zurück, wäre das die damalige Annette Humpe im Nena-Girl-Power-Kostüm gewesen. Mit Aggression, geballtem Selbstbewusstsein und einem dicken "1,2,3,Go!" kombinieren sie Kindercasio-Piepsen und Nachvorne-Geh-Punk, als hätten sie Schweißbänder an. Spillsbury tragen aber die übliche Kleidung derer, die aus dem Trainingsjackenalter rausgewachsen sind. Dafür könnte es kein passenderes Label als das hanseatische und geschmacksichere L'Age D'Or geben. "Alles was wir tun und lassen geht euch überhaupt nichts an." Genau. Deshalb der leise Riot der Herzlichkeit. Hier und jetzt, bitte!
Im Juni 2002 erscheint eine erste 4-Track-12" (wird im November als Maxi-CD mit zwei Bonus-Songs wiederveröffentlicht), die den langsam, aber sicher ins Weicheier-Lager abdriftenden 80-er-Retro-Vibe mit einem Lufthauch von der Bühne bläst und alles wegknallt, was sich auch nur annähernd in dem Weg stellt. Mit unglaublich guten Texten, die im Endeffekt in einem großen und geschrienen "Fuck You!" inklusive umgreifenden Symphathie-Punkten enden. Dieses Duo trifft immer haargenau den Knackpunkt, der mal wieder angesprochen werden wollte.
Spillsbury bedeutet so viel wie Versagen oder Fehlschlag. Es geht aber eigentlich nur um Unzufriedenheit mit den anderen und ganz viel mit sich selbst. "Mit 180 Richtung Weiß-Noch-Nicht. Lass uns einfach gehen!" Und schon dabei. Spillsbury gaukeln mit ihrem liebenswerten - und von der ersten bis zur letzten Sekunde konstant durchgehenden - Commodore-Bass eine warme Niedlichkeit und Vertrautheit vor. In Wirklichkeit singen sie aber immer nur exakt über einen selbst.
Nach der Team-Abspaltung von der fünfköpfigen Punkband One Thirty, die sich mit Melody-Core samt englischem Frauengesang vor allem an Bambix anlehnten, bannen das Mädchen und der sechs Jahre ältere Junge im Wohnzimmer-Studio ab April 2001 auf Band, was Formel Eins damals gefehlt hat, um heute nicht nur noch ironisch-cool zu sein. Das ist echt. Echt auf dieser über dem Boden schwebenden Poser-Art der Bands aus der Sampler-Werbung. Echt, wie Punkrock es heute zu oft nicht mehr zu sein vermag. So "mothafucking real", dass es sich nur mit CD-Player, Kniekehlenrocker-Bassisten und durchdrehender Abiturientin auf der Bühne selbst übertreffen kann. Der Zusammenschluss, der kommen musste, um wieder das Gute in der Nachmache zu erkennen.
Das Debüt "Raus" erscheint im Jahre 2002 und fegt ohne jegliche Variation, dafür aber mit einer unerhörten Menge an Power über die Musiklandschaft weg. Neben den seichten Wir Sind Helden (mit denen Sie es immerhin zusammen auf das Cover der Intro schaffen) ist für Rock'n'Roll kein Platz, und Spillsbury starten längst nicht so durch, wie viele das gehofft hätten.
Nach der tollen "Was Wir Machen"-12" mit Mixen u.a. von Kid Alex wird es erst mal sehr ruhig um die Band. Ende 2005 veröffentlicht das Duo dann seine zweite Platte mit dem schlichten Namen "2" und zeigt, dass es auch noch was anderes kann als volle Pulle. Vielseitiger, als manch einer es erwartet hatte, wird der Bass runtergefahren und der Pop-Appeal schießt in die Höhe.
Während die Kritiker diesen Richtungswechsel noch mockieren, sind die Massen schon längst beim nächsten Hype. Die Platte floppt folglich, und Spillsbury brauchen geschlagene drei Jahre, um sich von diesem Schock zu erholen. Auch vom alten Umfeld ist nach der Pleite von L'age D'or nicht mehr viel übrig. Aufgeben ist den beiden Radau-Kids aber fremd.
Über das neue Hamburger Label Raboisen Records erscheint im September 2008 "Auf zum Atem", benannt nach einem Simpsons-Zitat. Musikalisch hat sich nicht allzuviel getan: Spillsbury bleiben sich wohl auch in Zukunft sehr treu.
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