laut.de-Kritik
Der Feminismus regiert den R'n'B.
Review von Stefan Johannesberg"TLC haben so ziemlich jede weibliche Gruppe beeinflusst, die es gibt", sagt Beyoncé, Ex-Mitglied einer auch nicht ganz miesen R'n'B-Truppe, die 1999 als Vorband für TLC deren Konzerte eröffneten. Gründe bleibt der Superstar im Interview mit dem Rolling Stone-Magazin schuldig, doch alleine dieser 23-fache Millionenseller "CrazySexyCool" – die erste Diamant-Platte einer Frauenband - untermauert 1994 Beyoncés These. Blind aufeinander abgestimmt und stets selbstbewusst zwischen Hood und Hollywood wechselnd setzen T-Boz, Chilli und Rapperin Lisa "Left Eye" Lopes mit ihrem zweiten Album eine – im Gegensatz zu AfD-Anhängern vollkommen berechtigte - Armee von Ausrufezeichen hinter Ansagen zu sexueller Selbstbestimmung und sozialen Missständen.
Wichtigste Voraussetzung: Sie haben die Beats wie Charlotte Caffey. Wenn man Jay-Z und seinem Team ein perfektes Gehör für den perfekten Sound nachsagt, stehen TLC mit ihren Starproduzenten Jermaine Dupri, Dallas Austin, Babyface, Puffy und Organized Noise in Jiggas Nähe in der Booth. Alleine das trotz des superben Outkast-Outputs für immer unterschätze Organized Noise-Team liefert mit "Sumthin' Wicked This Way Comes" und dem Monstertune "Waterfalls" zwei der besten Boom Bap-Soulproduktionen aller Zeiten ab.
Die drei Freunde Rico Wade, Ray Murray und Sleepy Brown gründen Organized Noise 1992 in einem Keller (Dungeon) in Atlanta und später mit den Nachbarn von Outkast und Goodie Mob die Dungeon Family. Rico kümmert sich ums Business, Sleepy schüttelt die Harmonien aus dem Hoodie und Ray zaubert im Studio. Dank der Bündelung verschiedener Stärken balancieren ihre Beats stets zwischen treibenden, rauen Drumpatterns, vielschichtiger, funky-rockiger Instrumentalisierung und eingängigen Melodien. "Sumthin' Wicked This Way Comes", mit einem blutjungen Andre 3000 als Gastrapper, verdichtet sich mit hypnotischen Gitarrenloops so zum Blueprint für den Sound der Mitt-Neunziger-Ära.
Das weltenumspannende "Waterfalls" funkt dagegen trotz schwerer HIV-Story leichtfüßiger übers Parkett als Fred Astaire. Ray lässt die Synthies blubbern, die Bläser jubilieren und die stets coole T-Boz erzählt einfach, aber eindringlich vom omnipräsenten Aids-Virus, ohne ihn zu nennen oder in plumpes Predigen zu verfallen ("His health is fading and he doesn't know why" und "three letters took him to his final resting place"). Das teure Video rotiert und schiebt Song wie Thema in der MTV-Hochphase über alle Sender.
Das ist natürlich ganz nach dem Geschmack der Mentoren und Executives Puffy, Dupri und Babyface. Die drei versuchen das Projekt stets im masseaffinen Blick behalten. Babyface zum Beispiel tritt nur mit dem schweißtreibend-schwülstigen "Diggin' On You" in Erscheinung, und so trumpft neben Organized Noise vor allem der umtriebige R'n'B- und Pop-Produzent Dallas Austin (Madonna, Janet Jackson, Boys II Men) musikalisch ganz groß auf. "Creep" sticht aus seinen vier Albumproduktionen heraus und gehört neben "Waterfalls" und "No Scrubs" vom '99er Nachfolger "Fanmail" zu den größten Single-Erfolgen von TLC. Sein Trademark ist der klassisch-clubtaugliche Midtempo-Kopfnicker, über den TLC ihre smoothen, aber eindringlichen Lyrics legen.
Die Einzigartigkeit und das Besondere von TLC kulminiert jedoch noch in einem anderen Song: "If I Was Your Girlfriend", ein Prince-Cover von dessen legendärem "Sign O' The Times"-Werk. Prince, als progressiver Künstler für seine sehr vorsichtigen Beziehungen innerhalb der Musikindustrie bekannt, hatte für TLC zeitlebens einen besonderen Platz im Herzen. "Ich weiß, dass wir seine Lieblingsgruppe waren. Er erzählte mir häufig, dass ich sein absoluter Lieblings war", so eine nicht minder verliebte T-Boz nach Princes Tod im April 2016. Wahrscheinlich beeindruckte auch ihn der Zusammenhalt, der straßentaugliche Soul und vor allem die offen zur Schau getragene, selbstbestimmte Sexualität des Trios.
Wie wenig andere Frauen vor ihnen setzen sich TLC auf den Fahrersitz und holen sich die Deutungshoheit als Künstlerinnen zurück. Auf "CrazySexyCool" übernehmen sie nicht nur den Part von Prince, auch im Dupri-produzierten "Switch" switchen sie aktiv die Rollen und nehmen das Heft des Handelns in die eigenen Hände.
"I ain't one to be questioned / About who and where I've been / I ain't one to be questioned / About what time I came in". Ich, T-Boz, entscheide, wann ich nach Hause komme, nicht du lieber Mann. Und Left Eye rappt über das kongenial karikierend eingesetzte "Mr. Big Stuff"-Sample: "Just as quick as I get in / I'll drop 'em in a minute / like the dollaz / in my pocket, Speedy Gonzalez / couldn't stop the way I spin it".
Chilli treibt es jedoch im "Sexy"-Skit auf die Spitze. In einem Telefonat mit dem Liebhaber – gesprochen von Puff Daddy – heizt sie ihn mit softem Dirty Talk ("Word, I have on a string, I gotta get back to work man", "I want you to....help me") in sonnennahe Sphären, nur um dann am Ende vom Thron steigend die Klospülung zu betätigen und zu fordern: "To pass me some tissue! So I can wipe my ass!!"
TLC liefern so einen wichtigen musikalischen Meilenstein für die gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen, die auch 20 Jahre später immer noch nicht abgeschlossen ist. Im echten Leben mussten die drei Frauen Mitte der 90er auch ihrer kompromisslosen, offensiven Einstellung Tribut zollen. Lisa Lopes brennt betrunken im Streit das Haus ihres Freundes Andre Rison nieder, so dass sie wegen der folgenden Einweisung in eine Ausnüchterungsklinik nicht auf jedem Track für "CrazySexyCool" mitwirken kann. Als Gruppe merken sie zudem 1995 auf dem Höhepunkt, dass sie trotz aller Erfolge pleite sind. Schlechte Labelverträge, Lisas Reha-Aufenthalte und die Arztrechnungen für T-Boz' schwere Sichelzellkrankheit fressen ihnen die Tantiemen sofort wieder vom Teller.
Beyoncés anfangs erwähnte Liebeserklärung an TLC bezieht sich aber nicht nur auf die künstlerische Bedeutung für Frauen in der Musik. Im Gegensatz zu vielen anderen findet die Gruppe in der Krise zu neuer Stärke und kämpft sich im harten, männerdominierten Musikbusiness gemeinsam wieder nach oben. So canceln TLC Konzerte, um nach der Diagnose so oft wie möglich am Krankenbett von T-Boz zu verweilen. Sie versuchen aus ihrem alten Vertrag zu kommen, kaufen die Rechte am Namen TLC zurück und holen sich 1999 mit dem dritten Album "Fan Mail" acht Grammy-Nominierungen. 2002 stirbt Lisa Lopes bei einem Autounfall und die anderen beiden halten seitdem das Vermächtnis von TLC lebendig. So wie viele Künstlerinnen in den USA.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare mit 9 Antworten
Ein Meilenstein für TLC? Hmkay...
'Creep' war schon ganz nice. Und T-Boz natürlich auch mit ihrer Schlafzimmerstimme, rrrr. Mal recherchieren, wie die heute aussieht #nosexism
Da steht das Warum doch
Finde es absolut verdient. Album seit Ionen im Player.
ionen..... lautchen, lautchen.....
music war schon in den neunzigern totaler komplettrotz.
Das ist halt auch mehr so Musik für den elften Finger, von daher nicht verwunderlich, dass es bei lauti stets heavy rotiert.
zumindest hat man jetzt mal ein genre gefunden in dem der lauti nicht fremd ist. pop rap bzw kommerz rnb von sexy pipi-mädchen...hätte nicht gedacht das er so einfach gestrickt ist...
heisst nicht lautis buttplug "heavy rotation"?
Ja mann *_* Endlich ein R&B Meilenstein, und der ist sowas von verdient.
Meilenstein? Ich habe das Ding vor einigen Wochen zum ersten Mal seit ca. 20 Jahren wieder im Player gehabt und es ist mal so richtig gar nicht in Würde gealtert. Die Beats klingen dermaßen angestaubt und der ganze Sound ist so 90er... Ein Meilenstein sollte doch auch etwas zeitloses haben, oder nicht?
Aber die sind doch sooo emanzipiert und die eine ist obendrein unangeschnallt durch die Windschutzscheibe - ergo Meilenstein. Musik ist Nebensache.
Stimmt, ein klassischer Genderartikel. Man hächelt der Zeitgeistagenda hinterher bei laut.de. Während hier ein echter Meilenstein hätte besprochen werden können....
Ich find' auch, dass das Album nicht besonders gut gealtert ist, aber das ist ja zur Eigenschaft ein Meilenstein zu sein eher orthogonal. Damals war es eben verdammt gut, und hat Klang und Kultur des 90er RNBs gut geprägt.
Nebenbei hab ich mir mal auf eBay die 12" von Waterfalls geholt (wurde neulich auch wieder aufgelegt, glaube ich), und die darauf enthaltenen Remixes sind echt gut, auch heute noch.
Der Feminismus regiert? Haben die Damen außer Singen noch etwas zu dem Album beigetragen, nein. Also völlig falscher Ansatz. Hätte ja so schön sein können.....