laut.de-Kritik
Die Manband ist mehr als ein Relikt der 90er Jahre.
Review von Josephine Maria BayerEs ist Samstagabend, im ZDF läuft "Wetten Dass?". Take That stehen auf der Fernsehbühne, auf dem Sofa sitzt Gottschalk, umringt von einer Hand voll Blondinen. Was nach einem Szenario aus den 90ern klingt, spielte sich erst vor ein paar Tagen im Jahr 2023 ab. Die angeblich letzte Folge seiner Kultshow, laut Gottschalk. Ob es dabei bleibt, wird man sehen. Im Gegensatz zu Thommy machen Take That an diesem Abend jedoch klar, dass sie keinesfalls ans Aufhören denken.
Als sie Anfang der Neunziger auf der Bildfläche erscheinen, fliegen ihnen die Herzen unzähliger weiblicher Fans im Handumdrehen zu. Ausgefeilte Choreografien, ein astreiner Satzgesang nach dem Vorbild der Bee Gees und selbstgeschriebene Hits aus der Feder von Gary Barlow machen die fünf Engländer zu einer unschlagbaren Kombination. Als die Band 1995 ihre Auflösung bekannt gibt, bricht für zahlreiche Teenager eine Welt zusammen. Die Tränen flossen eimerweise. Die Bravo richtete sogar ein "Dr. Sommer"-Tränentelefon ein.
Während Robbie nach seinem Abschied umso mehr durchstartete und einen Preis nach dem anderen abräumte, wurde es um die anderen Ex-Bandmitglieder still. Doch Take That rappelten sich wieder auf - von der Boyband zur Manband. Seitdem veröffentlichten sie fünf Studioalben, zeitweise gesellte sich sogar der verlorene Sohn Williams dazu. Orange verließ die Band 2014. Seitdem sind Take That als Trio unterwegs.
Ihr neues Album "This Life" knüpft an die Gute-Laune-Stimmung des Vorgängers "Wonderland" (2017) an. Neben Barlow steuerten auch Owen und Donald eigene Songs bei. Der jeweilige Songwriter übernimmt den Leadgesang. Der klavierlastige Opener "Keep Your Head Up" kommt, im Gegensatz zum Rest des Albums, etwas melancholisch daher. Die Stimmung passt zu den grauen Novembertagen. Die Gesangs-Harmonien klingen fast schon etwas zu perfekt und überproduziert, fast so, als seien sie merhmals durch einen Computer gejagt worden. Ein Phänomen, das sich auch an anderen Stellen wieder findet.
Die eindrucksvollsten Songs des Albums sind "Windows" und "This Life". Während ersterer mit Streichern und dem Einsatz von Kopfstimmen einmal mehr an die Gebrüder Gibb erinnert, sorgt letzterer mit einer Billy Joel-esquen Klavierbegleitung und einem weisen "Carpe Diem"-Text für eine spannende Mischung aus Introspektion und Fußwippen. "Life never stops challenging you" singen die drei Musiker.
In "Days I Hate Myself" experimentieren Barlow, Owen und Donald mit Ska-Elementen. Die Mental-Health-Botschaft geht aufgrund der flachen Reime und dem treibenden Tempo jedoch etwas unter. "Mind Full Of Madness" überrascht mit einem rockigen Intro, das an Stevie Nicks' "Edge Of Seventeen" erinnert.
Im Interview mit dem Podcast "High Performance" beteuert ein reumütiger Barlow, dass er früher immer das Sagen haben wollte. Das sei nun anders. Die Band ist demokratischer geworden (obwohl er gesanglich nach wie vor am stärksten vertreten ist). Zu Recht: Barlow ist mit Abstand der bessere Songwriter. Owens überzeugendste Nummer ist "Brand New Sun", dessen "Heeeeey"-Hook für einen radiotauglichen Sound sorgt. Doch wer das Lied mehr als dreimal anhört, dürfte schnell genervt sein. Die allzu eingängige Melodie wirkt etwas aufdringlich. In "March Of The Hopeful" übernimmt Donald den Leadgesang. Der Song beginnt mit einem wuchtigen, dramatischen Intro, bestehend aus Klavier und Synths. Der Rest ist ebenfalls durchschnittlicher Radio-Pop, ohne Erinnerungswert.
Take That kündigten "This Life" im September mit einem Album-Trailer an. Darin erzählen sie, dass sie mit der Platte vor allem neue Hörer begeistern wollen. Das Release-Datum ist schlau gewählt, denn nur wenige Wochen zuvor ist die Robbie Williams-Miniserie auf Netflix erschienen. Wer zu spät geboren wurde, um den Take That-Hype selbst mitzuerleben, dürfte möglicherweise darüber einen Zugang finden. Doch obwohl die Engländer explizit nicht in der Vergangenheit schwelgen wollen, wirken die Songs auf "This Life" doch etwas retrospektiv.
Immer wieder singen sie vom Wiederaufstehen und Nicht-Aufgeben. Wirft man einen Blick auf die Bandgeschichte, ist schnell klar, warum ihnen diese Botschaft so wichtig ist. Allerdings sind die Postkartenspruch-Weisheiten so universell zugänglich, dass sich wohl auch zahlreiche neue Zuhörer mit den Worten identifizieren können. Der frische Pop-Sound wirkt zudem nicht aus der Zeit gefallen. Take That demonstrieren einmal mehr, dass sie ihr Handwerk beherrschen. Ihr Unterfangen, neue Fans zu gewinnen, dürfte ihnen mit dieser Platte durchaus gelingen.
Das schlagerhaft anmutende "Where We Are" schließt das Album ab. Als die Jungs den Song bei "Wetten Dass" zum Besten gaben, hatte der Auftritt ein bisschen was vom ZDF-Fernsehgarten. Ein rührseliges Publikum, das anscheinend aus den mittlerweile erwachsenen Teenie-Fans von damals bestand, klatschte bei jedem Beat mit und stimmte im Anschluss laute Zugabe-Rufe an. Take That ließen sich nicht zweimal bitten und sangen "Back For Good". Obwohl die Sendung einer Zeitreise gleichkam, beweisen Take That mit "This Life", dass sie mehr als ein Relikt der 90er sind.
4 Kommentare mit 9 Antworten
"Ein Phänomen, dass sich auch an anderen Stellen wieder findet."
*das
Danke für den Hinweis! Haben wir schnell geändert
Ich finde das Album sehr gelungen. Lieblingssong: Mind Full Of Madness. Ich weiß nicht warum, aber nach Odyssey hatte ich irgendwie nicht viel erwartet.. Deswegen umso erfreulicher!
"This Life" ist ein total beeindruckender Song, ja. So viele Kalendersprüche auf einem Haufen und so eine aalglatte Produktion.
Englische Mark Forster, Andreas Bourani und Tim Bendzko als Formatradio-Super Group
Würde Tim Bendzko durch Wincent Weiss ersetzen.
Ich kann die alle garnicht mehr auseinander halten.
Ihr Produzententeam kann das auch nicht, wie man hört.
Man muss aber fairerweise sagen, dass sie die Kalenderspruchsongs wenigstens selbst schreiben und nicht auch noch schreiben lassen. Obwohl man das auch andersrum bewerten könnte, dass Leute wie Forster den Schmonz einfach nur aus Kalkül singen, wohlwissend, dass es scheiße ist, während Barlow das vielleicht wirklich für die Offenbarung hält. Egal, TT hat dank großer Schwester, die in den 90ern steil gegangen ist, für immer irgendwie nen Stein bei mir im Brett. Und Never Forget find ich nach wie vor groß.
Und nicht zu vergessen „Patience“, für mich nach wie vor eine der größten Popnummern überhaupt. Da gibt’s imho wenig zu meckern.
Und dass Mark Owen jetzt aussieht wie Helge Schneider unterhält mich auch.
Hey, ich hatte mit 10 auch ein Album und wippe bei Never Forget heute noch mit. Aber halt weil ich 10 war.
Hmm, ja mag sein dass der eigene Nostalgiefaktor da ne Rolle spielt, andererseits erkenne ich heute Songs aus meiner Kindheit, die ich seinerzeit total geil fand, als den Müll an, der sie sind. Scatman oder Captain Jack lösen in mir heute keinen Mitwippreiz aus. Never Forget würde ich da bspw. nicht dazu zählen. Gut gemachte Pophymne imho.
Immerhin 8. Platz Album-Charts, beste Platzierung seit Progress? Nicht erwartet.