laut.de-Kritik
Totalabriss, Skills, Torture Porn und Hanybal-Feature.
Review von Dominik LippeDie Diskrepanz könnte kaum größer sein. Im Rahmen von Interviews wirkt Sylabil Spill tiefenentspannt und ausgeglichen. Ein sympathisch reflektierter Zeitgenosse. Doch wenn er zum Mikrofon greift, lässt er seinen persönlichen Mr. Hyde von der Leine, so dass sich die aufgestaute Aggressivität hemmungslos Bahn bricht: "Mein Schraubenzieher datet deine Niere. Du kommst auf zwei Beinen, gehst auf allen vieren!"
Sylabil Spill geht dabei mit einer bemerkenswerten Energie ans Werk geht. Davon sollte sich der eine oder andere monoton vor sich hin dümpelnde Deutschrapper eine Scheibe abschneiden. Spills Kraftfeld erinnert zuweilen an Onyx. Und wie die Songs der Hardcore-Rap-Gruppe ist auch "Der letzte weiße König" über weite Strecken extrem livetauglich. Insbesondere die energetischen Hooks von "Allein Sein" und "Graue Tonne" bergen Mitgrölpotential und laden zum totalen Abriss ein.
Spills neue Labelheimat Kopfticker Records wurde von Xatar für Künstler gegründet, die gefördert werden sollten, sich aber nicht bei Alles oder Nix einfügen lassen. Derart gewaltig ist die musikalische Distanz zum Erstlabel des Bonners aber gar nicht. "Wenn Ein Schuss Fällt" hätte mit seinem 90er-Jahre-Beat problemlos auf dem neuen SSIO-Album Platz gefunden. Und wenn Schwesta Ewa nicht gerade mit der Justiz über Kreuz läge, könnte sie wohl "Jetzt Weißt Du" mit einem Part veredeln.
Die Produktionen stehen dem abgedrehten Vortrag in nichts nach. Dynamische Beats, die mit Grime-Elementen ("Allein Sein") oder elektronischen Sounds alter Computerspiele ("Mit Mir") angereichert sind, verzichten auf jede Zeitgeist-Anbiederung.
Variabel passt Spill seinen Vortrag den Instrumentals an. Mühelos variiert er seinen Flow ("Allein Sein", "Kein Künstler") oder streut spielerisch ein paar Doubletimes ein ("Auf Modus"). Mit "Ich Kann Alles" liefert Sylabil Spill eine wahre Machtdemonstration ab. Er fliegt darauf nicht nur mit Höchstgeschwindigkeit über den Beat hinweg, sondern ähnelt auch noch frappierend Busta Rhymes. Auf diesem technischen Niveau können tatsächlich nur die wenigsten mitspielen. Kleiner Wermutstropfen: Insbesondere in den Doubletime-Passagen sind die Texte arg unverständlich.
Allerdings käme dem Hörer ein deutlicherer Vortrag nicht unbedingt zugute. In seinen Texten rückt Sylabil Spill nämlich selten von grobschlächtigen Gewaltdarstellungen ab, die gelegentlich auch die Grenze zum Torture Porn passieren: "Ich ficke deine Oma, benutze dein Blut als Gleitmittel." Auf Albumlänge ermüdet diese rabiate Form des Battle-Rap durchaus. Auch gelungene Punchlines sind leider rar gesät: "Wenn ich will, treffe ich dich aus jedem Winkel wie die Mona Lisa."
Um inhaltlich doch noch etwas Struktur hereinzubringen, bedarf es eines Auftritts von Hanybal. Der erweist sich spätestens seit "Haramstufe Rot" als einer der textsichersten Vertreter deutschen Street-Raps. Auf "Stein" schildert Hany den Ein- und Aufstieg in eine Drogenkarriere, während Spill anschließend den kalten Entzug eindrucksvoll veranschaulicht: "Du hockst nur da und bist ganz allein / Kreidebleich, kalter Schweiß bedeckt deine Haut / die ständige Schreierei helfen dir auch nicht / Du kommst nicht raus / Was du brauchst, ist der weiße Staub / der dich innerlich auffrisst." Der Kontrast der hohen Stimme des Frankfurters zu Spills dröhnendem Organ erledigt den Rest.
Mit dem abschließenden "Jetzt Weißt Du" bricht Sylabil die eigene Kunstfigur auf. Über einen smoothen G-Funk-inspirierten Beat reflektiert er ohne falsche Glorifizierung das Unterschichten-Dasein: "Ich komme aus einer Welt voller Schauspieler, Abzieher, skrupellose Knastkrieger / Teil' mir meine Luft mit potentiellen Selbstmördern, Dreckssöldner / trotzdem bin ich ein Weltbürger." Zur Abrundung des Oldschool-Bildes setzt sich die Hookline aus Samples aus "How many mics" von Fugees, "Juicy" von Notorious B.I.G., "To the listeners" von Eric B & Rakim sowie "Gunz 'N Onez" von Heltah Skeltah und Method Man zusammen.
Produktion und Thematik von "Jetzt Weißt Du" entsprechend trägt Spill seinen Real Talk mit entspannter Stimme vor. Auf diese Weise kreiert der Bonner eine Nähe, die die brachialeren Stücke des Albums nicht zulassen. Es wäre wünschenswert, wenn er den damit aufgezeigten Weg weitergehen und das Spotlight auf Dr. Jekyll richten würde. In diesem Fall würde sich auch die Kluft zwischen Kunstfigur und öffentlichem Auftritt verkleinern.
8 Kommentare mit 11 Antworten
Das sind doch kranke Texte.
Box iz da, 4 Punkte mit Potenzial fuer mehr, fraglos staerker als das Debüt, 'S + Z' muss ich immer noch hoeren.
Die Sache ist, wie lange Kopfticker wohl noch existieren wird, wenn sich da nicht irgendwann mal fuer Xatar was auszahlt. Der weiss natuerlich, dass keiner dieser Typen zum naechsten Bushido wird (jetzt rein auf Verkaeufe bezogen, sollte klar sein), aber immer nur reinstecken will man ja nur bei Weibers. Eno habe ich nicht gehoert. Platz 76 ist insofern schon schwer enttaeuschend, um nochmal auf das Gespraech mit Sodhahn zurueckzukommen. Aber es zeigt nur wieder, dass schwarze Kuenstler aus Prinzip nicht supportet werden.
Innos Meinung wuerde mich interessieren.
Hast mal wieder Mail, Du Hallodri!
Ich habe sicher aetzend viele mails ueber all meine Postfaecher, aber seit einem Monat kein Mobiltelefon und weiss die Passwoerter nicht mehr. Ich kann nicht genau sagen, wann das Ding zurueckkommt.
Waah, dann komm ma im Chat ran die Tage. Ist ja schlimm mit Dir! Alles Gute!
@Baude: Diesmal kann ich dich beruhigen, das Teil läuft seit Release praktisch ununterbrochen, bisher wohl mein persönliches Highlight dieses Jahr. Ich habe mich schon immer gefragt, wie Spill sich wohl auf einem abwechslungsreicheren Soundteppich schlagen würde als das bei Entourage der Fall war. Das Experiment ist auf jeden Fall geglückt, sein bestes Album bis dato.
Platz 14!
Ich hätte Geld auf ne 3/5 bei laut.de gesetzt.
technisch top, definitiv. mein persönlicher fav bleibt der track mit hany, alle anderen sind mir zu langweilig. findet noch jemand den mix so beschissen? die stimme geht ja teilweise völlig unter.
Ist das Album wirklich die volle Ladung kompromisslose Energie und Gewalt? Steine und Zwiebeln fand ich klasse, weil es einfach dermaßen viel Power hatte. Leider war ich da nicht auf 'nem Konzert, das stell ich mir Live richtig klasse vor.
Ich hatte jetzt aber befürchtet, dass das Album über Xatar dann doch etwas eingedämpft und massentauglicher wird. Wie sieht das Urteil denn im Vergleich zu den anderen Werken aus?
Sylabil läuft bei mir leider in einer ähnlichen Kategorie wie Voodoo.
Beide großes Potential inklusive krasser Ausstrahlung/Präsenz, aber im Endeffekt nie auf Albumlänge abgeliefert (imho) und fallen so langfristig unter den Tisch.
Schwarze Rapper in Deutschland sind fast schon wie cracker vor Em.
PS: Takti zählt natürlich keinstens.